Interview

Umstrittenes Lieferkettengesetz - was ein Mannheimer Fachmann dazu sagt

Die Wirtschaft schimpft, Menschenrechtsorganisationen zeigen sich enttäuscht. Und was ist mit dem Umweltschutz? Moritz Fleischmann von der Mannheimer Uni über das neue „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“

Von 
Walter Serif
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Ein Container wird auf dem Gelände des HHLA Container Terminal Altenwerder (CTA) in Hamburg verladen. © Jonas Walzberg/dpa

Mannheim. Herr Fleischmann, seit Januar 2023 gilt in Deutschland das neue „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“. Schon der sperrige Titel verrät, dass das eher kein Thema für den Normalverbraucher ist.

Moritz Fleischmann: Der Titel ist in der Tat sperrig. Trotzdem ist dieses Gesetz auch für Verbraucher durchaus relevant. Es geht ja um den besseren Schutz von Menschenrechten in der globalen Wirtschaft. Das Besondere an dem Gesetz ist, dass Unternehmen nicht nur über ihre eigenen Aktivitäten Rechenschaft ablegen müssen, sondern auch überprüfen müssen, ob sich ihre Lieferanten zum Beispiel an das Verbot von Kinderarbeit, Sklaverei oder Zwangsarbeit halten. Ebenso dürfen die Zulieferer nicht gegen grundlegenden Arbeits- und Gesundheitsschutz verstoßen und müssen angemessene Löhne zahlen.

Das Gesetz ist sehr umstritten, der Wirtschaft sind die Auflagen zu hoch, für Menschenrechts- und Umweltorganisationen gehen sie nicht weit genug. Ist das ein eher gutes oder schlechtes Zeichen?

Fleischmann: Dass die teils massive Kritik von beiden Seiten kommt, ist für mich eher ein Signal dafür, dass der Gesetzgeber einen vielleicht nicht ganz schlechten Kompromiss gefunden hat.

Das Gesetz gilt für Unternehmen mit mehr als 3000 inländischen Mitarbeitern. Davon gibt es in Deutschland nur 900 Betriebe.

Fleischmann: Das ist richtig, aber nächstes Jahr greift das Gesetz bereits ab einer Mitarbeitergröße von 1000. Ich finde es vernünftig, dass in Deutschland zunächst einmal die größten Unternehmen angesprochen werden. Diesen Unternehmen fällt die Umsetzung im Vergleich sicherlich einfacher. Außerdem haben sie tendenziell auch den größten Einfluss.

Moritz Fleischmann

  • Moritz Fleischmann wurde am 13. Januar 1970 in Buxtehude geboren.
  • Er studierte Wirtschaftsmathematik an den Universitäten Bayreuth, Bordeaux und Ulm. Fleischmann promovierte im Jahr 2000 an der Erasmus Universität Rotterdam.
  • Seit 2009 ist Moritz Fleischmann Inhaber des Lehrstuhls für Logistik and Supply Chain Management an der Universität Mannheim. Außerdem ist der Ökonom Prorektor für Nachhaltigkeit und Informationsversorgung. 

Die Unternehmen sind nicht nur für die unmittelbaren, sondern auch für die mittelbaren Zulieferer verantwortlich. Wie soll das in der Praxis funktionieren, Mercedes-Benz hat zum Beispiel allein 40 000 direkte Lieferanten?

Fleischmann: Zu ihren direkten Lieferanten haben die Betriebe ja eine unmittelbare Beziehung. Dadurch ist es einfacher, die relevanten Informationen einzuholen. Schwieriger wird es, wenn es um die Lieferanten der Lieferanten oder die Lieferanten der Lieferanten der Lieferanten geht. Deshalb differenziert das Gesetz ja auch. Die generelle Sorgfaltspflicht gilt nur für die direkten Zulieferer, bei den mittelbaren Lieferanten müssen die Unternehmen nur anlassbezogen handeln, also wenn sie konkrete Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben. Das Gesetz verlangt von einem Unternehmen also nicht, dass es alle vorgelagerten Lieferanten bis ins letzte Glied systematisch durchleuchtet. Das wäre in der Praxis gar nicht möglich.

Im Gesetz ist prinzipiell nur von einer Bemühenspflicht die Rede, das heißt, der Gesetzgeber verlangt keine Garantie, dass Menschenrechtsverstöße in einer Lieferkette in jedem Fall verhindert werden.

Fleischmann: Eine solche Garantie kann es letztlich auch gar nicht geben. Dennoch ist die Aufgabe für die Unternehmen nicht leicht. Für sie stellt sich auch noch die Frage, was das Gesetz mit der „Bemühenspflicht“ konkret meint. Das ist ein sehr dehnbarer Begriff. Dadurch entsteht natürlich eine gewisse Unsicherheit, und auch dazu hat es von Unternehmen kritische Stimmen gegeben. Ich erwarte aber, dass sich das noch einspielen wird, wenn es die ersten Erfahrungswerte gibt. Andererseits verleiht eine unschärfere Formulierung den Unternehmen auch eine gewisse Flexibilität.

Viele Betriebe sprechen von einem zu hohen Aufwand. Trifft das zu?

Fleischmann: Der Aufwand ist in der Tat groß. Das ist vermutlich zum Teil unvermeidlich. Andererseits fällt besonders viel Arbeit in der Einführungsphase bei der Bestandsaufnahme und der Dokumentation der Lieferbeziehungen an. Danach dürfte sich der Aufwand deutlich reduzieren.

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Manche Unternehmen befürchten auch Wettbewerbsnachteile.

Fleischmann: Dieses Risiko halte ich tendenziell für überschaubar, zumal es auch in anderen Staaten wie den Niederlanden oder Frankreich ähnliche Gesetze gibt. Außerdem zeichnet sich eine EU-weite Regelung ab.

Die Entscheidung darüber könnte schon im Mai im EU-Parlament fallen. Angeblich sollen die Regeln härter sein. Deutschland müsste dann wieder nachziehen. Wäre es nicht schlauer gewesen, wenn die Bundesregierung erst mal abgewartet hätte?

Fleischmann: Das sehe ich nicht so. Man könnte sogar genau umgekehrt argumentieren: Jetzt hat Deutschland einen Vorsprung, und die Betriebe haben sich schon darauf eingestellt. Eine wesentliche Verschärfung liegt darin, dass die EU-Richtlinie auch für kleinere Betriebe gelten soll. Bis eine solche Regelung in deutsches Recht umgesetzt wird, kann es aber noch Jahre dauern.

Der Umweltschutz spielt im Vergleich zu den Menschenrechten eine eher geringere Rolle.

Fleischmann: Ja, in dem Gesetz gibt es keine gesonderte umweltbezogene Sorgfaltspflicht. Es greift nur in Fällen, in denen Menschen durch die Umweltzerstörung von Firmen Gesundheitsschäden erleiden.

Das ist aber schwer nachweisbar.

Fleischmann: Ja, das stimmt. Aber ich glaube, dass es viel schwieriger ist, den Umweltschutz ähnlich gesetzlich zu verankern. Das liegt daran, dass Umweltschutz sehr viel vielschichtiger und dadurch schwieriger zu definieren ist als zum Beispiel das Verbot von Kinderarbeit. Deshalb war es nach meiner Meinung klug, dass der Gesetzgeber sich in diesem Fall auf die Menschenrechte beschränkt hat. Trotz dieser Schwierigkeit wird der Druck wachsen, auch den Umweltschutz in die Sorgfaltspflicht mit aufzunehmen.

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Die EU will auch die zivilrechtliche Haftung für Firmen verankern. Geht Ihnen das zu weit?

Fleischmann: Mir kommt es in erster Linie nicht so sehr auf Haftungsfragen an. Ich glaube, der Hauptimpuls, der von dem Gesetz ausgeht, ist, dass Unternehmen sich sehr viel bewusster mit möglichen Problemfeldern in ihren Lieferketten auseinandersetzen müssen. Da hat sich durch Corona ohnehin etwas bewegt. Viele Unternehmen haben gemerkt, dass sie den Aufbau ihrer Lieferketten weniger gut kannten, als ihnen bewusst war. Seit der Pandemie haben sich viele Unternehmen in dieser Hinsicht um sehr viel mehr Transparenz bemüht. Das Lieferkettengesetz sorgt nun auch für eine größere Transparenz, und zwar jetzt hinsichtlich der Menschenrechte.

Auch wenn nur von einer „Bemühenspflicht“ die Rede ist, müssen die Unternehmen Strafen zahlen, wenn sie die Sache auf die leichte Schulter nehmen. Wie sehen die denn aus?

Fleischmann: Die Höchststrafe liegt bei acht Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des weltweiten Umsatzes. Das ist eine Größenordnung, die den Unternehmen nicht gleichgültig sein kann. Außerdem kommt der mögliche Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen noch hinzu. Wenn man die Sorgfaltspflicht gesetzlich regeln möchte, sind glaubhafte Sanktionen unausweichlich. Wie Verstöße dann tatsächlich geahndet werden, muss sich in der Praxis erweisen. Es geht bei Sanktionen aber nicht nur um die angesprochenen Strafen.

Sondern?

Fleischmann: Es gibt auch Reputationsschäden, die möglicherweise ein Unternehmen viel härter als Geldstrafen treffen können. Da steht dann der Ruf eines Betriebs zur Debatte. Das kann sich sehr negativ auf das Verhältnis zu Kunden und Investoren, aber auch, gerade aktuell, zu Mitarbeitern auswirken. Es geht also auch um die Reputation eines Unternehmens. Kein Betrieb will in der Öffentlichkeit am Pranger stehen.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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