Rhein-Neckar. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat rund um den Globus für Schockwellen an den Kapitalmärkten gesorgt. „Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden. Es herrscht Krieg in Europa“, sagt Portfolio-Manager Thomas Altmann von QC Partners. Weltweit rauschten Aktienkurse nach unten, viele Investoren flüchteten in Anlagen wie Gold und deutsche Staatsanleihen, die in Krisenzeiten als sicher gelten.
Für die Wirtschaft der Region geht es weniger um das Exportgeschäft. In Hessen und Baden-Württemberg lag der Anteil an Exporten nach Russland und in die Ukraine bei rund zwei Prozent. Trotzdem befürchtet die IHK Rhein-Neckar „schwerwiegende Folgen für den Außenhandel mit beiden Ländern“ sowie für die Energie- und Kapitalmärkte. „Die Verwerfungen an den Märkten erschweren den dringend benötigten kräftigen Aufschwung nach der Corona-Pandemie“, sagt Präsident Manfred Schnabel. „Diese ökonomischen Überlegungen sollen aber nicht verdecken, dass der Krieg zuvorderst menschliches Leid bedeutet.“ Man sei in Gedanken bei allen Opfern und Menschen, deren Leib und Leben gefährdet sei.

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Heidelberger Druckmaschinen
Das Unternehmen mit Stammsitz in Wiesloch hat in der Ukraine eine kleine nationale Niederlassung mit rund 20 lokalen Angestellten. „Um die machen wir uns natürlich Sorgen“, sagt Personalleiter Rupert Felder. „Bisher haben wir gedacht, unsere Niederlassung in Kiew ist relativ weit weg von den riskanten Gebieten in der Ukraine. Aber seit heute hat sich die Situation natürlich drastisch geändert.“ Man sei in Kontakt mit den Beschäftigten vor Ort. Neben der Sorge um die Mitarbeitenden beschäftigt den Druckmaschinenhersteller die Befürchtung vor steigenden Energiepreisen. „Alles, was da jetzt rund um die Energieversorgung in Gang kommt, ist äußerst dramatisch“, sagt Felder und verweist etwa auf die eigene Gießerei des Unternehmens am Standort Amstetten: „Das ist ein hochenergieverbrauchendes Produktionsverfahren.“
John Deere
Auch beim Traktorenhersteller John Deere mit seinem großen Mannheimer Werk beobachtet man die Energiepreisentwicklung mit Sorge. „Für die Grundlast haben wir im Moment noch längerfristige Verträge. Aber wir wissen natürlich, dass die Versorger steigende Einkaufspreise irgendwann an uns weitergeben werden“, sagt ein Sprecher. Am Mannheimer Standort werde der Großteil des Energiebedarfs über Strom abgedeckt, etwa ein Fünftel entfalle auf Gas, das vor allem in der Härterei benötigt werde. Als Exportmarkt hat Osteuropa für die Mannheimer Traktorenfabrik unterdessen keine große Bedeutung. In den Landwirtschaftsbetrieben in der Ukraine und in Russland kämen vor allem größere und auch einfachere Maschinen zum Einsatz. In Mannheim werden dagegen vor allem mittelgroße Traktoren im Premiumsegment gebaut. Der Konzern insgesamt hat zwei Fabriken in Russland, die den lokalen Markt zum Teil bedienen.
HeidelbergCement
Auch bei HeidelbergCement, das drei Zementwerke in Russland betreibt, sind internationale Lieferbeziehungen nicht das Problem. Der Zement werde in Russland produziert und auch dort verkauft, erklärt Vorstandschef Dominik von Achten. Das Russland-Geschäft macht ein Prozent des Umsatzes aus. Die Ukraine-Aktivitäten wurden schon 2019 verkauft. Viel mehr Sorgen bereiten von Achten die Energiepreise, da die Zementherstellung sehr viel Energie benötigt.
„Es gibt überall Angriffe“
Das Software-Start-up SKIY31 aus Mutterstadt realisiert für Unternehmen IT-Projekte, unter anderem mit Spezialisten-Teams aus der Ukraine.
Herr Shcherbina, Sie haben in der Ukraine etwa 15 Mitarbeitende. Wie ist die Lage dort?
Konstantin Shcherbina: Unser Office in der Ukraine ist in Lwiw. Ich habe versucht, mit allen vor Ort Kontakt aufzunehmen – die meisten Mitarbeitenden konnte ich erreichen. Für sie steht jetzt die Sicherheit ihrer Familien im Vordergrund. Der Mann einer Mitarbeiterin versucht zum Beispiel, von Kiew nach Hause zu kommen, aber es ist schwierig, Tickets zu bekommen. Einige sind zu Angehörigen weiter im Westen des Landes gefahren. Wir hören aber, dass es überall in der Ukraine Einschläge und Angriffe gibt. Es gibt kein Gebiet, das sicher ist.
Halbwegs normales Arbeiten ist kaum möglich, oder?
Shcherbina: Einige Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine haben heute versucht, so gut es geht zu arbeiten. Für die Menschen vor Ort ist wichtig, dass die Wirtschaft weiter funktioniert, sie müssen ja das Einkommen für ihre Familien sichern. Ich denke, dass wir unsere laufenden Projekte in der Ukraine weiter realisieren können. Der Vorteil an der IT ist, dass man von überall arbeiten kann. Für unser Geschäft ist eher die Frage, wie sich der Krieg auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und weltweit auswirkt und ob Unternehmen weiter in IT-Projekte investieren.
Sie sind in der Ukraine geboren und aufgewachsen. Wie geht es Ihnen mit der Situation?
Shcherbina: Die letzten Tage waren schwer. Ich mache mir Sorgen, wie meine Eltern in der Ukraine zurechtkommen. Und ich frage mich, was Putin vorhat: Will er sich wirklich auf Straßenkämpfe einlassen? Was mich betroffen macht: Ich kenne die russische Propaganda aus meiner Kindheit, aus der Berichterstattung in Bezug auf den Krieg von Russland mit Georgien, und weiß, wie sie funktioniert – mit wie vielen Lügen. Viele Menschen in Russland glauben das aber und unterstützen Putin. Sie werden ihn nicht stoppen.
Südzucker
Der Mannheimer Südzucker-Konzern ist mit Agrana seit 1997 in der Ukraine tätig, beschäftigt dort rund 550 Mitarbeiter und verarbeitet in Vinnitsa - rund 300 Kilometer südwestlich von Kiew - Früchte zu Fruchtzubereitungen und Konzentraten. Kunden sind Molkereien und Getränkehersteller. Bislang läuft die Produktion in Vinnitsa planmäßig. „Wir haben vor Ort ein Krisenteam installiert, das je nach Situation Schichten ändert oder Lieferpläne anpasst“, erklärt ein Sprecher.
Fuchs Petrolub
Die 55 Beschäftigten eines Vertriebsstandorts hielten sich aus Sicherheitsgründen zuhause auf, so eine Sprecherin des Mannheimer Schmierstoffherstellers Fuchs Petrolub. Grundsätzlich sei der ukrainische Markt „interessant“. Wie sich die aktuelle Entwicklung auf das Russland-Geschäft auswirkt - darüber kann das Unternehmen noch keine Aussagen treffen.
Merck
Der Darmstädter Pharmakonzern Merck hat nach Angaben eines Sprechers mehr als 400 Mitarbeitende in Russland, jedoch keinen Standort für Produktion oder Forschung und Entwicklung. In der Ukraine habe Merck keine Mitarbeitenden, dort erfolge der Vertrieb der Produkte in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern. Das Geschäft in Russland sei vergleichsweise klein, die Geschäftsaktivitäten in der Ukraine noch kleiner. Oberstes Ziel sei die Sicherheit der Mitarbeiter sowie die Versorgung der Patienten mit Medikamenten sicherzustellen. „Wir haben bereits entsprechende Maßnahmen ergriffen, zum Beispiel die Aufstockung der lokalen Vorräte in Russland“, sagt der Sprecher.
ABB
Beim Elektrokonzern ABB sorgt man sich unter anderem um die russischen und ukrainischen Beschäftigten, die in Deutschland für das Unternehmen arbeiten. „Dass die russischen Kollegen einen Einberufungsbefehl bekommen, ist eher unwahrscheinlich, die Armee dort ist groß genug. Bei den ukrainischen Beschäftigten ist das schon wahrscheinlicher. Da überlegen wir im Moment: Wie können wir diesen Menschen helfen, wenn es dazu kommt?“, sagt ABB-Arbeitsdirektor Alexander Zumkeller. Derzeit arbeiten etwa 15 Menschen aus der Ukraine für ABB in Deutschland - die meisten von ihnen mit relativ kurzen, befristeten Verträgen.
Schwarz-Gruppe
Der Krieg belastet auch den Handel. Eigentlich wollte die Schwarz-Gruppe aus Neckarsulm den Markt in der Ukraine anpacken und dort mit Lidl gegen den lokalen Discounter ATB antreten. Doch nun hat die Schwarz-Gruppe nach Informationen der „Lebensmittel Zeitung“ die Expansionspläne abgesagt.
GGEW
Der Energieversorger GGEW aus Bensheim berichtet von „drastisch steigenden Großmarktpreisen“ an den Energiemärkten. Das habe sich schon nach Putins Rede am Montag in der Entwicklung der Gas-Handelspreise gezeigt und werde nun durch die wachsende Verunsicherung über Europas Versorgungssicherheit spürbar verstärkt. „Um dem entgegenzuwirken, muss in Deutschland mittel- und langfristig gesehen stärker auf Diversifizierung beim Gasbezug und die Erweiterung von Reservekapazitäten gesetzt werden sowie auf den Ausbau erneuerbarer Energien und Wasserstoff“, sagt ein Sprecher. „Jeder weitere Preissprung beim Gas wird die Verbraucher verzögert erreichen - aufgrund der Stromerzeugung in Gaskraftwerken auch beim Strompreis.“
Audi
Der Autohersteller Audi mit Standort in Neckarsulm zeigt sich besorgt und betroffen von den schlechten Nachrichten aus Osteuropa. Man hoffe auf eine „schnelle Einstellung der Kampfhandlungen und eine Rückkehr zur Diplomatie“, sagt eine Sprecherin und bezieht sich auf eine Erklärung des Mutterkonzerns Volkswagen. „Wir sind überzeugt, dass eine nachhaltige Lösung des Konflikts nur auf Grundlage des internationalen Rechts erfolgen kann.“ Mögliche Folgen für Standorte in den Krisengebieten würden fortlaufend im Auge behalten. Die Sicherheit und Unversehrtheit der Beschäftigten stehe an erster Stelle.
Schaumaplast
Bei der Verpackungsfirma Schaumaplast in Reilingen blickt man ebenso mit Sorge in die Ukraine. „Gerade durch unser Werk in Polen haben wir eine langjährige, besondere Verbindung zu mittel- und osteuropäischen Regionen“, sagt Hauptgeschäftsführer Bernhard Hauck. Die Meldungen hätten ihm große Sorgen vor allem für die Menschen in der Ukraine bereitet. Von Vorlieferanten hat Hauck schon erfahren, dass der Konflikt Auswirkungen auf die Lieferketten haben könnte - bei Rohstoffen, aber auch, weil viele ukrainische Lkw-Fahrer für Schaumaplast im Einsatz sind. Durch Versorgungsengpässe im Gas- und Strombereich befürchtet Hauck, dass „im schlimmsten Fall“ Thermotransportboxen für lebenswichtige Medikamente nicht mehr geliefert werden könnten.
BASF-Beteiligung Wintershall Dea
Die BASF-Mehrheitsbeteiligung Wintershall Dea ist seit mehr als 30 Jahren in Russland tätig. Unternehmenschef Mario Mehren sagte, die Eskalation auf Geheiß der russischen Regierung sei „ein harter Schlag“. Wintershall Dea hat dem Projektunternehmen der Pipeline Nord Stream 2 ein Darlehen von 730 Millionen Euro gegeben. Die Bundesregierung hat das Genehmigungsverfahren für den Betrieb ausgesetzt. Bei einem endgültigen Aus der Pipeline rechnet Wintershall Dea mit einer Entschädigung.
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