Mannheim. In einer Zeit, in der eine zerrissene, kriselnde Gesellschaft von Männern in kurzen Hosen noch zusätzlich deprimiert wird, bietet Rolf Miller das Kontrastprogramm: Der Odenwälder sitzt zwar auch in breitbeinigster Fußballerpose und austrainierten Waden in kurzer Hose auf der Bühne des ausverkauften Capitols. Aber bei den Vorstellungen des Kabarettisten verliert nur der Satzbau. Wie der Programmtitel „Wenn nicht wann dann jetzt“ schon klar macht, geht es bei dem Wortfindungsakrobaten aus Walldürn mehr als 90 Minuten einwandfrei am Sinn vorbei. Paradebeispiele: „Es kommt immer anders, wenn man denkt“, „Das musst du dir mal auf der Zunge vorstellen“, „Jeder dritte Politiker ist so dumm wie die anderen zwei“ und, und, und...
„Noch drei Bundestrainer – dann ist EM“
Okay, am Sinn vorbei ging es zuletzt beim mit Champions-League-Siegern gespickten Nicht-Team von Neu-Bundestrainer Julian Nagelsmann genau so. Nur Miller ist dabei unterhaltsam – und seine verbalen Fehlpässe und Stockfehler passieren mit Absicht. Und sie begeistern. Vor allem, wenn sich der 56-Jährige den Fußball vorknöpft: Das Spiel sei viel schwerer als Handball, leitet er harmlos ein, „praktisch unlösbar – zumindest bei uns.“ Heiter keckernd prophezeit er mit Blick auf die Europameisterschaft 2024: „Nur noch drei Bundestrainer – dann ist EM!“
Die „beinrasierten Wollmützenträger“ in der Nationalelf („Der Kimmich heult ja schon, wenn der Ozonwert nicht stimmt“) goutiert Millers kernig-beschränkte Kunstfigur genau so wenig wie deutsche Weltverbesserungsversuche bei der WM in Katar.
"Deutsche Außenpolitik mit Armbinde - da muss du aufpassen"
„Der Infantilo“ (gemeint ist Fifa-Chef Gianni Infantino) habe sich auf der Tribüne doch totgelacht über die Toleranz-Armbinde von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, sagt Miller. Und legt eine von den Pointen nach, die beim Lachen wehtun: „Deutsche Außenpolitik mit Armbinde – da musst du aufpassen.“
"Warum soll ich gendern?"
Politisch korrekt ist Miller nur über Bande. Denn seine Kunstfigur, ein im überschaubaren Odenwälder Umfeld festbetonierter Bildungsallergiker, hat offensichtlich nicht den ganz tiefen Teller erfunden. Das schafft live genug Distanz zu misogynen Sprüchen, Umweltignoranz („Wir haben nix gegen die Propeller – aber doch nicht bei uns“) und mangelnder Begeisterung für queere Lebensweisen („Heute gibt’s doch alles: Schwul, quer LGB-Ding, Umbau (...) so lang’s net in der Verwandtschaft ist“). Die Prügelstrafe habe ihm nicht geschadet („Gut, mein Sprachzentrum hat ’nen Treffer“) und er fragt: „Warum soll ich Gendern? Für mich sind alle gleich blöd.“ Und mitten im Satz eine Pause lassen – „das mache ich seit Jahren“.
Harte Kost für politisch korrekte Gemüter
Für empfindsame „woke“ Seelen ist das harte Kost. Zumal wenn sie das Konzept Kunstfigur nicht akzeptieren und einzelne Gags eines Satireprogramms wie Thesen aus einem politischen Essay verhandeln. Mit der jungen Generation, Klimaklebern und Co. geht Miller trotzdem hart ins Gericht („Wenn du denen die SIM-Karte ziehst, sind sie bewusstlos“). Dann kommt ein erstaunlich korrekter Satz: „Der Idealismus wächst mit der Entfernung zum Problem.“
Erstauntes Raunen. „Der ist nicht von mir. Sonst wär’s ein Halbsatz.“ Traditionell ist das Ende: „Jetzt haben wir die großen Themen der Menschheit wieder geklärt. Gibt’s Fragen?“ Die gibt es nicht.
Anfänge in Mannheim-Neckarau
Und statt einer Zugabe spielt Miller ein paar Parodien mit Prominenten auf der Toilette aus seiner Anfangszeit 1991, als er in Mannheim-Neckarau lebte. Dort hatte er einen seiner ersten Auftritte in Gehring’s Kommode hatte. Ein amüsanter Abschluss eines heftig beklatschten Abends im Capitol.
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