Heidelberger Frühling

Asmik Grigorian singt zum Weinen schön

Das Konzert mit der Deutschen Kammerphilhamonie Bremen, Matthias Goerne und Asmik Grigorian beweist, dass es an der Zeit ist, die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts einfach mal wegzulassen

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Wieder ein Abend, der Lust macht auf das große, überwältigende 20. Jahrhundert, ja, ein Abend, der unterstreicht: Das letzte leidet dramatisch unter der Hegemonie des 19. und 18. Jahrhundert, mehr: Alles spricht sogar dafür, dass es Schwerpunkte geben sollte und man einfach mal alles, was zwischen Bach, Beethoven, Brahms und Bruckner war, sein lässt.

Denn: Es gibt Schostakowitsch. Beispielsweise. Dessen Kammersinfonie und auch die 14. Sinfonie für Sopran, Bass und Kammerorchester stehen hier, in der Neuen Aula, auf dem Programm des Heidelberger Frühling, und im Grunde ist an diesem Abend ausnahmslos alles bemerkenswert: die Werke, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Bariton Matthias Goerne, aber viel mehr noch Dirigent Tarmo Peltokowki und Sopranistin Asmik Grigorian. Der Eine ist erst 22 Jahre alt und entfacht am Pult der Kammerphilharmonie einen Sturm der Gefühle, der trotz aller Wucht wohlgeordnet ans Ohr dringt. Die Andere singt, man kann es nicht anders sagen, so, dass es schaudert und Tränen fließen.

Und das liegt nicht nur an den Texten von Lorca, Apollinaire, Küchelbecker oder Rilke, die sich in der Vierzehnten um den Tod als Antipode einer lebendigen Erfüllungssuche drehen. Es liegt auch ganz einfach an der Dichte, Intensität und Beseeltheit von Grigorians Ton, der sich, wie an einem Gummi aufgereiht, in unsere Gehörgänge bohrt. Ganz große Gesangskunst ist das, die den ganzen Zwiespalt Schostakowitschs zwischen dem, was er will, und dem, was im Lärm der Zeit der 1960er Jahre möglich ist, an den Tag treten lässt.

Danach macht das Publikum auch Lärm. Sicher würde es so einen Weg jenseits des Mainstream mitgehen.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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