So stellt man sich einen Gamer vor. Die Maus auf dem Bildschirm – schneller als das Auge blicken kann. Gefühlt 1000 Tabs innerhalb des Internetbrowsers geöffnet. Klick. Klick. Neue Seiten öffnen sich. Klick. Eine Seite verschwindet. Klick. Kuchendiagramme. Klick. Zahlen, Prozentzeichen. Übertragen wird dieses Erscheinungsbild über ein Videotelefonat – der Sprechende teilt seinen Bildschirm mit seiner Gesprächspartnerin. Rechts neben dem Browser-Ballett: der Sprecher – Patrick Ostkamp mit Headphone am Schreibtisch. Der Leiter Produktmanagement Digital in der Haas Mediengruppe – er redet schnell. Nutzt Anglizismen. Lacht viel. Ist begeistert, versteht sein Fach. Und sein Fach, das ist die Analyse im digitalen Raum.
Ostkamp hat kürzlich seine Abteilung neu gegründet. Denn die Digitalisierung macht auch vor ehemals reinen Printzeitungshäusern nicht Halt. Das hat die Mediengruppe verstanden, das hat Ostkamp verstanden. Seine ganze Abteilung ist auf das Digitale getrimmt. Produktmanagerinnen und -manager, Web-Analystin, Social-Media-Managerin, SEO/SEA-Managerin. Letztere kümmert sich um die sogenannte Suchmaschinenoptimierung. „Search Engine Optimaziation“ – SEO. Das A im zweiten Teil steht für „Advertising“. Werbung. Alles Berufe, die es so in der Vergangenheit nicht gab. „Man muss schon sagen: Wir hatten früher auch eine privilegierte Situation. Wir hatten in der Region das Informationsmonopol“, sagt Ostkamp. Heute, erklärt er, müssten wir wissen, was unsere Leserinnen und Leser wollen.
„Unsere Redakteurinnen und Redakteure lassen sich nur bedingt von den Daten leiten, die wir datenschutzkonform erheben und auswerten“, erklärt Ostkamp. „Journalismus muss überraschen.“ Doch zu wissen, wie unsere Nutzerinnen und Nutzer unser Produkt erleben, welche Themen für sie spannend sind, könne Hinweise darauf geben, wie wir Inhalte aufbereiten – und auch, wo Informationsbedarf herrscht. Datadriven oder Data-informed – wie wollen wir arbeiten? Ersteres ist die Herangehensweise eines Boulevard-Mediums. Datengetrieben passen sie ihre Inhalte danach an, was Klicks zieht. Denn mit Klicks verdient man Werbegeld.
Die Tageszeitungen der HAAS Mediengruppe, darunter auch der „Mannheimer Morgen“, haben sich auf die zweite Herangehensweise spezialisiert. Im Hinterkopf haben, was wie gut läuft, sich davon aber nicht ausschließlich leiten lassen. Es geht aber nicht nur um die Inhalte. Auch um die Nutzerfreundlichkeit der Angebote steht im Fokus von Ostkamps Team. Und hier kommt die Web-Analystin ins Spiel: Wie oft und wann springen Menschen ab? Werden Artikel oder Unterseiten des Web-Auftritts gefunden? Wie findet man sich auf der Website zurecht? Besucht man unsere Seite über einen Computer, ein Tablet oder Smartphone? Über welchen Kanal kommen die Menschen zu uns? Die Web-Analystin hat all diese Werte (und viele mehr) im Blick, konstruiert Kennzahlen, überlegt, wie wir das Produkt für die Nutzenden so angenehm wie möglich machen können.
Auch Madeleine Süßlin schwört auf Daten. Die Abteilung, die sie leitet, klingt sogar noch kryptischer als Ostkamps Team. CRM & Business Intelligence. Wow. Aufgeschlüsselt bedeutet es: „Customer Relationship Management & Business Intelligence“. Kundenbeziehungsmanagement und intelligentes Arbeiten. Alles auf Grundlage von Daten. Dafür hat Süßlin eine eigene Stelle geschaffen: den Junior Business Intelligence Analyst. Das Team arbeitet quasi als interner Dienstleister der gesamten Mediengruppe. Wie hat eine Marketing-Kampagne funktioniert und was können wir daraus lernen? Wir planen eine neue Kampagne – wen schreiben wir am besten an? Wie baue ich dafür das Team auf? Woher kommen die relevanten Daten? Wenn Süßlin von der Stellenbeschreibung spricht, ist Feuer in der Stimme. Wörter sprudeln heraus, die für Laien schwer nachvollziehbar sind – bei der Erläuterung wird es aber umso spannender. „Es werden Datenmodelle generiert, Analysen gemacht, Monitorings, Optimierungen, Planungsmethodiken,“ erklärt sie. „Das alles stellen wir dann in bunten Grafiken visualisiert dar.“ Diese „bunten Grafiken“ – das sind bspw. Kuchen- oder Balkendiagramme, Kennzahlen oder Verteilungen auf Landkarten. „So können die unterschiedlichsten Fachabteilungen daraus ihre Schlüsse ziehen, ihre Kampagnen anpassen oder auch Geschäftsmodelle ausbauen.“ Alles in allem ist alles digitaler geworden. Und Daten geben den Ton an.
Aber warum? „Ein elementarer Eckpfeiler für die Optimierung und den Ausbau erfolgreicher Geschäftsmodelle ist der Bereich Business Intelligence und die Visualisierung von Daten“, erklärt Süßlin. Daten als die neue Währung der Arbeitswelt. „Denn das Wissen etwa über Prozesse, Kunden, Abläufe, Umsatzvolumen oder Prognosen über die Zukunft, kann das Ergebnis steigern.“ Man müsse sein Unternehmen kennen, um es zu steuern. „Früher war es mehr ein Bauchgefühl, die Erfahrung, aber auch sehr viel aufwendige, manuelle Arbeit. Heute sind es tiefe Einblicke in das Geschehen per Knopfdruck.“ Und Süßlins Team aus echten Datenmenschen besteht, hat sich die 30-Jährige für eine gesonderte Ausbildung stark gemacht. „Wir beschäftigen hier nun zusätzlich einen DHBW-Studenten – Wirtschaftsinformatik/Data Science.“
DHBW – das ist die Duale Hochschule Baden-Württemberg. Und der Wirtschaftsinformatiker? Der ist laut DHBW genau das, was Süßlin mit ihrer Abteilung repräsentiert: eine Schnittstelle zwischen Informatik und Wirtschaftswissenschaften. Fachleute für computergestützte betriebliche Informations- und Kommunikationssysteme, heißt es bei der DHBW. Und die spielen eine entscheidende Rolle in der Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung – perfekt für Madeleine Süßlin.
Apropos Ausbildung – auch die ist allgemein auch digitaler geworden.
Ein großer, ovaler Tisch im obersten Stock des Hauptgebäudes der Mediengruppe. In der Mannheimer Dudenstraße, dort sitzen drei Frauen. Drei Frauen, die das Thema Ausbildung verinnerlicht haben. Eine der drei ist selbst noch am Lernen. Lilian Urban heißt sie – noch ist sie Auszubildende Medienkauffrau. Aber nicht mehr lange. Dann unterstützt sie das Team von Heidrun Wolf in der Personalabteilung. Auch sie sitzt mit am Tisch, genauso wie Swantje Hefftler, die künftig für Azubis, Studentinnen und Studenten zuständig ist. Urban hat sich viel Mühe gemacht für das Gespräch. Wie sahen früher die Ausbildungen im Haus aus – wie heute? „Den Fachinformatiker gibt es seit 1997 bei uns“, erklärt die 18-Jährige. „Kurz darauf – im Jahr 2001 – war es dann die Ausbildung Informatik- und IT-Systemkaufmann.“ Heute werden hier Fachinformatiker für Systemintegration ausgebildet.
Urban hat auch mit Menschen gesprochen, die seit vielen Jahren hier im Haus arbeiten. Menschen, die schon in der Mediengruppe gelernt haben. Studiert beispielsweise: „Früher hieß es aber noch Berufsakademie Mannheim“, sagt Urban. Mit Yvonne Wenzel, heute Verkaufsleitung Regional, hat sie gesprochen. „Sie hat hier ihren Diplom-Betriebswirt BWL-Verlagswesen gemacht.“ Das klingt sehr Print-lastig. Und ja, das war es auch. Heute studiert man Digitale Medien – Mediapublishing und Gestaltung, Digitale Medien – Medienmanagement und Kommunikation, Medien- und Kommunikationswirtschaft, Marketing Management und – wie erwähnt – Wirtschaftsinformatik – Data Science. Nicht nur die Namen klingen modern. Nein, auch der Inhalt ist digitaler, frischer, diverser.
„Früher war vieles nur auf BWL und Vertrieb ausgerichtet. Heute wird die Ausbildung breiter, technischer und digitaler“, erzählt Personal-Chefin Wolf. Und damit hat es sich für Ausbildungsleiterin Swantje Hefftler nicht erledigt. „Wir entwickeln unsere Ausbildungen immer weiter“, erzählt sie. „Wir wollen die Menschen, die hier zum Lernen herkommen, auch für bestimmte Stellen ausbilden.“ Stellen, die womöglich noch gar nicht in der Mediengruppe etabliert sind. Aber durch die Digitalisierung unvermeidbar sein werden.
Und dann wäre da noch die Redaktion. Auch hier ändert sich vieles, wird alles digitaler, schneller – und immer mehr auf soziale Medien ausgerichtet. Wie bei den „Fränkischen Nachrichten“. Denn: Wie gut gedruckte Inhalte gelesen werden, das lässt sich nur ansatzweise über die Verkaufszahlen der Zeitung feststellen. Online ist das anders. Hier lässt sich Live mitverfolgen, was gut läuft, was die Menschen der Region bewegt. „FN“-Geschäftsführer Jochen Eichelmann erklärt, dass es online zwei Schwerpunkte gibt, auf die geachtet werden muss: „Content und Conversion“, sagt er. Wieder englische Fachtermini.
Bezahlschranke – unliebsames Thema
„Wir haben hier bei den ,Fränkischen Nachrichten’ jetzt eine Content-Managerin, die diese Schwerpunkte abdeckt“, erzählt Eichelmann. Der Content – also der Inhalt – wird von der Managerin betrachtet. Egal ob im Nachrichtenportal oder auf den Social-Media-Kanälen, sie hat alles im Blick. Daneben betreut sie auch Nutzerinnen und Nutzer auf diesen Kanälen. Stellt jemand eine Frage? Wie sieht es mit Kommentaren aus? Ist rechtswidriger Inhalt in den Kommentaren? Fake News? All das hat es früher nicht gegeben. Doch soziale Medien haben die Welt verändert. Und Zeitungsverlage müssen darauf reagieren.
Auch hier fällt wieder häufig der SEO-Begriff. Zur Erinnerung: Das ist die Suchmaschinenoptimierung. Redakteure und Redakteurinnen müssen sich vor allem bei ihren Überschriften fragen: Würde ich das auch so in die Google-Suche eingeben? Beantwortet man die Frage mit nein, ist die Überschrift für Online-Kanäle nicht unbedingt optimal. Und dafür steht auch die Content-Managerin bereit. Die beobachtet die Texte, die ins Online-System einlaufen. Sind sie nicht SEO-optimiert, überlegt sie gemeinsam mit den Autorinnen und Autoren, wie man daran noch feilen kann.
Und „Conversion“? Auf Deutsch bedeutet das „Umwandlung“ – und tatsächlich, darum geht es auch. Welches Thema hat die Menschen in den vergangenen Tagen ganz besonders beschäftigt? Das lässt sich, nachvollziehen, wie wir ja jetzt gelernt haben. Sollten wir hier noch einmal nachlegen? Vielleicht könnten wir das Thema kommentieren – und so für die Nutzerinnen und Nutzer einordnen. Die Umwandlung findet dann auch statt, wenn gesehen wird: Das Thema läuft – vielleicht sollten wir es nun hinter die Bezahlschranke setzen. Für viele ist das ein unliebsames Thema. Schließlich hat man gelernt, Online-Inhalte gratis beziehen zu können.
Wie viel Arbeit hinter der Online-Welt steckt, wird schnell vergessen.
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