Basel. Ein Knistern, aus dem sich allmählich ein gebrochener, pulsierender Akkord schält. „Sag, welch wunderbare Träume halten meinen Sinn umfangen“, singt Marie Gerhardine Iguchi mit eindringlicher Stimme – den Synthesizer auf dem Schoß. Richard Wagners Wesendonck-Lied „Träume“ erhält ein ganz neues Gewand: Klassik meets Elektronik. Bislang hat die Opernsängerin ihre beiden musikalischen Leidenschaften getrennt ausgelebt. In „Träume“ schafft Gerda, wie sich die Sängerin bei diesem Projekt nennt, eine Synthese. Mit einem Video davon hat sie sich beim neu ins Leben gerufen Art Song Challenge (ASC) beworben. „Ein Song ist ein Leben – zu genießen, solange es währt, und für seine Endlichkeit zu schätzen“, schreibt Iguchi dazu.
Idee, den klassischen Liedgesang ein wenig aufzupeppen
Der Art Song Challenge (ASC) heißt nicht zufällig so ähnlich wie der Eurovision Song Contest (ESC), der gerade in Basel die Stadt elektrisiert. Silke Gäng, Mezzosopranistin und künstlerische Leiterin des Festivals LIEDBasel, war schon immer von der Diversität und Internationalität des ESC begeistert. Und überlegte sich, was sie vom ESC übernehmen könnte, um den klassischen Liedgesang ein wenig aufzupeppen und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. „Das ESC-Motto ‚United by music‘ spricht auch mich unmittelbar an“, sagt Gäng. „Wir möchten mit unserem neuen Liedwettbewerb niederschwellig jungen Sängerinnen und Sängern eine Bühne geben und sie dazu animieren, auch andere musikalische Traditionen mit einzubeziehen.“
Ähnlich wie der ESC animiert der ASC dazu, in der Sprache des Heimatlandes zu singen. Ziel sei es, die Liedprogramme vielseitiger und kulturübergreifender zu machen. Und auch die strenge Form von Liederabenden zu überdenken. Um die internationale Ausrichtung zu betonen, hat sich LIEDBasel für diesen Wettbewerb mit anderen Liedfestivals in Deutschland (Liedstadt, Heidelberger Frühling), Spanien (Schubertiada) und England (Leeds Lieder) zusammengetan.
Der Publikumspreis ist mit 1000 Euro dotiert
„Lieder sind ein weltumspannendes Phänomen. Sie berühren, sie gehen uns Menschen an. Lieder gehören zum identitätsstiftenden Schatz jeder Kultur. Das zeigt der European Song Contest Jahr für Jahr, genauso wie das rege Konzertleben rund um das Kunstlied in Europa“, sagt Anselm Cybinski vom Heidelberger Frühling. 130 Einreichungen aus 29 Ländern lautet die Bilanz des ersten, besonders auf Social Media beworbenen ASC. Die Künstlerinnen und Künstler der fünf ausgewählten Beiträge erhalten ein Konzertengagement bei einem der Festivals. Der online gewählte Publikumspreis ist mit 1000 Euro dotiert.
Das Art Song Challenge
- Der neu gegründete Art Song Challenge (ASC) wird gemeinsam von fünf europäischen Liedfestivals durchgeführt: LIEDBasel, Heidelberger Frühling, Liedstadt, Schubertiada und Leeds Lieder.
- Ziel ist es laut Veranstalter, unbekannte Talente zu fördern , neue Lied-Kulturen zu entdecken , Chancengleichheit auf dem Klassikmarkt zu fördern und international auszustrahlen .
- Zwischen den fünf Beiträgen, die aus 130 Bewerbungen ausgewählt wurden, kann das Publikum noch bis 15. April 20 abstimmen auf liedbasel.ch/art-song-challenge-2025
Dass Liederabende frischen Wind aus der Popwelt gut gebrauchen können, ist unbestritten. Aber wie sieht es in Basel mit anderen Veranstaltern der sogenannten Hochkultur aus? Das Sinfonieorchester Basel hat nicht nur mit dem Konzert „Symphonic Games“, das Soundtracks aus Videogames präsentierte, im Rahmen des ESC-Begleitprogramms gespielt, sondern war am „Klassik & Crossover Day“ auch mit einem Schlagzeugensemble auf der Open-Air-Bühne am Barfüßerplatz zu hören. „Offenheit gegenüber verschiedenen Stilen und neuen Impulsen ist Teil unserer künstlerischen Haltung“, sagt Elisa Bonomi, Pressesprecherin des Sinfonieorchesters Basel.
Für die Basel Sinfonietta war es wegen der eigenen langfristigen Programmplanung nicht möglich, noch auf den ESC-Zug aufzuspringen. „Inklusion, Subkulturen sowie Empowerment, besonders für marginalisierte Gruppen, sind Themen, die die Basel Sinfonietta immer wieder aufgreift“, sagt Geschäftsführerin Daniela Martin. Der ESC biete viel Inspiration in Sachen visueller Inszenierung, Social Media und Stärkung der Community, so Martin. Und betont, dass sich das Neue-Musik-Ensemble durchaus auch in popmusikalischen Kontexten bewege, wie vergangene Zusammenarbeiten mit dem DJ Janiv Oron, der afrikanischen Popband Burkina Electric oder der NDR Bigband zeigten.
Findet der Art Song Challenge bald live vor Publikum statt?
Eher nach Pop klingen auch die ausgewählten ASC-Beiträge „Schaun“ des österreichischen Duos Lena Kuchling und Bernhard Höchtel und „Aam Paka“ von Nishad Pandey und Arko Mukhaerjee, bei dem ein traditionelles bengalisches Volkslied auf eine E-Gitarre trifft. Auch der letzte Teil von Franz Schuberts „Leiermann“ in der faszinierenden, zweistimmigen Version der Lettin Katrina Paula Felsberga und der Französin Justine Eckhaut verlässt den klassischen Gesang.
In Zukunft möchte Silke Gäng gerne den Art Song Challenge live vor Publikum stattfinden lassen. Und dabei wie der ESC jedes Jahr den Ort wechseln innerhalb der vernetzten Festivals. United by Music nicht nur digital, sondern in echt. Das wär was.
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