Filmfestival

Alice Winoncour wird beim Internationalen Filmfestival in Mannheim mit "Grand Award" geehrt

Auch das deutsche Kino habe sie geprägt, bekennt die 46-jährige Französin Alice Winoncour im Mannheimer Stadthauskino in ihrer Dankesrede. Kurz zuvor hatte sie von Festivalchef Sascha Keilholz den Gran Award überreicht bekommen

Von 
Hans-Günter Fischer
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Wie hier in Paris bei der Cesar-Verleihung 2016 wurde die Französin Alice Winocour am Wochenede auch beim IFFMH in Mannheim geehrt. © ETIENNE LAURENT/ dpa

Mannheim/Heidelberg. Dieser Preis bedeute ihr sehr viel, sagt Alice Winocour. Sie muss das sagen. Und auch ihr Bekenntnis, dass der deutsche Film sie früh beeindruckt und geprägt habe, lässt sich als pflichtschuldige Höflichkeit verstehen. Allerdings nicht nur: Die Regisseurin schildert, wie sie in Paris mit ihrer Mutter „Alice in den Städten“ von Wim Wenders angesehen habe und von diesem Klassiker von 1973 sofort angesprochen worden sei. Schon weil die titelgebende Figur denselben Vornamen gehabt habe. Und auch gleich alt beziehungsweise jung gewesen sei.

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Inzwischen hat sich Alice Winocour, das damals achtjährige Mädchen, zu einer schon vielfach preisgekrönten Kinoregisseurin und auch Drehbuchschreiberin entwickelt. Nun erhält sie einen „Grand Award“ beim Internationalen Filmfest, wird als 46-Jährige in Mannheim bereits für ein (halbes) Lebenswerk geehrt. Und Festivalchef Sascha Keilholz spart im Stadthauskino in seiner auf Englisch vorgetragenen Laudatio nicht mit filmgeschichtlichen Verwandtschafts-Zuschreibungen, unter anderem zum „Body Horror“ eines Regisseurs wie David Cronenberg. Bei Winocour lasse er sich bereits in ihren frühen Kurzfilmen beobachten. Doch die Französin überwinde diesen Horror auch, lasse die Körper förmlich sprechen. Manchmal schreien. Immer wieder zeige sie auch Frauen auf dem Weg zu neuen Ufern, dafür finde sie häufig sehr einprägsame Schlussbilder.

In Mannheim zeigt die Regisseurin ihren neuen Film erstmals in Deutschland: „Paris Memories“. Die Frau, die hier zu neuen Ufern aufbricht, tut das auch, weil sie die alten nicht mehr wiederfinden kann.

Ein nationales Trauma

Denn Mia ist das Opfer eines Terroranschlags. Hat zwar überlebt, doch die Erinnerung an dieses Attentat fast vollständig verloren. Anfangs orientierungslos, fährt sie auf ihrem alten, aber ziemlich schicken englischen Motorrad durch Paris. Es sei auch ein Paris-Film, sagt die Regisseurin. Und ein Film über das „nationale Trauma“ der fatalen Terroranschläge 2015. Mit privatem Hintergrund: Der Bruder Winocours war damals ebenfalls verletzt worden. Sie habe viel mit ihm gesprochen. Und mit anderen der Opfer, die inzwischen eine wichtige „Community“, ja fast Familie bildeten.

Bisweilen wird aus diesen „Paris Memories“ eine verfilmte Psychotherapie: Es muss nun einmal viel geredet werden, bis aus Puzzleteilen wieder eine schlüssige Geschichte wird. Bisweilen ächzen die bewegten Bilder unter ihrer Dialoglast. Die recht raren stummen Szenen überzeugen freilich umso mehr - wie die, in der die städtischen Entsorger irgendwann doch Tausende Gedenkkerzen beiseite räumen, die von Hinterbliebenen und Freunden an einem zentralen Platz der Hauptstadt angezündet worden waren.

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Es lässt sich auch viel im Gesicht von Mia ablesen. Dieses Gesicht ist ungeschminkt, zeigt um die Augen kleine Fältchen, sogar Ringe, und gehört doch einer fraglos attraktiven Frau: Virginie Efira, die Mia spielt, ist hierzulande noch nicht allzu sehr bekannt, sie gilt in Frankreich aber längst als Königin des Arthouse-Kinos. Sie spielt über alle Maßen glaubwürdig, weil völlig unforciert und uneitel. Als wüsste sie gar nicht, dass sie auf einem Filmset ist. Als würde sie nur mit versteckter Kamera beobachtet. Im ganzen Film habe sie stets dasselbe Outfit, hören wir von Alice Winocour. Die Produzenten habe es gefreut. Es schonte das Budget.

Paris kann das Fürchten lehren

Virginie Efira zeigt anfangs auch, wie schreckhaft diese Mia ist. Schon der Verkehrslärm von Paris kann sie das Fürchten lehren, und wenn eine alte Metro über eine Schwelle knattert, scheint sich irgendwo ein Schuss zu lösen. Dann wird Mia schlagartig an die Geschehnisse beim Attentat erinnert. Doch die Attentäter selbst besitzen kein Gesicht, bleiben maskierte, anonyme Schemen.

Dafür schleicht sich peu à peu ein neuer Mann in Mias Leben. Streng genommen humpelt er: Denn auch Thomas (Benoit Magimel) ist eines dieser Terroropfer, wurde schwer am Bein verletzt. Die Wiederherstellung ist langwierig, „doch so genieße ich es länger“, scherzt er. Ist Thomas der „Diamant im Trauma“, wie es einmal heißt? Das Gute, das in jeder Katastrophe stecken kann?

Mia erliegt dem Charme des schon ein wenig angejahrten Witzbolds, und wir sehen eine Liebesszene, in der beide sich an ihren Narben förmlich festhalten. Die Narben streicheln. Alice Winocour huldigt erneut dem Körper-Kino - das in ihrem Fall dem „Body Horror“ ungewöhnlich menschliche Facetten abringt.

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