Familien-Serie

Warum Frauen oft in die Mental-Load-Falle tappen

Zwei Elterncoaches warnen vor den Folgen, wenn die Mental Load ungleich verteilt ist, und erklären, was Unternehmen tun können, um Väter und Mütter stärker zu entlasten - auch im eigenen Interesse

Von 
Bettina Eschbacher
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Arbeiten und sich um die Kinder kümmern: Diese Doppelbelastung trägt in vielen Familien nach wie vor die Frau. © Guido Kirchner/dpa

Mannheim. Frau Claassen, Herr Seltmann, Sie beraten Unternehmen, wie sie Väter und Mütter in ihrer Belegschaft besser unterstützen können. Wo hakt es denn besonders?

Andreas Seltmann: Egal, wo wir hinkommen, als größtes Thema wird uns Mental Load genannt und der dringende Wunsch nach Entlastung.

Mental Load hört man gerade oft, aber was bedeutet das genau?

Heike Claassen: Der Begriff ist vor zwei, drei Jahren aufgekommen. Mental Load heißt, dass die Care-Arbeit, also alles, was mit Fürsorge innerhalb und außerhalb der Familie zu tun hat, meist nur von einer Person geleistet wird. In der Regel sind das Frauen, weil wir mit alten Rollenbildern aufgewachsen sind. Selbst Paare, die sich vornehmen, es anders zu machen, rutschen da sehr schnell wieder rein. Das liegt auch oft noch an den Arbeitgebern. Bei Frauen ist ganz selbstverständlich, dass sie Elternzeit machen. Bei Männern heißt es in Unternehmen oft noch, dass sie damit ihre Karriere gefährden.

Experten für Vereinbarkeit

  • Heike Claassen und Andreas Seltmann sind Coaches in dem noch jungen Netzwerk Working Parents. Neun Experten und Expertinnen beraten Unternehmen, wie sie Mitarbeitende mit Kindern unterstützen können.
  • Heike Claassen ist Geschäftsführerin von CP Coaching und tätig als Therapeutin mit eigener Praxis in Lorsch. Außerdem ist sie Fachberaterin Psychische Gesundheit und Gefährdungsbeurteilung.
  • Die Diplom-Sozialpädagogin ist Spezialistin auf dem Gebiet des Eltern-Coachings. Sie gibt auch Seminare für Mitarbeitende bei Konzernen in der Region.
  • Andreas Seltmann lebt in Freiburg. Er ist Buchautor und freiberuflicher Berater für Employer Branding und Personalmarketing, vor allem für Mittelständler.
  • Er bezeichnet sich als „leidenschaftlicher Vater“, baut Väternetzwerke in Unternehmen auf und ist als Dozent und Moderator tätig.

Jetzt werden die meisten Männer sagen: Ich unterstütze doch meine Frau!

Claassen: Aber darum geht es nicht. Es geht darum, ein Team zu sein, sich die Care-Arbeit wirklich gerecht aufzuteilen. Davon sind wir in den meisten Familien noch weit entfernt. Nehmen sie den Kindergeburtstag, ein ganz simples Beispiel. Der Mann fährt den Sohn brav zum Geburtstag. Aber wer besorgt die Adresse des Freundes? Wer sagt das Fußball-Training ab, das gleichzeitig stattfindet? Wer kümmert sich um das Geschenk? All das Drumherum übernimmt die Frau - und das ist Mental Load. Seltmann: Das hängt aber auch am betrieblichen Umfeld, das es Vätern immer noch besonders schwer macht. Was glauben Sie, was für Sprüche Väter heute noch zu hören bekommen, wenn sie ihre Kinder um 16 Uhr von der Kita abholen wollen!

Welche denn?

Seltmann: Zum Beispiel: Hast du keine Frau zu Hause? Oder es ist partout nicht möglich, das Meeting um 9 Uhr statt um 8:30 Uhr anzusetzen, damit ein Kollege noch die Kinder in den Kindergarten bringen könnte. Das macht den Mitarbeitenden einen extremen Druck. Und die trauen sich nicht, die Probleme anzusprechen. Wenn wir die Beschäftigten dazu bringen, dass sie gegenseitig in den Austausch kommen, schafft das erst mal eine große Erleichterung: ,Oh, ich bin ja nicht allein!’ Langfristig muss sich die Unternehmenskultur ändern. Es gibt noch viele Tabu-Themen. Es muss klar sein, man darf sich melden und sagen, dass man überlastet ist.

Es gibt doch auch immer mehr Eltern, die gemeinsame Modelle finden.

Claassen: Ja, ich habe gerade mit einem Paar gesprochen, die beide mehrere Monate Elternzeit nehmen und danach beide auf 50 Prozent Teilzeit gehen.

Seltmann: Aber dann darf man nicht vergessen, die Aufteilung immer wieder neu zu verhandeln. Die Paare müssen sich neu ausrichten, sobald sich die Rahmenbedingungen ändern. Etwa, wenn die Kinder groß sind, aber die Eltern gepflegt werden müssen.

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Was raten Sie Ehepartnern, die sich überfordert von Job und Familie fühlen?

Claassen: Ins Gespräch gehen, das ist der erste Rat. Ich hatte in der Corona-Zeit ein Coaching für die Mutter von zwei kleinen Kindern. Sie und ihr Mann waren beide im Homeoffice. Sie hat gearbeitet und sich um die Kinder gekümmert, er hat die Tür hinter sich zugemacht. Sie hat ihm schließlich erklärt, dass sie am Ende sei und sie beide das jetzt zusammen machen müssten. Und sie war völlig verblüfft, als er sofort bereit dazu war. Ich gebe Paaren auch gerne einen Vereinbarkeits-Test mit, das bringt einen schönen Aha-Effekt. Und dann rate ich dazu, gute Absprachen zu treffen, Tage auch durchzuplanen, etwa wer wann die Wäsche macht.

Und wie ist es beim Kindergeburtstag?

Claassen: Am besten den Mann gleich mit in die entsprechende Whatsapp-Gruppe aufnehmen. Dann erfährt er alles, um was er sich kümmern muss. Dafür müssen wir Frauen uns aber auch von unserem Perfektionismus verabschieden und den Mann so machen lassen, wie er es für richtig hält. Ist doch wurscht, ob der Pulli rechts- oder linksherum aufgehängt wird. Wir müssen lernen loszulassen.

Sie warnen vor den Folgen von Mental Load. Was kann passieren?

Claassen: Erschöpfung, Burnout, vor allem bei Frauen. Viel Streit, viel Stress in der Beziehung. Mental Overload kann auch dazu führen, dass Paare sich trennen. Die Frauen sagen irgendwann: ,Ich kann nicht mehr.’ Das beobachte ich oft in meinen Coachings.

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jab
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Das klingt aber doch nach Privatsache, was geht das Unternehmen an? Warum sollten die mehr Entlastung schaffen?

Seltmann: Da sind durchaus wirtschaftliche Aspekte drin: weniger Krankentage, denn psychische Überlastung führt zu körperlichen Beeinträchtigungen. Mitarbeitende zu entlasten sorgt für leistungsfähigere Beschäftigte, die den Kopf frei haben. Auch eine höhere Mitarbeiterbindung, geringere Fluktuationsraten sowie eine gesteigerte Wahrnehmung als attraktiver Arbeitgeber sind positive Folgen. Claassen: Flexible Arbeitszeiten, Jobsharing, Homeoffice, längere Elternzeiten für Väter - solche Angebote sind längst noch nicht in allen Unternehmen selbstverständlich. Die, die gute Modelle anbieten, werden in Zeiten des Fachkräftemangels weiter gute Mitarbeitende bekommen. Für die anderen wird es dagegen immer schwerer. Da kommt eine Generation auf uns zu, die andere Modelle leben will. Junge Menschen können sich den Arbeitgeber aussuchen. Sie gehen dahin, wo sie als Mensch - und später als Eltern - gesehen werden.

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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