Mannheim. An diesem Samstag soll am Plankenkopf gegen Polizeigewalt in Mannheim protestiert werden. Der Anlass ereignete sich eine Woche zuvor, als der 49-jährige Ertekin Ö. bei einem Einsatz auf der Schönau erschossen wurde. Dazu teilten Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt (LKA) am Freitag weitere Einzelheiten mit. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Fall.
Wie kam es zu dem Polizeieinsatz am Tag vor Heiligabend?
Nach Behördenangaben rief Ertekin Ö. um die Mittagszeit den Notruf und teilte mit, in seiner Wohnung - genau genommen soll es die seiner Mutter sein - in der Johann-Schütte-Straße liege eine tote Person. Das ist neu. Bisher hieß es, er habe sich selbst einer Gewalttat bezichtigt.
Was fanden die Beamten bei ihrem Eintreffen vor?
Laut einem Augenzeugen waren der 49-Jährige und seine Mutter unter heftigem Geschrei schon im Treppenhaus auf die Straße gegangen, offenbar wollte er in einem Kiosk Zigaretten holen. Als der erste Streifenwagen vorgefahren sei, sei er herausgekommen. Das Hemd, das er sich später herunterriss, habe er noch angehabt, auch das Messer habe er erst danach herausgeholt.
Wie kam es zur Eskalation der Situation?
Die Mutter und andere der mittlerweile vielen Umherstehenden versicherten den Polizisten offenbar - so schildern es jedenfalls mehrere Zeugen - vergeblich, sie würden Ertekin Ö. schon beruhigen. Allerdings wussten die Beamten da noch nicht, dass das mit der angeblichen Leiche in der Wohnung nicht stimmte.
Auf welche Weise fielen die tödlichen Schüsse?
Auf Handyvideos sieht man, wie Ertekin Ö. oberkörperfrei in einer Entfernung von geschätzt acht bis zehn Metern drei Polizisten mit gezogenen Schusswaffen gegenübersteht. Sie rufen mehrfach „Messer weg“, er hält es weiter gesenkt in der Hand. Als der 49-Jährige weitere Schritte auf sie zugeht, fallen vier Schüsse und er sinkt getroffen zu Boden.
Wie viele Polizisten haben auf ihn geschossen?
Nur einer, wie Staatsanwaltschaft und LKA am Freitag bestätigten. Auch wenn mehrere Zeugen den Eindruck hatten, es seien mehrere gewesen. Sie kritisieren einen übertriebenen bis unnötigen Schusswaffeneinsatz, zumal alle Kugeln auf die Brust abgefeuert worden seien. Es heißt auch, ein Projektil sei in einem Auto eingeschlagen, hinter dem Kinder gestanden hätten.
Wieso fiel kein Warnschuss oder wurde nicht auf die Beine gezielt?
Das weiß man nicht. Allgemein gilt ein Messer unter Experten im Nahbereich als sehr gefährliche, unberechenbare Waffe. Zumal sich Angreifer oft selbst mit Kugeln nicht gleich stoppen lassen. Sie stehen dann so unter Adrenalin, dass sie Schusswunden erstmal nicht spüren.
Was weiß man mittlerweile alles über Ertekin Ö.?
Er war schon länger polizeibekannt. Es habe sich jedoch nicht um schwere Straftaten gehandelt, sagte dem „MM“ Emrah Durkal, ein Vertrauter der Familie. Ertekin Ö. sei früher drogenabhängig gewesen, aber seit zwei Jahren clean. Er habe unter schweren Depressionen gelitten, auch das müsse die Polizei gewusst haben. Zuletzt habe er Ärger mit dem Jugendamt gehabt. Ihm habe ein Entzug des Sorgerechts für seine 13 und 14 Jahre alten Töchter - eine dritte sei bereits volljährig - gedroht. Zudem hätte er zum Jahresende die Wohnung verlassen müssen.
Welche Staatsbürgerschaft hatte der 49-Jährige?
Die türkische, wie die Behörden am Freitag erstmals mitteilten. Das erklärt das große Medieninteresse in der Türkei. Dieses zeigte sich auch bei der Mahnwache auf der Schönau am Mittwoch, bei der die Initiatoren rund 700 Menschen zählten.
Wie viele kommen wohl zur Kundgebung am Samstag?
Das lässt sich schwer abschätzen, am Mittwoch waren sehr viele Anwohner von der Schönau da. Ursprünglich war die Kundgebung um 15 Uhr von der Initiative 2. Mai am Marktplatz geplant, weil dort an jenem Tag vergangenes Jahr ebenfalls ein Mensch bei einem Polizeieinsatz ums Leben kam. Aber wegen einer um 17 Uhr beginnenden Demonstration auf dem Marktplatz gegen den Gaza-Krieg muss nun an den Plankenkopf ausgewichen werden.
Wie geht es nun im Fall Ertekin Ö. weiter?
Er wird am Dienstag um 13 Uhr auf dem muslimischen Grabfeld am Hauptfriedhof öffentlich beigesetzt, wie Durkal am Freitag im Auftrag der Familie mitteilte. Sonst hängt alles von Staatsanwaltschaft und LKA ab, die sich bisher mit Informationen sehr zurückhalten. Fragen werden unter Verweis auf laufende Ermittlungen in der Regel nur ausweichend oder gar nicht beantwortet.
Liegt schon ein Ergebnis der Obduktion vor?
Am Freitag wurde nur mitgeteilt, Todesursache seien - wenig überraschend - die Polizeischüsse. Bis zum endgültigen Obduktionsergebnis werde es noch Wochen dauern.
Was haben die Ermittler sonst bisher gemacht?
Laut Mitteilung wurden bisher mehr als 20 Zeugen vernommen, Handyvideos mit einem Datenvolumen von insgesamt 130 Gigabyte ausgewertet sowie umfassende ballistische Untersuchungen eingeleitet
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