Rheinland-Pfalz. Der Weinbau sieht sich klimatisch vor Herausforderungen. Im Interview mit dem aktuellen Pfalzclub-Magazin, das die Abonnenten dieser Zeitung hier lesen können, zeigt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI) in Bodenheim auf, welche neuen Wege Winzer deshalb bereits einschlagen.
Herr Büscher, wie haben sich die klimatischen Bedingungen in Rheinland-Pfalz in den vergangenen Jahren verändert, und wie beeinflussen sie den Weinbau?
Ernst Büscher: In den letzten 30 Jahren ist die Durchschnittstemperatur im Südwesten Deutschlands um über ein Grad Celsius angestiegen. Aufgrund der zunehmenden Erwärmung erreichen die Trauben höhere Reifegrade, was letztendlich zu besseren Weinqualitäten führt. Zum Vergleich: Bis in die 1970er-Jahre haben die Trauben in manchen Jahren nur die Mindestreife erreicht. Die Rotweine aus deutschen Anbaugebieten konnten bisher von den höheren Temperaturen am meisten profitieren. Durch die höhere Farbintensität und bessere Reifegrade sind sie international konkurrenzfähig geworden. Bei den Weißweinen muss allerdings zwischenzeitlich darauf geachtet werden, dass sie nicht zu alkoholisch werden und ihre Typizität verlieren.
Welche Herausforderungen ergeben sich für Winzer in Bezug auf Wetterextreme?
Ernst Büscher: Aufgrund von extremen Witterungsbedingungen nehmen Schäden etwa durch Hagel oder intensive Sonneneinstrahlung zu. Bei Temperaturen von weit über 30 Grad Celsius werden die Trauben beispielsweise durch Sonnenbrand geschädigt. Dabei trocknen die betroffenen Beeren ein und können nicht mehr verwendet werden. Lange anhaltende Trockenperioden können insbesondere auf leichten Böden mit geringer Wasserspeicherkraft zu Trockenschäden führen, die sich auch negativ auf die Weinqualität auswirkt. Ganz aktuell im April hat sich gezeigt, was passieren kann, wenn die Reben aufgrund extrem warmer Frühjahrstemperaturen zu früh austreiben und bei leichtem Frost im April erfrieren. Außerdem gibt es mit dem Klimawandel neue Rebkrankheiten wie die Schwarzholzkrankheit, die von der früher nur in Südeuropa vorkommenden Winden-Glasflügel-Zikade übertragen wird.
Welche Anpassungsstrategien werden von Winzern und Forschern entwickelt, um den Herausforderungen des Klimawandels im Weinbau zu begegnen?
Ernst Büscher: In Weinbergen, die besonders stark unter Trockenheit leiden, werden zwischenzeitlich immer öfter Tröpfchenbewässerungsanlagen installiert. Um längere Trockenphasen zu überstehen, können zudem bei der Neuanlage eines Weinbergs Reben verwendet werden, die auf stärkere und tiefer wurzelnde Unterlagen gepfropft sind. Zur Vermeidung von Spätfrostschäden an den jungen grünen Trieben wird seit einigen Jahren mit beheizbaren Drähten experimentiert, über die man im Frühjahr die Reben biegt. Damit die deutschen Weißweine und insbesondere der Riesling trotz zunehmender Erwärmung nicht zu schwer werden, kann man die Kulturführung der Reben im Weinberg ändern. So lässt sich etwa durch kürzere Laubwände die Reife verzögern, weil die Zuckerproduktion mit weniger Blättern verlangsamt wird.
Gibt es denn bestimmte Rebsorten oder Anbaumethoden, die sich als widerstandsfähiger gegenüber den veränderten klimatischen Bedingungen erwiesen haben?
Ernst Büscher: Bezüglich der Rebsorten sind es die neuen robusten „Piwis“, die besser an die aktuellen Herausforderungen des Klimawandels angepasst sind. Sie haben oftmals eine dickere Beerenschale, sind lockerbeerig und die neueste Generation wird zunehmend auf eine spätere Reife hin gezüchtet. Eine klimawandelangepasste Anbaumethode ist beispielsweise das sogenannte Minimalschnitt-Prinzip. Hier schneidet man die Reben im Winter nicht mehr auf einen oder zwei Triebe zurück, sondern lässt sie wachsen und kürzt sie nur mit dem Laubschneider ein. Aufgrund der dadurch entstehenden dickeren Laubwand wird das Risiko von Ertragsverlusten durch Sonnenbrand und Hagelschläge vermindert. In der Regel reifen die Trauben in Minimalschnittanlagen auch später, was vor allem in heißen Jahren ein weiterer Vorteil ist.
Wird der Anbau dieser robusteren Rebsorten forciert und gefördert?
Ernst Büscher: Bei den Verbrauchern wie auch bei den Weinerzeugern steigt das Interesse an den neuen nachhaltigen Rebsorten, die kaum noch Pflanzenschutz benötigen. Ihr Anteil an der bundesweiten Rebfläche lag 2022 bei rund drei Prozent - mit steigender Tendenz. In der Pfalz ist der Anbau von 2022 auf 2023 um ein Drittel auf rund 800 Hektar angestiegen, was 3,4 Prozent der pfälzischen Rebfläche entspricht. Staatlich gefördert wird der Anbau dieser Sorten nicht.
Gibt es altbekannte Rebsorten, die in dem Zusammenhang eine Wiederentdeckung feiern?
Ernst Büscher: Es gibt derzeit eine kleine Renaissance, was den Anbau historischer Rebsorten betrifft. Dazu zählt etwa der Gelbe Orléans, der früher einmal bei uns sehr verbreitet war. Er reift etwa zehn bis zwölf Tage später als der Riesling, was bei einer weiter zunehmenden Erwärmung ein Vorteil sein könnte. In der Aromatik ähnelt die Sorte dem Riesling, allerdings mit einer geringeren Intensität. Oftmals werden historische Sorten aber auch angebaut, weil man mit ihnen eine schöne Geschichte erzählen kann. Der Gelbe Orléans wächst hierzulande nur auf rund drei Hektar.
Welche Rolle spielt Zertifizierung und Qualitätskontrolle im Weinbau, und wie werden diese Aspekte von den Winzern wahrgenommen und umgesetzt?
Ernst Büscher: Zertifizierungen spielen insbesondere im ökologischen Weinbau eine große Rolle. Die zertifiziert ökologisch bewirtschaftete Rebfläche in Deutschland ist im Jahr 2022 auf 13.800 Hektar beziehungsweise 13,6 Prozent angewachsen, was einer Steigerung von 1300 Hektar gegenüber dem Vorjahr entspricht. Seit einigen Jahren entwickelt sich auch die Zertifizierung von nachhaltig wirtschaftenden Weinerzeugern sehr dynamisch. Die bedeutendste Qualitätskontrolle im deutschen Weinbau ist die Qualitätsweinprüfung, der sich seit 1971 jeder Qualitäts- und Prädikatswein unterziehen muss. Nur wenn ein Wein alle gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte einhält und geschmacklich den Charakter der Sorte und seiner Herkunft widerspiegelt, erhält er eine amtliche Prüfungsnummer, die auf dem Etikett angegeben werden muss.
Welche aktuellen Trends zeichnen sich in der deutschen Weinbranche ab, insbesondere in Bezug auf Verbrauchervorlieben und Vertriebskanäle?
Ernst Büscher: Alkoholfreie Weine bewegen sich mit rund einem Prozent Marktanteil zwar immer noch in einer Nische, sie haben 2023 jedoch im Handel 27 Prozent mehr Käufer gefunden, wodurch ihr Absatz ebenfalls um 27 Prozent gewachsen ist. Der Umsatz mit alkoholfreien Weinen legte im Handel mit 54 Prozent doppelt so stark zu. Im Einkauf dominieren seit einigen Jahren Weißweine den deutschen Weinmarkt.
Wie reagieren die Winzer und das Deutsche Weininstitut auf sich ändernde Trends, etwa steigende Nachfrage nach Bio- oder Naturweinen und auch alkoholfreie Weine?
Ernst Büscher: Wir greifen diese Trends natürlich kommunikativ auf und thematisieren sie beispielsweise in unseren Schulungen, in der Pressearbeit oder auf unseren zahlreichen Informationsreisen für deutsche und internationale Journalisten oder auch für Händler und Sommeliers aus dem Ausland. Die neuen robusten Rebsorten haben wir in diesem Jahr auf der weltweit größten Weinmesse ProWein dem Fachpublikum präsentiert. Auf den Präsentationen in den Auslandsmärkten zeigen wir zwischenzeitlich auch immer öfter Winzersekte und Rosés, die sich zuletzt qualitativ deutlich weiterentwickelt haben.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung im Weinbau, welche Chancen bietet sie?
Ernst Büscher: Die Digitalisierung hält wie bei uns allen auch im Weinbau Einzug in den Arbeitsalltag. So kann der Winzer mittlerweile beispielsweise im Herbst die Weinpresse oder den Gärverlauf im Fass bei Bedarf mit dem Smartphone überwachen oder die Arbeiten in jeder einzelnen Weinbergsparzelle digital managen. Die Künstliche Intelligenz (KI) wird künftig ebenfalls öfter im Weinbereich Anwendung finden. Im Weinbau, bei der Weinbereitung oder in der Vermarktung gibt es hierfür viele Anknüpfungspunkte. Ganz aktuell testet man bereits den KI-unterstützten Rebschnitt, der es auch ungelernten Arbeitskräften ermöglicht, Reben zu schneiden. 2023 lag ihr Mengenmarktanteil bei 47 Prozent. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die Burgundersorten. Von allen qualitätsgeprüften Weinen hatten die Roséweine im vergangenen Jahr einen Anteil von 16 Prozent - ein neuer Rekord. Bei Einkaufsstätten gewinnt der Onlinehandel immer mehr an Bedeutung. 13 Prozent aller Weine werden bereits online bezogen.
Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die Vielfalt der deutschen Weinlandschaft zu erhalten und zu fördern, insbesondere in Bezug auf regionale Spezialitäten und traditionelle Anbaumethoden?
Ernst Büscher: Die deutsche Weinbranche engagiert sich beispielsweise gemeinsam mit der Wissenschaft in Projekten, mit denen die Biodiversität nachhaltig gefördert werden soll. Dazu zählt das Programm zur „Entwicklung und Anwendung eines modularen Biodiversitäts-Toolkits für den Weinbau in Deutschland“ AMBITO, in dem über 80 Weinbaubetriebe gemeinsam mit der Organisation Fair’n Green sowie der Hochschule Geisenheim beteiligt sind. Des Weiteren gibt es spezielle von der Bundesregierung geförderte Nachhaltigkeitsprogramme zur Förderung der Biodiversität in Steillagen, unter anderem auch durch die Anlage von Querterrassen.
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