Der Gefangenenchor! Es gibt wohl keine andere Oper, die im allgemeinen Bewusstsein derart mit einem einzelnen Satz verbunden ist wie Giuseppe Verdis "Nabucco" mit "Va, pensiero, sull´ali dorate". Nun dürfte der Gefangenenchor wohl selten derart schön gesungen worden sein wie bei der Premiere von "Nabucco" in der Staatsoper Stuttgart.
Für die Neuinszenierung hat man den 29-jährigen Rudolf Frey engagiert, der sich vor allem als Schauspielregisseur einen Namen gemacht hat. Da er der einzige Gastregisseur der Saison ist, waren die Erwartungen hoch. Umso ernüchternder fällt das Resümee aus: Einen derart bemühten, unsinnlichen Opernabend hat man hier lange nicht erlebt. Nun ist der "Nabucco" eine harte Nuss für Regisseure. Verdi hat in seinem ersten großen Erfolgsstück die vier Akte weniger in dramatische Handlungsstränge eingebunden, sondern eher als statische Tableaus komponiert, statt auf psychologische Entwicklung setzt er vor allem auf die affektive Kraft seiner Musik.
Rudolf Frey hat versucht, das Stück aus seinem alttestamentarischen Kontext zu lösen, indem er auf bildnerische Verweise weitgehend verzichtet: Außer Nabucco tragen alle Alltagskleidung, der erste Akt spielt auf komplett leerer Bühne. Es gelingt aber nicht, diese Leerstellen schlüssig zu füllen. Zwar wird der Chor, der in Gestalt von Juden und Assyrern fast ständig auf der Bühne ist, permanent beschäftigt. Schon zur Ouvertüre rennen die Choristen wie aufgescheuchte Hühner über die Bühne (Unheil droht!), dann stellen sich alle mit den Gesichtern zur Wand auf, um Choreografien aufzuführen, deren Sinn sich nicht recht erschließt. Nein, allzu vieles in dieser Inszenierung wirkt ertüftelt, einschließlich der Gesellschaftskritik: Besiegt werden die Juden nicht mit kriegerischen Mitteln, sondern mit Bling-Bling - beglückt sammelt das Volk die glitzernden, vom Schnürboden herabsegelnden Pailletten. Und die machthungrige Abigail tritt in einer Art Varietédekoration auf: Babylon sucht den Superherrscher.
Auch das sängerische Niveau ist durchwachsen. Am überzeugendsten singt Sebastian Catana (Nabucco), mit Abstrichen gilt das für Atalla Ayan (Ismaele) und den etwas knurrigen Liang Li (Zaccaria). Catherine Fosters (Abigaille) Sopran besitzt dramatisches Potenzial, wird aber in der Höhe schrill und unsauber. Und auch Diana Haller (Fenena) bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück. Zum Glück gibt es neben dem grandiosen Chor noch das bestens disponierte Staatsorchester. Giuliano Carella am Pult dirigiert Verdis mitunter formelhafte, aber energetisch aufgeladene Musik mit Eleganz und Verve und versucht dabei gar nicht erst, Rohheiten zu glätten. Dafür lohnt sich der Abend doch.
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