Klassik

Arnols Schönbergs „Pierrot Lunaire“ in Ludwigshafen aufgeführt

Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen hat Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire" aufgeführt - unter der Leitung von Michael Francis und durch Sprechgesang von Elena Harsayi ergänzt

Von 
Alfred Huber
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Michael Francis, Chefdirigent der Staatsphilharmonie. © Felix Broede

Ludwigshafen. Ein Skandalwerk. Aber nicht überall. In Mannheim beispielsweise fand Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ von 1912 begeisterte Zustimmung. Inzwischen gilt, was der Komponist zu den einundzwanzig Gedichten des belgischen Lyrikers Albert Giraud schrieb, als ein Meilenstein der Moderne. An keine tonalen Vorgaben mehr gebunden, konnte Schönberg sich relativ frei einer Ausdruckskunst widmen, die sich nicht mit subjektiven Emotionen oder zeitkritischen Bezügen begnügt. Stattdessen richtet er zu Zeiten einer sich rasch entwickelnden Psychoanalyse (Freuds „Traumdeutung“ war 1900 erschienen), seinen Blick auf das Innere des Menschen, auf Unbewusstes und Verdrängtes und wird so zu einem der Begründer des musikalischen Expressionismus, der dem Schönheitsideal des Friedlichen entsagt.

Ausdrucksstarke Interpretation von Schönbergs Werk

Hört man das Werk heute, aufgeführt von einem Kammer-Ensemble der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Michael Francis mit der Sopranistin Elena Harsányi, begreift man sofort, wie konsequent Schönberg hier die alten tönenden Wirklichkeitshorizonte durch neue kompositorische Perspektiven ersetzte. Jedenfalls verweist das, was Francis und die Musiker in der Ludwigshafener Philharmonie knapp pointiert vermitteln, nicht nur auf die vielschichtigen Brechungen dieser Musik, sondern setzt auch das mitunter fast visionäre Klangspektrum genau kalkulierter Instrumental-Farben konsequent frei.

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Wunderbar ergänzt werden diese oft traumwandlerischen Sequenzen durch den nuancierten Sprechgesang Elena Harsányis. Unterstützt von Mimik und Körpersprache gelingt es ihr eindrucksvoll, das Ungewisse und Unbestimmte der Kunst Schönbergs, dieses Entdecken und Erschließen einer fremden Welt feinsinnig zu erkunden. Selbst noch im gezierten Klagen wirkt ihr Vortrag in seiner schonungslos textnahen Deutlichkeit bisweilen verstörend. Das Reale verliert an Bedeutung, etwas Unbehaustes, Unbehütetes, objektiv nicht Fassbares beherrscht den Raum. Zumal Francis die stimmungsbezogenen Kontraste klug herausarbeitet, als wolle er im Sinne des Komponisten mit genau ausbalancierten Strukturen der nicht selten schwülstigen Dichtung des Symbolisten Giraud einen intellektuellen Gegenpart bieten. Auf diese Weise lässt sich jedenfalls die hohe Kunst des Kontrapunktes und Schönbergs ausgeklügelte Variationstechnik formbildend miteinander verschmelzen.

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Expressive Entgrenzungen und komische Abschiedsmusik

Sinnlich und seelisch Erdachtes produzieren immer wieder expressive Entgrenzungen, die Michael Francis und Elena Harsányi gelegentlich auch parodistisch auslegen, als wollten sie das hier entworfene, im mondsüchtigen Narren Pierrot verkörperte, oft reichlich sentimentale Menschenbild auf seine wahren existenziellen Möglichkeiten reduzieren. Denn irgendwie ist Schönbergs Werk auch eine Art Abschiedsmusik, die sich eher komisch als surrealistisch mit „Gelüsten, schauerlich und süß“ an eine Vergangenheit erinnert, deren falscher Abglanz längst Geschichte geworden ist.

Freier Autor Geboren 1941, Studium Musikheorie/Musikwissenschaft, Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte in Mannheim und Heidelberg Volontariat Mannheimer Morgen, Redakteur, anschließend freier Journalist und Dozent in verschiedenen Bereichen der Erwachsenenbildung. Ab 1993 stellvertretender Ressortleiter Kultur, ab 2004 bis zur Pensionierung Kultur-Ressortleiter.

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