Mannheim. Es war das Kernversprechen der SPD im Bundestagswahlkampf 2021: zwölf Euro Mindestlohn. Kann gut sein, dass dieser Coup der Sozialdemokraten Olaf Scholz die Kanzlerschaft sicherte. Der Mindestlohn wird allerdings nicht auf einen Schlag, sondern in zwei Schritten angehoben. Im Juli stieg er von 9,60 auf 10,45 Euro. Und am 1. Oktober steigt der Mindestlohn auf zwölf Euro. Zur Erinnerung: Bei der Einführung 2015 lag er noch bei 8,50 Euro und wurde dann Jahr für Jahr jeweils nur noch um kleinere Cent-Beträge angepasst.
Heftige Kritik der Arbeitgeber
Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung betrifft die Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro pro Arbeitsstunde rund 22 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse. Das sind etwa doppelt so viele wie bei der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015. Profitieren werden demnach vor allem Beschäftigte in Mini- und Teilzeitjobs sowie Neueinsteiger. Allerdings waren sowohl Einführung als auch Erhöhung des Mindestlohns in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft umstritten. Die Kritiker warnten vor den hohen Kosten, die die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen gefährden könnten und vermuteten, dass der Mindestlohn letztendlich zu einer höheren Arbeitslosigkeit führen könnte.
Der Arbeitgeberverband BDA monierte die Erhöhung nach dem Wahlsieg der Ampel aus prinzipiellen Gründen. Die Politik habe die Zusage gebrochen, dass die Mindestlohnkommission die Lohngrenze festlege. In diesem Gremium bestimmen Arbeitgeber und Gewerkschaften die Erhöhungsschritte. Die Kommission soll laut Gesetz erst nach der außerplanmäßigen Erhöhung wieder zuständig werden. Aus der Kritik der Arbeitgeber lässt sich zumindest indirekt schließen, dass sie der Zwölf-Euro-Marke nicht zugestimmt hätten.
Vor diesem Hintergrund ist es begrüßenswert, dass die Mindestlohnkommission eine Studie beim Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Auftrag gegeben hat. Das Ergebnis der Untersuchung: Die Einführung des Mindestlohns 2015 sowie die erste Erhöhung 2017 hat kaum zu Unternehmenspleiten geführt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten sogar fest, dass manche Branchen durch die Lohnuntergrenzen produktiver wurden - und auf diese Weise den Wettbewerb insgesamt förderten.
Die Forscher untersuchten, wie sich eine Lohnuntergrenze auf Wettbewerbsindikatoren wie Marktaustritte und die Arbeitsproduktivität auswirkt: „Hauptaspekt unserer Untersuchung waren die Lohnkostenerhöhungen, die durch den Mindestlohn verursacht werden und am Ende die Wettbewerbsbedingungen von Unternehmen beeinflussen“, sagt ZEW-Wissenschaftler Moritz Lubczyk, Mitautor der Studie.
Kein Anstieg der Arbeitslosigkeit
Ein wichtiges Ergebnis: Sowohl die Einführung 2015 als auch die erste Erhöhung des Mindestlohns 2017 hatten nicht zur Folge, dass sich die Wettbewerbsintensität für Unternehmen in Deutschland verändert hat - zumindest nicht wesentlich. In Arbeitsmarktregionen, in denen mehr Beschäftigte vor der Mindestlohneinführung weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten, verließen zwar Kleinstunternehmen, also Unternehmen mit vier oder weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Markt. Gezeigt hat sich das vor allem in den ehemaligen ostdeutschen Bundesländern. Dort war der Bruttodurchschnittslohn 2015 niedriger als im Westen.
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Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist das aber nicht zwingend ein Problem: „Oft sind es die unproduktiveren Unternehmen, die den Markt verlassen. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit konnte jedoch nicht beobachtet werden. Solange die Arbeitsnachfrage hoch ist, finden die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei anderen Unternehmen eine Folgebeschäftigung“, sagt Lubczyk.
Die Studie bestätigt aber auch, dass in Branchen, die besonders von der Einführung des Mindestlohns betroffen waren die Arbeitsproduktivität - also der Umsatz im Verhältnis zu den eingesetzten Arbeitskräften - angestiegen ist. Zu diesen Wirtschaftszweigen zählen zum Beispiel das Spiel-, Wett- und Lotteriewesen, aber auch die Werbebranche oder das Verlagswesen.
Woran liegt das? Die Studie gibt mehrere Erklärungsansätze: „Das kann damit zusammenhängen, dass Unternehmen verstärkt in Kapital, also Maschinen oder Technologien, investieren und somit ihre Arbeitskräfte produktiver einsetzen“, sagt der ZEW-Forscher. Es sei aber auch denkbar, dass Unternehmen statt auf geringfügige mehr auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse setzten. Damit würde auch die Produktivität der Beschäftigten steigen, so Lubczyk. Ein weiterer Grund: „Wenn vor allem weniger produktive Unternehmen aus dem Markt austreten, dann steigt die durchschnittliche Produktivität der gesamten Branche“, sagt der Wissenschaftler.
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