Kernkraft

Deponie Büttelborn muss Bibliser Bauschutt annehmen

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof zwingt die Deponie Büttelborn zur Annahme von freigegebenem Bibliser Bauschutt. Um  die schwach strahlende Abfälle gibt es Streit.

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Bernhard Zinke
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Im Kernkraftwerk Biblis laufen die Abrissarbeiten längst. © Bernhard Zinke

Biblis. Der Bergsträßer Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf (Grüne) kann sowohl seinen Ärger als auch seine Genugtuung kaum verbergen. Genugtuung deshalb, weil der hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel dem Abfallzweckverband des Kreises Bergstraße (ZAKB) vollumfänglich recht gegeben hat. Ärger deshalb, weil der Rechtsstreit den Zweckverband zwei Jahre und Anwaltskosten in sechsstelliger Höhe gekostet hat. Es ist ein Streit, der auch die aktuelle Diskussion rund um eine scheinbare Renaissance der Kernenergie in einem besonderen Licht erscheinen lässt.

Es geht darum, wo der sehr schwach strahlende radioaktive Müll aus den Kontrollbereichen des Kernkraftwerks Biblis deponiert werden kann. Es geht um 3.200 Tonnen. Jetzt ist das Urteil gefällt: Die Südhessische Abfall-Verwertungs GmbH (SAVAG) muss auf ihrer Deponie im 40 Kilometer von Biblis entfernten Büttelborn (Kreis Groß-Gerau) den Bauschutt annehmen, den die Atomaufsicht im hessischen Umweltministerium freigibt. Der Beschluss ist nicht anfechtbar. Damit darf der Bescheid des Regierungspräsidiums sofort umgesetzt werden.

Bauschutt strahlt mit maximal zehn Mikrosievert pro Jahr

Das Material stammt aus den einstmals radioaktiv belasteten Kontrollbereichen der beiden Kraftwerksblöcke. Von den Betonbrocken und Keramikscherben geht allerdings eine Strahlung von maximal zehn Mikrosievert pro Jahr aus. Zum Vergleich: Einmal die Zähne röntgen zu lassen, belastet den Körper mit fünf Mikrosievert. Die natürliche Strahlung in Deutschland beträgt etwa 2,1 Millisievert pro Jahr, liegt weit über Wert des Bibliser Mülls. Dessen Strahlung ist also de facto vernachlässigbar.

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Bernhard Zinke
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Gleichwohl tobt seit zwei Jahren ein heftiger Streit über den Verbleib des Mülls. Sowohl die Kommune Büttelborn, der Landkreis Groß-Gerau, der Grundstücksbesitzer des Deponiegeländes als auch eine Bürgerinitiative liefen Sturm gegen die Deponierungspläne. Das RP Darmstadt verpflichtete die SAVAG im Juli 2023 dazu, den Bauschutt aufzunehmen. Im endgültigen Bescheid fehlte jedoch die Anweisung zum Sofortvollzug.

Deponiebetreiber hat Frist für Klagebegründung versäumt

SAVAG und Grundstücksbesitzer der Deponie klagten gegen den Bescheid, der ZAKB beantragte beim Verwaltungsgericht Darmstadt die Anordnung des Sofortvollzugs, um die Lastwagen endlich losschicken zu können. Dem gab das Verwaltungsgericht im April 2024 statt. Auch gegen diesen Bescheid gab es Beschwerden und Klagen. Diese hat der Verwaltungsgerichtshof nun zurückgewiesen. Erstens sei der Grundstücksbesitzer gar nicht klageberechtigt. Und zweitens habe die SAVAG die Frist versäumt, um ihre Klage zu begründen.

In der Freimessanlage des Kernkraftwerks Biblis werden die Abfälle auf ihre Strahlung kontrolliert. © Bernhard Zinke

Matthias Schimpf garniert seinen Ärger mit deftigen Worten wie „Taschenspielertricks“. In Hinterzimmern habe man versucht, die Abfallschlüssel für die Deponie nachträglich zu verändern. Das Regierungspräsidium und die Landesregierung seien nicht in der Lage gewesen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Es sei ein „unerhörter Vorgang“, dass staatliche Stellen den ZAKB an der Erfüllung seiner Aufgaben gehindert hätten. Die Büttelborner BI nimmt Schimpf ausdrücklich von seinem Rundumschlag aus: Es sei das gute Recht von Bürgerinnen und Bürgern, Kritik an Entscheidungen zu üben. Auch sei der Umgang mit der BI immer respektvoll gewesen.

ZAKB und SAVAG sind beim Preis noch weit voneinander entfernt

Doch wann sich die ersten Lastwagen mit dem Bauschutt von Biblis in Richtung Büttelborn in Bewegung setzen, will Schimpf noch nicht prognostizieren. Denn es gibt zum Beispiel noch sehr unterschiedliche Vorstellungen über den Preis des freigegebenen Abfalls. Der handelsübliche Tonnenpreis dieser Abfallart liegt nach den Erkenntnissen der Bergsträßer Abfallentsorger bei 70 bis 90 Euro. Das würde bei 3.200 Tonnen rund 250.000 Euro Entsorgungskosten bedeuten. Die Forderungen der SAVAG als Deponiebetreiber liege aber noch „deutlich, deutlich darüber“, sagt der Kreisbeigeordnete, ohne konkrete Beträge nennen zu wollen. Wenn sich der Preis nicht auf dem Verhandlungsweg erzielen lasse, müsse das RP sehr zügig festsetzen, was ein angemessenes Entgelt für die Entsorgung ist.

In solchen Boxen wird freigemessenes Abbruchmaterial kurzfristig zwischengelagert. © Bernhard Zinke

Auch muss der Bauschutt noch einmal von der Atomaufsicht freigegeben werden, nachdem der Entsorgungsweg nun endgültig geklärt ist. „Wir werden es nicht hinnehmen, uns bei der Erfüllung unserer Aufgaben behindern zu lassen“, sagt Schimpf, „wenn das Land auf Zeit spielt, werden wir uns juristisch wehren.“ Und Zeit ist tatsächlich ein Faktor in der Frage. In Büttelborn darf nur bis zum 31. Dezember 2030 deponiert werden. Der Rückbau des Kraftwerks soll allerdings erst bis 2032 abgeschlossen sein.

Aktuell sind laut Kraftwerksbetreiber RWE rund 60 Tonnen abfahrbereit, erläutert Sprecher Alexander Scholl. Für weitere 240 Tonnen müssten nur noch die Unterlagen an die Aufsichtsbehörde eingereicht werden. Grundsätzlich begrüße RWE die Entscheidung zum sofortigen Vollzug. „Wenn wir zügig abbauen wollen, dann brauchen wir gesicherte Entsorgungswege.“

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