Finanzen

Warum die Deutschen immer noch in ihr Bargeld vernarrt sind

Obwohl die Bedeutung von Euro-Scheinen und -Münzen abnimmt, horten die Deutschen Unmengen davon. Ein großer Reiz liegt offenbar immer noch in der Anonymität der Barzahlung

Von 
Sabine Rößing
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Rund 40 Prozent ihrer Finanzgeschäfte wickelten die Deutschen zuletzt immer noch in Scheinen und Münzen ab. © Marijan Murat/dpa

Die Deutschen horten eine Unmenge an Bargeld. Der sogenannte Banknotenumlauf in Deutschland, also die kumulierten Banknoten-Nettoemissionen, betrugen nach Angaben der Deutschen Bundesbank zum Jahresende 2023 etwa 921 Milliarden Euro. Das ist umso erstaunlicher, als Geldscheine und Münzen als Zahlungsmittel eigentlich europaweit immer weniger eine Rolle spielen. Fachleute sprechen vom „Bargeldparadoxon“: Die Bedeutung sinkt, aber der Umlauf steigt.

Die netto ausgegebene Bargeldmenge nehme kontinuierlich zu, registriert die für die Bargeldversorgung zuständige Bundesbank. Auch die fortschreitende Digitalisierung des Massenzahlungsverkehrs ändere an diesem Trend bislang nichts, konstatiert ebenfalls die Europäische Zentralbank (EZB). Im gesamten Eurosystem ist die Bundesbank nach eignen Angaben der mit Abstand größte Bargeldemittent.

Boston Consulting Group untersuchte Beliebtheit elektronischer Bezahlvorgänge in Europa

Die Boston Consulting Group (BCG) untersuchte im vergangenen September die Beliebtheit elektronischer Bezahlvorgänge in Europa. Im Vergleich mit 17 anderen europäischen Ländern landet Deutschland im hinteren Mittelfeld. Im Jahr 2022 beglichen Deutsche Forderungen laut BCG-Erhebung durchschnittlich 284 Mal digital. Ein deutlicher Abstand etwa zu den Norwegern, die beim Bezahlen mit Smartphone, Bank-, oder Kreditkarte mit 708 Transaktionen pro Jahr die Spitze bilden. Aber auch die Dänen (610) und Luxemburger (598) greifen deutlich häufiger zur Karte. „In Deutschland wird immer noch gerne mit Bargeld bezahlt“, sagt die Professorin Carmela Aprea, die am Mannheimer Institute for Financial Education (MIFE) zum Sparverhalten der Deutschen forscht: Rund 40 Prozent ihrer Finanzgeschäfte wickelten die Deutschen immer noch in Scheinen und Münzen ab.

Allerdings wurde ein großer Teil der ausgegebenen Banknoten trotz Inflation bislang offenbar als Wertaufbewahrungsmittel genutzt. Im Ausland sei der Euro eine beliebte Reservewährung, ähnlich wie der US-Dollar, registriert die Bundesbank.

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In Umfragen berichtet etwa ein Viertel der Befragten regelmäßig, Bargeld als Vorrat beiseitezulegen, auch als Notreserve. Männer, Ältere und Wohlhabende verfügen laut Statistik im Alltag über mehr Bares. Im Durchschnitt waren es im Jahr 2021 rund 100 Euro. Aber auch viele junge Menschen, aufgewachsen in der digitalen Welt, entdecken Scheine und Münzen offenbar neu. Bargeld kann man anfassen und in eine Schublade legen. Das erleichtert es, den Überblick zu bewahren. „Vor einer Weile gingen junge Leute mit ihrem Bekenntnis viral, Bargeld in verschiedenfarbigen Umschlägen zu Hause aufzubewahren, um ihre Ausgaben zu kontrollieren“, sagt Aprea.

Menschen mit niedrigem Einkommen häufig auf Bargeld angewiesen

Menschen mit niedrigem Einkommen sind außerdem häufig auf Bargeld angewiesen, weil ihnen der elektronische Geldtransfer schwerer gemacht wird, betont Aprea. Viele digitale Finanzdienstleistungen seien für sie entweder gar nicht erhältlich oder zu teuer.

Ein großer Reiz liegt offenbar immer noch in der Anonymität der Barzahlung. Der Grazer Professor für Wirtschaftssoziologie Klaus Kraemer fand in einer Studie heraus, dass über die Hälfte der Befragten ihren Bargeldvorrat mit dem Schutz ihrer Privatsphäre begründeten. Auch Misstrauen gegenüber Banken könne eine Rolle spielen: Die Möglichkeit zu bezahlen, auch wenn die Bank geschlossen hat oder pleite ist.

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Außerdem hilft es nicht, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung die digitalen Bezahlprozesse nicht mehr versteht. „Internationale Zahlungsverkehrsströme werden immer komplizierter und intransparenter“, sagt Aprea. „Viele Menschen sind verunsichert.“

Einen Schub erhielten Online-Bezahlvorgänge dagegen durch die Pandemie. Viele Händler stellten ihre Systeme um und akzeptieren Kartenzahlungen auch für kleinere Beträge. Der Online-Handel legte zu. Tatsächlich zog aber auch die Nachfrage nach Banknoten weiter an: „Höher war die Wachstumsrate nur in den Monaten nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008“, registriert die EZB. Und das, obwohl die Auslandsnachfrage in den Pandemie-Monaten wegen der Reisebeschränkungen schwach ausfiel.

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Ein Motiv für anschwellende Bargeldreserven ist somit vermutlich die Zunahme von Krisen: Umweltkatastrophen, Kriege, Cyberkriminalität: Bargeld vermittelt ein Gefühl von Sicherheit. Bargeld genieße in der Bevölkerung ein sehr hohes Vertrauen, analysiert die Bundesbank. Das zeige sich besonders in Krisensituationen und unsicheren Zeiten.

Die Akzeptanz digitaler Bezahlvorgänge werde auch von äußeren Rahmenbedingungen abhängen, prognostiziert Aprea. Gesetzgeber und Finanzdienstleister stünden vor der Aufgabe, Vertrauen auszubauen und die Resilienz des Zahlungsverkehrs zu sichern.

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