Nachruf auf Joy Fleming

Mannheims Bluesröhre ist verstummt

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer und Jörg-Peter Klotz
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Joy Fleming ist im Alter von 72 Jahren gestorben. © masterpress

Nicht nur die Musikwelt trauert um Joy Fleming. Diese Todesnachricht kam aus heiteren Himmel - auch für die Familie der Sängerin, die völlig überraschend am Mittwochabend in ihrem Wohnzimmer in Sinsheim-Hilsbach für immer eingeschlafen ist. "Wir haben vorgestern noch telefoniert. Sie war nicht krank, es war alles in Ordnung", berichtet ihr Bruder Otto M. Raad im Gespräch mit dieser Zeitung. Joy Flemings Lebensgefährte und Gitarrist Bruno Masselon Gitarrist sei gegen 21 Uhr von einer Unterrichtsstunde in Frankreich nach Hause gekommen - "da saß sie regungslos und mit geschlossenen Augen in ihrem Sessel", berichtet Raad weiter. "Dass etwas nicht in Ordnung war, hat der Bruno erst bemerkt, als er sie angestumpt hat und sie aus dem Sessel gerutscht ist", so ihr Bruder, der als Sänger von Just For Fun selbst eine Musikinstitution ist. Masselon habe sofort Mund-zu-Mund-Beatmung versucht, der Notarzt sei auch relativ schnell dagewesen.

"Die haben sie eine Stunde reanimiert, da war nichts mehr zu machen. Das ist sehr traurig, aber nicht zu ändern", sagt der Heddesheimer, bei dem das Telefon zurzeit nicht still steht. Tröstlich findet der Just-For-Fun-Frontmann, "dass sie offenbar nicht leiden musste. Das hat sie sich so gewünscht, auch, dass sie niemals hilflos auf Pflege angewiesen ist. Das ist das einzig Positive, wenn man in so einem Zusammenhang von positiv sprechen kann." Zur Todesursache wisse er nichts Genaues, an einer Stelle sei von "vielleicht Zuckerschock" die Rede gewesen. Ihr Manager und Ex-Ehemann Bernd Liebenow kündigte eine Beerdigung "in kleinem Kreis" in Hilsbach an.

Berühmter "Neckarbrücken-Blues"

Die Urmutter des Dialektgesangs empfand Mannheim stets als Heimatstadt - auch wenn sie 1944 im pfälzischen Rockenhausen auf die Welt gekommen ist und ihre letzten Lebensjahrzehnte auf einem Bauernhof in Hilsbach bei Sinsheim verbrachte. Mit dem "Neckarbrücken-Blues" machte sie nicht nur jenen Karl berühmt, den es mit dem "Hut im G´nick widder iwwer die Brick" zu anderen Frauen zieht - sie brachte 1972 auch das pralle Leben in eine deutsche Schlagerwelt, die damals Hits wie "Blau, blau blüht der Enzian" (Heino) oder "Fiesta Mexicana" ( Rex Gildo) prägten.

Erna Raad, so ihr Mädchenname, wusste, wovon sie sang. Für das Buch "Über alle Brücken - Erinnerungen" hat sie dem Journalisten Horst Wörner Einblicke in eine von Armut und Gewalt geprägte Kindheit gegeben. Der despotische Vater sollte gleichwohl für sie prägend sein - als Jazzfan. Bei einem Nachwuchswettbewerb schmetterte Lehrling Erna den Hit "Ciao, ciao bambina" mit solch stimmlicher Wucht, dass die Jury sie zur unangefochtenen Siegerin kürte. Daraufhin sagte die Jugendliche dem Lebensmitteleinzelhandel "tschüss" .

Ihre musikalische Ausbildung absolvierte sie in amerikanischen Clubs und GI-Kneipen, die es damals in Mannheim reichlich gab. Blues und Jazz-Evergreens wollten die stationierten US-Soldaten hören. In den 1960ern legte das Stimmwunder - inzwischen mit Künstlername Joy Fleming - auch jenseits der Bar-Szene los: Sie gründete in Mannheim mit Musikfreunden die Band "Joy & The Hit Kids, begeisterte beim Talentschuppen des Südwestfunks und stahl der Blues-Legende Janis Joplin bei einem Frankfurter Konzert im wahrsten Sinne des Wortes die Show: Joy Fleming samt Band waren 1969 als Vorprogramm gebucht. Die damals 24-jährige, noch weitgehend unbekannte Blues-Kollegin aus Mannheim schleuderte in der ausverkauften Jahrhunderthalle aus expressiven Tiefen Emotionen hervor, die das Publikum erst verblüfften und dann verzückten. Jahre später erzählte Joy Fleming, wie bei der Probe Joplin in Samtklamotten und auf Plateausohlen auf sie zukam und ihr sagte: "I've never heard such a beautiful voice like yours" (ich habe noch nie eine so schöne Stimme wie deine gehört). Nach dem Konzert sind sich die beiden nie mehr begegnet - Joplin, die Blues- und Rock- Ikone der Hippiezeit, starb mit gerade mal 27 an einer Überdosis Heroin.

Bodenständiger Star

Von solcherart Exzessen hat Joy nichts gehalten. Sie bevorzugte jenseits der Bühne Bodenständigkeit - auch wenn es in ihrem Privatleben so manche Turbulenzen gab. Nach zwei geschiedenen Ehen lebte die dreifache Mutter und mehrfache Großmutter mit dem französischen Komponisten und Musiker Bruno Masselon auf einem Bauernhof mit eigenem Tonstudio in Hilsbach. Zu der ländlichen Idylle gehörten Hunde, Katzen und ein Papagei - Fleming war engagierte Tierschützerin.

Mit besungenen Brücken ist es so eine Sache: "Über sieben Brücken musst du gehen" gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Popsongs. Und Joy Fleming landete mit dem Neckarbrücken-Blues ihren Durchbruch-Hit. Hingegen brach sie mit "Ein Lied kann eine Brücke sein" beim Eurovision Song Contest 1975 in Stockholm ein. Der drittletzte Platz bedeutete für sie ein persönliches "Waterloo", um es mit jener (Erfolgs-)Botschaft der Gruppe Abba auszudrücken, die ein Jahr zuvor furios gesiegt hatte.

Der pfundigen Drei-Oktaven-Sängerin machte vor allem zu schaffen, wie sie von Kritikerin zerrissen, ja gedemütigt wurde - aber nicht von allen. Das Magazin "Der Spiegel" schrieb nach dem Grand Prix-Desaster: West-Deutschland habe mit der "ungenormten" Joy Fleming einen Weltstar - "die Welt hatte nur keine Gelegenheit, es zu bemerken." Wie stark und lange die Niederlage in ihr rumorte, offenbarte Jahrzehnte später ein Gespräch mit unserer Zeitung. "Mit 65 den Grand Prix gewinnen und einem Millionenpublikum zeigen, was man auf der Pfanne hat - das wär was", wünschte sich die Kurpfälzerin.

Aus dem Millionenpublikum wurde nichts. Gleichwohl fand "Mama Soul" mit der "Mannemer Gosch" ihre spezielle Brücke zu den Fans - mal in riesigen Sälen, aber auch bei Provinzveranstaltungen oder Festen. Joy wusste, dass man ihre musikalische Kraft und berstende Emotionalität live erleben musste. Seit den 1990er Jahren produzierte sie ihre Lieder unter eigenem Label. "So bin ich" war mehr als ein Album-Titel - er war das Credo einer Eigensinnigen, die keinen Sinn für smarte Vermarktung hatte.

Anlässlich ihres 70. Geburtstages würdigte sie der künstlerische Leiter der Mannheimer Popakademie, Udo Dahmen, als "herausragende Soul - und Bluessängerin", die mit ihrer Stimme und dem Neckarbrückenblues "Musikgeschichte geschrieben und ihrer Heimatstadt ein Denkmal gesetzt hat". Und Wolfgang Niedecken, Frontmann der erfolgreichen Kölschrockband BAP, verriet der "Pionierin des Dialektrocks": "Egal, über welche Brücke ich in Mannheim fahre, ich habe immer den Song vom Neckarbrückenblues und Joys Hammerstimme im Ohr."

 

Bei Facebook trauerten u.a. Bülent Ceylan und die Söhne Mannheims (Reaktionen weiterer Mannheimer Persönlichkeiten in unserer Fotostrecke):

  • Als Erna Maria Paula Raad kam Joy Fleming am 15. November 1944 im pfälzischen Rockenhausen zur Welt. Nach Kriegsende zog die Familie nach Mannheim.
  • Der „Neckarbrückenblues“ gesungen „Negaabriggebluues“ entstand 1972. Das Dialektlied war Flemings größter Erfolg.
  • Platz 17 beim Eurovision Song Contest 1975 in Stockholm wurmte die stimmgewaltige Mannheimerin noch Jahrzehnte später. Deswegen nahm sie drei weitere Male am deutschen Vorentscheid teil – und belegte 1986 Platz vier sowie 2001 und 2002 jeweils Platz zwei.
  • Zu Mannheims Stadtjubiläum 2007 sang Fleming u.a. mit Rolf Stahlhofen das Lied „Meine Welt“.
  • Joy Fleming bekam mehrere Auszeichnungen: 1976 den Bloomaulorden als höchste bürgerschaftliche Auszeichnung in Mannheim. Baden-Württemberg verlieh ihr als Sängerin, die Dialekt und Musik eindrucksvoll vereint, 2012 den Verdienstorden. wam/jpk
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Joy Fleming (†72) - Karriere und Leben in Bildern

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