Mannheim. Wer kauft was ein? Zur Auswahl stehen Water (Wasser), Apples (Äpfel), Scones (Milchbrötchen), Sausages (Würstchen) und vieles mehr. Adam, Luca, Ellie und Berry sprechen sich ab – auf Englisch. Und die Kinder der Klasse 6b an der Kerschensteiner Gemeinschaftsschule hören genau zu, nachdem Englischlehrerin Tabea Mund die Audiodatei mit der Unterhaltung gestartet hat. „Ist die Aufgabenstellung klar?“, fragt sie in die Runde. Ja, bei fast allen. Aber ein Schüler braucht noch einen kleinen Hinweis. Anikka Gärtner-Lulay geht zu ihm und spricht leise zu ihm.
Die beiden Lehrerinnen praktizieren etwas, das es in Mannheims Schulen genauso selten gibt wie im ganzen Land oder bundesweit: Sie unterrichten im Team. Das Lehrerinnen-Tandem spielt sich im vorbereiteten Dialog verbal die Bälle zu, um danach die Schülerinnen und Schüler einzubinden. Oder die Pädagoginnen teilen sich auf. Ein Beispiel aus den vergangenen Tagen: Tabea Mund hat zwei Kinder, die die Sprache schon recht gut beherrschen, aus dem Klassenverband herausgenommen. In einem eigenen Raum üben sie das Sprechen – vertieft mit einer Zusatzübung, die über das durchschnittliche Niveau hinausgeht. Umgekehrt kommt es vor, dass schwächere Schülerinnen oder Schüler in das Differenzierungszimmer gehen, um in der Kleinstgruppe nachzuholen, was andere schon beherrschen.
Lehrer-Tandems, Teamteaching: Dass ist aus professioneller Sicht absolut sinnvoll. In ihrem Buch „Teamteaching – Eine neue Kultur des Lehrens und Lernens“, erschienen 2016 im Weinheimer Beltz-Verlag, führen Meike Kricke und Kersten Reich das aus. Den gleichen Frontalunterricht für alle, von jeher das Grundmodell des Lehrens und Lernens in der Schule, halten sie für überholt. Dieses „One-size-fits-all“-Modell werde der Individualität der Lernenden nicht gerecht – vor allem in heterogenen Lerngruppen.
Die heterogenen Lerngruppen – also Schülerinnen und Schüler ganz unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft, mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen – sind insbesondere in Grundschulen gang und gäbe. Doch gerade hier, in den ersten vier prägenden Jahren, sieht es personell schlecht aus. Nach Angaben der Bildungsgewerkschaft GEW bildet Baden-Württemberg beim zahlenmäßigen Verhältnis der Schülerinnen und Schüler zu den Lehrkräften das Schlusslicht: Platz 16 von 16 Bundesländern.
Doppelte Leitung in jeder Klasse
Immerhin: Im selben Bundesland gibt es seit knapp zehn Jahren Gemeinschaftsschulen (GMS). Dort lernen Kinder und Jugendliche auf unterschiedlichen Leistungsniveaus in einer Klasse. Deshalb sind die GMS – wie eben die Kerschensteinerschule im Stadtteil Schönau – personell etwas besser ausgestattet. Pro Klasse bekommt Leiter Benjamin Fuchs etwa eine Stunde pro Woche zusätzlich. Durch schulorganisatorische Maßnahmen ermögliche man einige weitere Zweier-Belegungen. So gibt es für jede Klasse eine doppelte Leitung.
Anikka Gärtner-Lulay und Florian Hoffmann beispielsweise bilden das Klassenlehrer-Team für die 6b. „Es ist unglaublich angenehm, dass man einen Kollegen hat, mit dem man sich intensiv über ein Kind austauschen kann“, sagt die Lehrerin für Deutsch, Geografie, Geschichte, Ethik und Kunst. Das heißt aber nicht, dass die beiden ständig gemeinsam unterrichten. Eine „verlässliche Doppelbesetzung“, so Gärtner-Lulay, sei an zwei Stunden pro Woche möglich. Hinzu kommen allerdings noch die Teams aus Fachlehrkraft und Klassenleitung – wie im zuvor beschriebenen Englischunterricht.
Auch in den Abschlussklassen versuche man verstärkt, in Teams zu arbeiten, berichtet Tabea Mund. Das sei „besonders wichtig und gut“ in der Prüfungsvorbereitungsphase. Man versuche auch zu berücksichtigen, welche Klassen schwächer seien und deshalb besonders gefördert werden müssten, sagt Benjamin Fuchs. Aber trotz der geringfügig besseren Ausstattung der GMS findet er: Der Teamunterricht „ist ein Tropfen auf den heißen Stein“.
Kretschmann: „Viel hilft nicht viel“
Wie wäre es also mit mehr Lehrkräfte-Tandems im Unterricht – vor allem in den Grundschulen und den ersten Klassen der weiterführenden Schulen? Oder zumindest mit dem verstärkten Einsatz von Pädagogischen Assistenten, die (noch) keinen Abschluss haben? „Die würden ja auch schon reichen als Unterstützung“, meint Benjamin Fuchs.
Aus fachlicher Sicht spricht vieles dafür. Was spricht dagegen? Natürlich: der Lehrkräftemangel. Dem man mit höheren Ausbildungskapazitäten und attraktiveren beruflichen Rahmenbedingungen begegnen müsste. Und generell: das liebe Geld. Doppelbesetzungen in Schulen würden viel kosten. Aber sie wären eine lohnende Investition in die Zukunft. Vielleicht kommen die Koalitionäre in Berlin in den nächsten Tagen zu dem Schluss, dass deutlich mehr in die Bildung investiert werden müsste. Aber die ist noch immer Ländersache. Und da hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Blick auf die Anzahl der Lehrer vor einigen Wochen gesagt: „Viel hilft nicht viel.“ So lange er dieser Meinung ist, wird sich wenig tun.
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