Schriesheim. Samstagmittag, der Platz vor dem Zehntkeller. Viele Bürger sind gekommen. Unter ihnen Rudi Kling. „Ich habe ihn noch persönlich gekannt“, sagt der 87-jährige Alleinunterhalter: „Ein eindrucksvoller Mann.“ Die Rede ist von Georg Rufer, Bürgermeister von 1920 bis 1933 und 1945 bis 1952. Genau am 90. Jahrestag seiner Amtsenthebung durch die Nazis und wenige Wochen nach seinem 70. Todestag wird er durch seine Stadt geehrt: mit Benennung dieses historischen Platzes.
Erinnerung an Georg Rufer in Schriesheim: „Sein Wirken umfasst eine Zeit voller Zäsuren“
„Bürgermeister Rufer war eine herausragende Persönlichkeit, die sich mit Leidenschaft, Engagement und Hingabe für das Wohl unserer Stadt eingesetzt hat“, begründet Rufers später Nachfolger Christoph Oeldorf das einmütige Votum des Gemeinderates. Und er macht dessen Zielrichtung deutlich: „Ein Platz, der den Namen Georg Rufer trägt, ist nicht nur als Erinnerung an seine Arbeit, seine Errungenschaften für Schriesheim gedacht, sondern auch als Inspiration für zukünftige Generationen, sich für die Demokratie und das Gemeinwohl einzusetzen.“
„Sein Wirken umfasst eine Zeit voller Zäsuren“, betont Stadtarchivar Dirk Hecht in seinem historischen Rückblick. 1888 wird Georg Rufer geboren als Urenkel eines Schriesheimer Bürgermeisters, der ebenfalls innovativ war. So wollte dieser die Heidelberger Straße beleuchten, doch der Gemeinderat war dagegen. „So stand eine einzelne Laterne vor seinem Haus.“
Georg Rufer - Vater der Winzergenossenschaft
Georg Rufer absolviert eine Verwaltungsausbildung. 1920 wird er zum Nachfolger des verstorbenen Bürgermeisters Karl Hartmann gewählt. Und übernimmt das Amt in schwieriger Zeit. „Man sagt immer Goldene Zwanziger, aber das waren sie beileibe nicht“, erinnert Hecht: „Es waren katastrophale Jahre.“ Wirtschaftskrisen, Inflation, Wohnungsnot. Dennoch gelingt es Rufer, Zeichen zu setzen: 1925 der erste Mathaisemarkt nach dem Kriege, 1927 Einweihung des Kriegerdenkmals, 1930 Gründung der Winzergenossenschaft, zu der er mit einem Treffen im Rathaus die Initiative ergreift.
„Ein Segen und eine herausragende Idee“, wie WG-Ehrenvorsitzender Friedrich Ewald betont: „Das war ein Meilenstein für den Weinbau in Schriesheim.“ Denn ohne gemeinsame Vermarktung sind die Winzer zuvor der wirtschaftlichen Macht der Kunden ausgeliefert.
Schwarz-rot-gold am Rathaus in Schriesheim - ein hilfloses Aufbäumen
1929 wird Rufer wiedergewählt, doch die Zeiten ändern sich. 1930 wird die NSDAP stärkste Fraktion im Rat, stellt die Hälfte der Sitze. Hier und auf der Straße agitiert sie gegen den Bürgermeister: „Er wurde für die Nationalsozialisten zur absoluten Hassfigur“, erläutert Hecht. Rufer versucht, ihrem Treiben Einhalt zu gebieten, von übergeordneten Stellen dabei aber kaum unterstützt. Denn auch dort dreht sich der Wind.
Nach der Machtergreifung in Berlin am 30. Januar 1933 hissen die Nazis am Rathaus die Hakenkreuzflagge, Rufer lässt Schwarz-rot-gold hängen - ein hilfloses Aufbäumen. Am 22. Juli 1933 setzt ihn der Nazi-dominierte Gemeinderat ab. „Dies war nicht nur eine Niederlage für Georg Rufer, sondern für alle Demokraten“, betont Bürgermeister Oeldorf. Die Nazis verweigern Rufer die Pension. Er wird verleumdet, wegen angeblicher Dienstvergehen angeklagt. Eine schwere Zeit für ihn. „Aber er ist daran nicht zerbrochen“, so Hecht.
Einen Tag nach der Besetzung der Stadt am 29. März 1945 setzen die Amerikaner Rufer in sein altes Amt ein: „Die Demokratie war wieder hergestellt“, so Oeldorf. Die neu gewählten Gemeinderäte bestätigen ihn einstimmig, auch die Schriesheimer bei der ersten Direktwahl des Bürgermeisters am 1. Februar 1948 mit 75 Prozent. Wieder sind die Aufgaben gigantisch: Hunger, Mangel an Heizmaterial, Wohnungsnot für Vertriebene, Entnazifizierung.
1952 muss Georg Rufer sein Amt aufgeben
„Dass er sich als Racheengel Genugtuung verschaffte, ist nicht bekannt - trotz der Dinge, die sie ihm angetan hatten“, erinnert Walter Schlippe, Ehemann einer Enkelin von Rufer. „Er hat niemanden angeschwärzt“, bestätigt Enkel Thomas Rufer: „Es wäre für ihn ein leichtes gewesen, diejenigen, die vorher große Parteifunktionäre gewesen waren, anzuzeigen und dafür zu sorgen, dass sie nicht wieder Schuldirektoren wurden wie hier“, berichtet Rufer. „Ob es im Ergebnis richtig war, weiß ich nicht“, bekennt er.
1952 sind Rufers gesundheitliche Leiden so groß, dass er sein Amt aufgeben muss. Er stirbt 1953. „Damit hat sich das Leben eines standhaften Demokraten vollendet, der durch verschiedene Systeme diese Stadt geprägt hat“, bilanziert Dirk Hecht.
Nicht erwähnt wird von ihm, dass der todkranke Demokrat noch erleben muss, wie sein Gegner Fritz Urban, NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von 1933 bis 1945, die Bürgermeisterwahl von 1952 gewinnt. Nur die Landesregierung verhindert, dass er ins Rathaus einzieht.
Langes Warten auf eine Würdigung
Jahrzehntelang ist es vor allem die Familie von Georg Rufer, die das Andenken an ihn wach hält. „Ich danke der Familie Rufer, dass Sie nie aufgehört haben, sich für diese Ehrung stark zu machen“, betont denn auch Bürgermeister Oeldorf. Im Zuge der Diskussion um Straßennamen, konkret um die Hans-Pfitzner-Straße, wird 2022/23 das Anliegen, Rufer zu ehren, aktuell. FDP und SPD stellen im Gemeinderat den Antrag, der einstimmig beschlossen wird.
„Das war kein Selbstläufer, es bedurfte eines strategischen Vorgehens“, betont Walter Schlippe vieldeutig: „Dass es so lange gedauert hat, erschließt sich jedem, der sich für die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert interessiert.“
Für Bürgermeister Rufers Persönlichkeit stehen jene Musikstücke, die Trompeter Stanislav Klimow zur Feier intoniert: zu Beginn die Europahymne, am Ende „I did it may way“.
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