Mannheim. Mikail Kibar, Vize-Vorsitzender der Ditib-Gemeinde würde sich freuen, wenn jeder Mannheimer einmal in seinem Leben die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee besuchen würde. Außerdem wünscht er sich, dass künftig auch in Mannheim der Muezzin vom Minarett ruft. Konkrete Pläne gibt es dafür aber noch nicht.
Herr Kibar, wie wohl fühlen Sie sich als Muslim in Mannheim?
Mikail Kibar: Ich wohne hier seit ich 16 bin und fühle mich natürlich sehr gut in dieser wunderbaren Stadt. Dass in Mannheim viele Muslime in der Mitte der Gesellschaft und nicht am Rand leben, wird ja schon dadurch sichtbar, dass es mehrere Moscheen im Zentrum der Stadt gibt. Unsere Gemeinde ist ein sehr aktiver Player hier.
Mannheim sieht sich als eine multikulturelle Stadt. Ist sie wirklich ein Vorbild für eine gelungene Integration oder ist das nur ein Slogan ohne große Substanz?
Kibar: Mannheim ist auf jeden Fall ein Vorbild. Es gibt schon seit vielen Jahren einen hervorragenden interreligiösen Dialog zwischen der jüdischen und der muslimischen Gemeinde und den christlichen Kirchen. In diesem Ausmaß kennen das andere Städte meines Wissens eher nicht. Wenn die Menschen sagen: „Mannheim ist meine Heimat“, dann ist das für mich jedenfalls der Ausdruck einer gelungenen Integration. Und ich habe in der Moschee noch keinen getroffen, der gesagt hätte: „Ich fühle mich in Mannheim nicht zu Hause.“ Dennoch ist die Integration natürlich keine Einbahnstraße. Es geht auch um Teilhabe. Deshalb verwende ich lieber den Begriff Partizipation. Wissen Sie, was ein Integrationsparadox ist?
Nein.
Kibar: Der in Deutschland geborene Politikwissenschaftler Aladin El-Mafaalani hat ihn geprägt. Wenn der Grad der Integration steigt, nehmen auch die Konflikte zu.
Das müssen Sie erklären.
Kibar: Als die türkischen Gastarbeiter vor Jahrzehnten ins Land kamen, saßen am Tisch nur die alten weißen Männer. Die haben den Kuchen unter sich verteilt. Die Gastarbeiter saßen am Boden, für sie gab es nur die Krümel, die herunterfielen. Irgendwann sagten ihre Kinder: So jetzt haben wir eine gute Schulausbildung, nun wollen wir auch ein Stück vom Kuchen haben. Die gelungene Integration kann, wie dieses Beispiel zeigt, dann eben zum Streit führen. Wenn eine türkische Putzfrau ein Kopftuch trägt, stört das keinen. Bei einer Lehrerin oder Ärztin ist das anders. Oder denken Sie daran, dass es in Baden-Württemberg für uns Muslime keinen konfessionsgebundenen Religionsunterricht und in Mannheim nur einen muslimischen Kindergarten mit 40 Plätzen gibt. Und natürlich haben es Menschen mit türkischen Namen viel schwieriger, wenn sie sich um eine Stelle bewerben oder eine Wohnung suchen.
Als die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee 1995 eröffnet wurde, war sie die größte in Deutschland. In der Mannheimer Stadtgesellschaft gab es auch Ressentiments.
Kibar: Wie die Stimmung damals war, kann ich Ihnen nicht sagen, ich war 1995 ja noch in Heidelberg und ein kleiner Junge. Aber offensichtlich haben sich diese Ressentiments längst in Luft ausgelöst.
Woran machen Sie das fest?
Kibar: Wir Muslime sind doch inzwischen ein integraler Bestandteil der Stadt geworden. Unsere Moschee hat sich zur Touristenattraktion entwickelt. Viele kommen nur nach Mannheim, um unsere Moschee zu besuchen. Übrigens nicht nur Muslime. Kürzlich hatten wir eine Führung mit 100 Bundeswehrsoldaten. Die sind extra hierhergekommen, obwohl es in Straßburg auch eine Moschee gibt. Aber unsere in Mannheim zieht die Menschen offensichtlich besonders an. Sie ist ja auch sehr schön. Wir haben pro Jahr mehrere Zehntausend Besucher. Es kommen auch viele Schulklassen. Es wäre aber schön, wenn jeder Mannheimer einmal in seinem Leben die Moschee besuchen würde. Die Moschee ist immer und für alle offen. Wer will, kann auch nur für einen Kaffee bei uns vorbeikommen.
Sie geraten ja richtig ins Schwärmen. Könnten Sie mir mal erklären, was eine Moschee so attraktiv macht? Sie ist ja offensichtlich nicht nur der Treffpunkt, an dem sich die Muslime über ihren Glauben austauschen.
Kibar: Die Moschee ist in der Tat nicht nur eine Gebetsstätte. Sie ist auch ein sozialer Mittelpunkt. Alle Menschen können sich hier unabhängig von ihrem Glauben zum Austausch treffen. Ich habe einen Freund, der ist Katholik, und betet hier manchmal, wenn seine Kirche geschlossen ist. Außerdem hat die Moschee wie die Kirchen oder die Synagoge auch einen Bildungsauftrag. Es gibt also Unterricht. Auch für die Kinder ist Platz. Als ich noch klein war, haben wir aus den Socken einen Fußball gemacht und gekickt. Die Moschee ist im Prinzip unser Lebensmittelpunkt.
Hier im Jungbusch läutet gerade die Glocke der Jugendkirche Samuel direkt neben der Moschee . Stört Sie das als Muslim?
Kibar: Nein. Warum denn? Dass Kirchenglockenläuten gehört zur Tradition und zur Religionsfreiheit.
Aber der Muezzin darf bisher nicht vom Minarett rufen.
Kibar: Ja, das passt natürlich nicht zur Religionsfreiheit, die auch für uns Muslime gelten muss. Sie wissen ja, dass es ein Herzenswunsch unserer Gemeinde ist, dass auch in Mannheim der Muezzin rufen darf.
Wie in Köln?
Kibar: Genau. Wir haben uns sehr gefreut, dass die Stadt Köln das erlaubt hat. Wir haben aber keine konkreten Pläne für Mannheim, obwohl wir über dieses Thema oft nachdenken. Ich kann aber versprechen: Wir werden nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen. Das war auch beim Moschee-Bau so. Wir wollen mit der Gesellschaft die Schritte gemeinsam gehen. Ich bin guter Dinge, dass dies auch in dieser Frage fruchten wird.
Mikail Kibar
Mikail Kibar wurde am 12. März 1991 als Sohn einer Deutschen und eines Türken in Heidelberg geboren. Er hat deshalb zwei Pässe.
Sein Abitur machte er 2011 am Mannheimer Elisabeth-Gymnasium.
Kibar studierte Internationale Betriebswirtschaftslehre in Emden, den Master in Digitalisierung und Transformation schloss er an der Steinbeis School of Management and Innovation in Stuttgart ab.
Kibar arbeitet als Unternehmensberater in Mannheim.
Er ist stellvertretender Vorsitzender der muslimischen Ditib-Gemeinde und ist für die Öffentlichkeitsarbeit der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee im Jungbusch verantwortlich.
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