Ja sind wir denn hier im Musikantenstadl? Das mag sich so so mancher Besucher beim Abschlusskonzert des Neuen Deutschen Jazzpreises am Samstagabend denken, als in der Alten Feuerwache Mannheim Jodelklänge ertönen und die Schönheit Südtirols besungen wird. Die Gruppe Shreefpunk Plus Strings des Trompeters Matthias Schriefl bietet Jazz zwischen Helge Schneider und Andreas Gabalier, bei dem Puristen Pickel bekommen. Denn diesem Septett sitzt der Schalk im Nacken.
Alpenländische Volksmusik ist nur ein Farbtupfer seines knallbunten und klamaukigen Stilpanoptikums. Schriefl & Co. verulken Schlagerseligkeit (bis hin zur übertriebenen Gestik, mit der viele Stars des Genres oft banale Texte kaschieren). Sie bringen US-Country-Klänge ins Spiel, treiben mit schrillen Dissonanzen ihren Schabernack.
Im Gänsemarsch durch den Saal
Aber sie brillieren auch mit einer mutigen Neubearbeitung des Jazz-Standards „Bewitched, Bothered And Bewildered“, den sie mit Wiener Romantik und Caféhaus-Klängen bereichern. Und urplötzlich feuert der Bandchef messerscharfe Bebop-Salven auf der Trompete ins Mikrofon. Oder entlockt einem Alphorn virtuose Mehrfachklänge. Als Schriefel mit Alex Eckert (Gitarre, Ukulele), Alex Morsey (Bass, Tuba), Sebastian Merk (Schlagzeug), Claudia Schwab (Geige, Trompete), Marie-Theres Härtel (Bratsche, Flügelhorn) und Dee Linde (Cello, Tenorhorn) im Gänsemarsch spielend durch den Saal zieht, sind ihnen gleich zum Beginn des Wettbewerbs die Sympathien der Zuhörer sicher.
Und so verwundert es nicht, als die schräge Truppe am Ende den mit 10 000 Euro dotierten Bandpreis gewinnt, der vom Publikum per Abstimmung vergeben wird. Doch dann sorgt Schriefl, der auch den Solistenpreis (1000 Euro) einheimst, für eine Überraschung. Er verkündet, er wolle das Preisgeld auf alle drei Bands des Wettbewerbs aufteilen, denn: „Ich halte nicht viel davon, dass Gruppen gegeneinander antreten.“ Er holt alle Musikerinnen und Musiker zu einer ausgelassenen 20-minütigen Session auf die Bühne.
Die Besetzung ist hochklassig wie lange nicht mehr in der Geschichte dieses Wettbewerbs. Der Kontrabassist Renaud Garcia-Fons hat nicht nur am Freitagabend ein spektakuläres Solokonzert gegeben, bei dem er Flamenco-Rhythmen, Sinti-Musik und orientalische Melodie-Arabesken zu einer begeisternden mediterranen Klang-Melange verschmolz. Der Franzose hat als Kurator des Preises auch ein exzellentes Programm zusammengestellt.
So brilliert die Band Seibolzing durch raffiniert konzipierte Ensemblemusik, bei der das kontraststarke Zusammenspiel zwischen dem quirligen Saxofonisten Niko Seibold mit dem wunderbar kühl agierenden Posaunisten Raphaël Rossé beeindruckt. Der Ex-Mannheimer Seibold glänzt mit sprudelnden Soli voller spannender Intervallsprünge und mikrotonalen Klangeffekten, während Roberto Koch (Bass) und Frederik Heisler (Schlagzeug) hochkomplexe Rhythmen unterlegen.
Als Kollektiv punktet auch die Band Coastline Paradox. Richard Köster (Trompete), Damian Dalla Torre (Tenorsaxofon), Felix Römer (Piano), Marc Mezgolits (E-Bass) und Valentin Duit (Schlagzeug) organisieren ihre Musik fernab konventioneller Strukturen. Komponierte und improvisierte Passagen sind eng miteinander verzahnt. Jäh wechseln Stimmungen, finden sich die Instrumente in unerwarteten Kombinationen zusammen, setzen überraschende Momente der Stille ein. Köster besticht mit einem meditativen Trompeten-Monolog; unterlegt von einem Einzelton, den der Pianist metronomartig wiederholt. Am Ende setzt die Gruppe ein Basssolo mit afrikanischem Daumenklavier, Percussion und Kinderxylophon in Szene. Ein starkes Finale.
Schließlich gilt es, die Rückkehr einer regionalen Jazzgröße zu feiern: Der Frankenthaler Mundharmonikaspieler Jens Bunge leitete am Freitag ein Ensemble, das die Beiträge zum Neuen Deutschen Kompositionspreis präsentierte. Der ging an Benjamin Schaefer aus Köln. Glanzvoll war aber vor allem Bunges Vorstellung, der zwischen eingängiger folkloristischer Seemannsromantik und kühnen melodischen Abstraktionen zu vermitteln vermochte.
Die Gewinner im Überblick
- Der Neue Deutsche Jazzpreis wird seit 2006 von der IG Jazz Rhein-Neckar vergeben. Er besteht aus drei Einzelpreisen.
- Der L-Bank-Bandpreis in Höhe von 10 000 Euro geht an: Shreefpunk plus Strings. Auf den zweiten Platz wählte das Publikum die Band Coastline Paradox. Auf Platz drei kam die Gruppe Seibolzing.
- Gewinner des wsp design-Solistenpreis (1000 Euro): Matthias Schriefl. Platz zwei: Dee Linde (Cello, Gesang) von der Band Shreefpunk Plus Strings. Dritter: Roberto Koch (Kontrabass) von Seibolzing.
- Der Neue Deutsche Kompositionspreis (2000 Euro, gestiftet vom Unternehmen MST agion) geht an Benjamin Schaefer für sein Stück „Augmentetd Reality“
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