Mannheim. Bald muss er an den Augen operiert werden - ein Routineeingriff wegen grauen Stars, aber es beschäftigt Patrick Roth verständlicherweise doch. Anfang des Jahres ist seine hoch betagte Mutter gestorben, was der in Mannheim lebende Schriftsteller erst recht als Zäsur empfunden hat. Und diesen Sonntag wird er 70 Jahre alt. Er versucht, all dem eine symbolische Lesart zu geben. Denn so, wie dieser Autor schreibt und sich in Büchern zeigt, so ist und lebt er auch.
Mit 70 könnte es darum gehen, eine neue Sichtweise zu gewinnen, sagt er. Was man verliert, die eigene Mutter, dem gilt es, im Inneren eine Entsprechung zu geben. Man müsse gleichsam selbst mütterlicher werden, noch mehr beheimatet und behütet in sich selbst.
Jüngstes Buch "Gottesquartett"
Das ist seit langem sein Leitthema: Die Bedeutung im Äußeren, das Höhere, auf das wir ursprünglich bezogen sind, ist uns vielfach abhandengekommen. Kein Zufall, dass Religion und Kirche weniger Bindekraft als früher entfalten. Doch was da fehlt, gilt es im Inneren zu finden und auszubauen, um in Einklang mit sich zu kommen und sich wirklich zu entsprechen.
Träume können dabei helfen, meint der Kenner tiefenpsychologischer Literatur, der besonders den 1961 verstorbenen Psychiater C. G. Jung hoch schätzt. Auch das Schreiben dient dieser Sache - und so versteht Patrick Roth auch seine Bücher. Der Verlust des Höchsten ist im jüngsten Buch „Gottesquartett“etwa durch die Anspielung auf den Brand der Kirche Notre-Dame markiert.
Patrick Roth
- Patrick Roth, geboren am 25. Juni 1953, wuchs in Karlsruhe auf, von 1975 bis 2012 lebte er in den USA, seither in Mannheim.
- Zu seinen wichtigen Büchern zählen die „Christus-Trilogie“ (2000, „Riverside“, „Johnny Shines“, „Corpus Christi“), „Starlite Terrace“ (2004), „Sunrise – Das Buch Joseph“ (2012), „Die amerikanische Fahrt“ (2013) und „Gottesquartett“ (2020). Roth wurde mehrfach geehrt.
- Über sein Werk hat er den Filmessay „In My LIfe – 12 Places – Remember“ realisiert. Lesungen seiner Texte und Gespräche mit ihm unter www.mythograph.de
Es gelte, das Verlorene im Inneren wieder zu errichten, sagt Roth. Denn in einem Alltag weitgehend frei von traditionellen metaphysischen Ausdrucksformen ist es nicht zu finden. Und wer seine Partnerin oder den Partner als „Retter“ oder „alles“ empfindet, muss mit dieser überfordernden Haltung scheitern.
Tiefenpsychologische Kategorien
Wer sich fortwährend nur zerstreuen lässt, wofür die alltägliche Gegenwart reichlich Gelegenheit bietet, lebe an sich vorbei, sagt Roth. Seine Bücher arbeiten dagegen an. Dass es die Literatur heute schwerer hat, merkt natürlich auch er. Vielleicht merkt er es sogar erst recht mit seinen tiefschürfenden Werken, die eine konzentrierte Lektüre erfordern. Schwer fällt notwendigerweise auch immer das Schreiben, so wie aktuell, da er intensiv an einem Buchprojekt arbeitet, dessen erste Anfänge bereits Jahre zurückliegen.
Wie bei jedem echten Schriftsteller, so sind auch bei Patrick Roth Inspiration, Motivation und Schreibprozess wesentliche Kategorien der täglichen Arbeit, nur charakterisiert er all das eben auf tiefenpsychologische Art. Die Literatur ist differenzierter und blickt tiefer auch als der Film.
Mehr als die Hälfte seines Lebens in den USA
Dass sich Roth vom Regisseur, Drehbuch- und Hörspielautor, der er war, zum Erzähler entwickelte, hat seinen guten Grund. Aber stilistisch wirkt die in den USA begonnene Filmarbeit - er lebte dort mehr als die Hälfte seines Lebens - immer noch nach. Von besonderer Anschaulichkeit, eben sehr bildhaft ist sein Schreiben. Berühmte Filmszenen kommen darin immer wieder vor; seinem Verhältnis zu Chaplin hat er einen ganzen Erzähltext gewidmet. Seine Sätze, Gedanken machen sich buchstäblich präsent - und sind entsprechend ausgefeilt.
So hat er sich einen ganz eigenen Stil erschrieben - und einen guten Ruf. Doch ein Erfolgsautor ist Patrick Roth verständlicherweise nicht geworden. Seine Bücher betreffen eigentlich alle mit den Fragen, denen sie nachgehen, den biblischen, überhaupt religiösen und mythologischen Motiven, die sie aufgreifen, sei es Berufung oder Auferstehung. Aber geschätzt werden sie doch nur von bestimmten Leserinnen und Lesern.
Seine „Christus-Trilogie“ oder der Erzählband „Starlite Terrace“ haben gleichwohl einen festen Platz in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Wohnt in Mannheim am Neckar
Bei allem literarischen Anspruch ist Patrick Roth privat ein umgänglicher, herzlicher und legerer Zeitgenosse. Mit seiner Partnerin, der Germanistin Michaela Kopp-Marx, wohnt er in Mannheim am Neckar. Er schätzt die Lage dort, die Nähe zur Natur, die er auf häufigen Spaziergängen zur Maulbeerinsel auskostet. Und die Sonnenuntergänge, die er von der Wohnung aus sieht, sagt er, seien keinesfalls schlechter als die im kalifornischen Santa Monica, wo er lebte, bevor er 2012 nach Mannheim zog.
Zurück zu den Wurzeln
Für ihn war das eine Rückkehr zu den Wurzeln. In Karlsruhe ist er aufgewachsen, seine Mutter kam aus der Rhein-Neckar-Region, die für Patrick Roth ein Kindheitsort gewesen ist. So kam er auch auf sich selbst zurück, als er nach Deutschland zurückkehrte. Das Leben und die Literatur Patrick Roths berühren sich eben auf vielfältige Weise.
Wovon sein aktuelles Buch näher handelt? Dazu will er nichts sagen. Es ginge auch gar nicht, weil einem „das Buch voraus ist“ und nicht vor dem Ende wirklich fassbar sei, meinte er. Sein Opus Magnum ist der Roman „Sunrise“ von 2012. Vielleicht wird das neue Buch ähnlich groß und komplex werden.
Patrick Roth bleibt jedenfalls dran, auch wenn es viel Arbeit und Mühe bereitet. Fürs Buch und die eigene Zukunft wünscht man ihm alles Gute. Und gratulieren darf man Patrick Roth zum 70. ebenso wie zum bisher erschriebenen Gesamtwerk.
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