Kommentar Tag der Pressefreiheit: Wir sind unangenehm - und wertvoll

Starker Journalismus ist es gewohnt, Ärger zu bekommen. Er dient als Prellbock zur Freiheit jedes einzelnen. Was Medienschaffende oft erleben - und wie sie arbeiten sollten, erklärt "MM"-Chefredakteur Karsten Kammholz

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Karsten Kammholz
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Heute gibt es nichts zu feiern. Der Tag der Pressefreiheit ist kein Festtag, aber die Erinnerung daran, dass der Beruf der Journalistinnen und Journalisten der freien Gesellschaft dient.

Welch ein Glück, dass diese Arbeit im Grundgesetz einen expliziten Schutz erfährt. Denn Pressefreiheit ist in Gefahr, auch in Deutschland. Alles Schwarzmalerei? Leider nein. Medienschaffende sind täglich versuchter Einflussnahmen ausgesetzt, werden teilweise beschimpft und bedroht, manche erfahren Gewalt. Einige Akteure des öffentlichen Lebens, auch gewählte (!) Vertreter der Demokratie, vergessen mitunter, mit wem sie es zu tun haben, wenn sie Journalistenfragen ignorieren oder aktiv Berichterstattung bekämpfen.

Dass die Demokratie um ihre Reputation kämpft, gehört - auch deswegen - zur Realität. Ein anderer Grund: Nur noch 43 Prozent der Ostdeutschen und 58 Prozent im Westen sind der Auffassung, ihre Meinung frei äußern zu können, „ohne Ärger zu bekommen“. So der Befund des aktuellen Berichts zur Deutschen Einheit.

Starker Journalismus ist es gewohnt, „Ärger zu bekommen“. Er dient als Prellbock zur Freiheit jedes einzelnen. Mal ist er Erklärer, mal Kitt, mal Kritiker, mal Impulsgeber, mal Mahner, mal Enthüller. Er kann unangenehm sein, das macht ihn so wertvoll.

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Unabhängiger Journalismus gibt den Zwischentönen Raum und bildet die Vielfalt von Haltungen und Meinungen ab. Die Freiheit des Wortes kann nicht immer Rücksicht auf Gefühle nehmen. Wer beleidigt ist, wurde nicht zwangsläufig beleidigt. Je mehr Dissens eine Gesellschaft erträgt, je mehr sie im Streiten ihren Frieden bewahrt, desto stärker ist sie.

Kluger Journalismus will einen statt spalten. Wir brüllen in den Sozialen Medien zu oft einander nieder und organisieren Shitstorms, um der anderen Meinung den Mund zu stopfen. Kluge Journalisten machen da nicht mit. Guter Journalismus braucht Vertrauen, und er braucht Menschen, die ihn bezahlen. Der beste Journalismus ist das Ergebnis eines gesamtgesellschaftlichen Engagements.

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur