Interview

Franziska Brantner mahnt: „Wir sollten genau hinhören, was Autokraten sagen“

Sie hat mit ihrem Taiwan-Besuch nach eigener Einschätzung in Peking keine Freudentränen ausgelöst. Im Interview verrät die Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner, wie die Bundesregierung mit Chinas Führung umgehen soll

Von 
Walter Serif
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Grünen-Politikerin Franziska Brantner will die Abhängigkeit Deutschlands von China reduzieren. © Christoph Blüthner

Franziska Brantner

  • Franziska Brantner wurde am 24. August 1979 in Lörrach nahe der Schweizer Grenze geboren. Sie wuchs im südbadischen Neuenburg auf, ihr Abitur machte Brantner in Freiburg.
  • Brantner studierte Politikwissenschaften mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Europapolitik in Paris und New York und promovierte an der Uni Mannheim.
  • Bei der Europawahl 2009 gewann sie ein Mandat für die Grünen. 2013 wechselte Brantner in den Bundestag (Wahlkreis Heidelberg). 2017 wurde sie wiedergewählt, im September 2021 holte die Politikerin sogar das Direktmandat für ihre Partei.
  • Nach der Bundestagswahl 2021 holte sie Robert Habeck als Parlamentarische Staatssekretärin ins Bundeswirtschaftsministerium. was

 

Frau Brantner, in der Politik gehört klappern ja zum Handwerk. Sie haben im vergangenen November Taiwan besucht, das aber nicht an die große Glocke gehängt. Haben Sie Angst vor China?

Franziska Brantner: (lacht) Nein. Wir halten an unserer Ein-China-Politik fest. Wir unterhalten nur offizielle Beziehungen mit der Volksrepublik China. Gleichzeitig ist Taiwan für uns aber ein wichtiger Werte- und Wirtschaftspartner, mit dem wir im Rahmen unserer Ein-China-Politik pragmatisch insbesondere eine intensive Wirtschaftszusammenarbeit pflegen und auch ausbauen wollen. Wir dürfen uns da die eigenen Maßstäbe nicht verschieben lassen. Früher war es ganz normal, dass Parlamentarische Staatssekretäre nach Taiwan gereist sind.

Wie waren denn die Reaktionen aus Peking?

Brantner: Ich glaube, Freudentränen gab es dort keine.

Die Bundesregierung arbeitet an einer neuen China-Strategie. Angeblich gibt es zwischen den Ministerien Zoff. Stimmt das?

Brantner: Nein. Ich finde es sehr gut, dass wir bereits im Koalitionsvertrag eine Neuausrichtung der deutschen China-Politik vereinbart haben. Wichtig ist für mich, dass die Bundesregierung genau analysieren will, wohin die Reise mit China geht. Das Land hat sich unter Präsident Xi Jinping sehr verändert. Er verfolgt ehrgeizige Pläne, will unter anderem China zur dominierenden Wirtschafts- und Militärmacht machen. China stellt sich damit angesichts seines autoritären politischen Systems immer stärker in systemische Konkurrenz zu den USA und dem Westen. Der Vorteil für uns ist, dass die chinesische Führung ihre Ziele offen ausspricht . . .

. . . dazu gehört auch die Option einer Eroberung von Taiwan . . .

Brantner: . . . deshalb wären wir falsch beraten, wenn wir solche Aussagen einfach ignorieren würden.

Vor einem Jahr haben ja auch nur wenige geglaubt, dass Putin Kiew bombardieren lässt.

Brantner: Genau. Die Zeiten sind vorbei, in denen es abwiegelnd immer hieß, die reden nur so, meinen aber etwas ganz anderes. Gerade bei den Autokraten sollten wir genau hinhören, was sie sagen.

Wir brauchen auf jeden Fall eine Diversifizierungsstrategie

Wie ist denn da der Input des Wirtschaftsministeriums bei der neuen China-Strategie?

Brantner: Wir haben in diesen geopolitisch unsicheren Zeiten eine stärkere Diversifizierung und einen stärkeren Schutz unserer kritischen Infrastruktur als Ziel ausgegeben. Das müssen wir jetzt in unsere außenwirtschaftlichen Instrumente integrieren.

Deutschland ist abhängig von China. Einem Land also, das für uns ein systemischer Rivale, Partner und Wettbewerber ist, wie es im Koalitionsvertrag steht. Wie kann denn Deutschland dieses Spannungsverhältnis auflösen?

Brantner: Gar nicht. Wir können uns aber in diesem Spannungsfeld klug bewegen, wenn wir handlungs- und widerstandsfähig sind.

Was heißt das konkret?

Brantner: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass nicht alles zusammenbricht, wenn zum Beispiel mit den Lieferketten etwas schief geht. Da hatten wir ja große Probleme während der Pandemie. Unsere eigene kritische Infrastruktur müssen wir besser schützen. Und wir müssen gegenüber China prinzipiell immer auf Augenhöhe auftreten. Das heißt, wenn wir Märkte öffnen, muss dies natürlich auch umgekehrt gelten.

Das mit der Marktöffnung hat in der Vergangenheit aber nicht so gut funktioniert.

Brantner: Ich warne vor Schwarz-Weiß-Malerei. Natürlich tragen wir für Länder, die sich entwickeln wollen, eine große Verantwortung. Das ist nicht nur bei China so gewesen. Und natürlich profitieren wir auch davon, dass China sich ökonomisch so gut entwickelt und in die Weltwirtschaft integriert hat. Wir sollten die Vergangenheit nicht verteufeln.

Die Beziehungen mit China sind also keine Einbahnstraße?

Brantner: Nein, China ist auf den europäischen Markt angewiesen – und wir brauchen die Kooperation mit China. Denken Sie nur an den Klimaschutz. Allerdings müssen wir zu große Abhängigkeiten reduzieren und genau analysieren, wo das der Fall ist, zum Beispiel bei Importen, Zulieferungen oder der Weiterverarbeitung von Rohstoffen. Das Feld ist also groß. Klar ist aber ebenso: Wir sollten dafür sorgen, dass wir bei keinem Produkt von irgendeinem Land zu 100 Prozent abhängig sind. Das ist zu riskant.

Teile der deutschen Wirtschaft haben aus dem Umgang mit Russland und der Energiekrise offensichtlich nichts gelernt. BASF-Chef Martin Brudermüller beklagt das „China-Bashing“ und attackiert damit auch den Kurs der Bundesregierung. Ärgert Sie das nicht?

Brantner: Das Gute in Deutschland ist ja, dass wir ein freies Land sind, in dem jeder sagen kann, was er will.

Das ist nicht die Antwort, die ich mir erhofft habe.

Brantner: Es ist aber wirklich so. Das unterscheidet uns Demokratien von autokratischen Ländern wie Russland oder China. Bei uns kann jeder die Regierung kritisieren . . .

. . . wie Herr Brudermüller . . ?

Brantner:  . . . und wir dürfen über alles streiten, das empfinde ich als ein Glück, über das wir uns jeden Tag freuen sollten.

Noch mal zurück zu Herrn Brudermüller. Er will das Engagement der BASF in China sogar noch intensivieren und dort mehr investieren. Halten Sie das wirklich für eine gute Idee?

Brantner: Das muss die BASF für sich selbst entscheiden. Die Zukunft wird zeigen, ob das die richtige Entscheidung ist. Wir brauchen auf jeden Fall eine Diversifizierungsstrategie.

Welche Abhängigkeiten sind denn gefährlicher, die von Exporten oder Importen oder macht das für Sie keinen Unterschied?

Brantner: Wenn bestimmten Unternehmen wichtige Exporte wegbrechen, dann fehlen ihnen natürlich die Einnahmen. Wenn aber bestimmte Rohstoffe plötzlich fehlen, dann kann das im Extremfall die gesamte Wirtschaft treffen, wie wir es ja beim Erdgas aus Russland gesehen haben. Wenn aber die einzelnen Unternehmen, die Probleme mit ihren Absatzmärkten bekommen, die größten in Deutschland sind . . .

. . . wie zum Beispiel die BASF oder Mercedes-Benz . . .

Brantner:  . . . dann ist das natürlich auch keine Petitesse. Es hängt also schon vom Einzelfall ab. Wir müssen uns aber auf jeden Fall als Bundesregierung und auf Unternehmensebene breiter aufstellen.

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Die Bundesregierung fährt auch bei den Investitionen in China einen neuen Kurs. Im vergangenen Jahr verweigerte Wirtschaftsminister Robert Habeck VW einen Hermes-Kredit, der das Geschäft des Autobauers abgesichert hätte.

Brantner: Das ist richtig. Grundsätzlich gilt: Wenn wir Investitionen absichern, trägt das Risiko ja der Steuerzahler. Denn die Mittel stammen aus dem Bundeshaushalt. Deshalb müssen wir da schon ein ausgewogenes Verhältnis finden und Klumpenrisiken vermeiden. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn wir weniger Geschäfte in China absichern, werden Mittel frei für Investitionen zum Beispiel in Indonesien oder Malaysia. Im konkreten Fall ging es um die Autonome Region Xinjiang. Dort hat sich die menschenrechtliche Situation in den letzten Jahren weiter zugespitzt. Daher übernimmt die Bundesregierung keine Investitionsgarantien mehr für Projekte in China von Unternehmen, die in Xinjiang tätig sind oder Geschäftsbeziehungen zu dort operierenden Entitäten unterhalten.

Deutschland ist sehr abhängig von Rohstoffen aus China, Russland und Südafrika. Sie sind im Wirtschaftsministerium zuständig für die Überarbeitung der nationalen Rohstoffstrategie, die die alte Bundesregierung verabschiedet hat.

Brantner: Ja, das ist richtig.

In einem Eckpunktepapier führen Sie aus, dass sich durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine neue Schwachstellen aufgezeigt hätten. Welche denn?

Brantner: Auch für die Unternehmen ist es besser, wenn die Bundesregierung eine aktive Rohstoffpolitik betreibt, das geht aus einer von uns in Auftrag gegebenen Studie hervor. Wir müssen Investitionen und das Recycling von Rohstoffen bei uns und außerhalb der EU finanziell stärker unterstützen. Wir können da selber Anreize setzen durch eine eigene Vergabepolitik. Außerdem sollten wir Lager für besonders kritische Rohstoffe vorhalten . . .

. . . damit wir dann nicht wieder leere Gasspeicher haben . . .

Brantner: . . . wir haben da ja aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Es gibt Länder wie die USA, Japan oder Südkorea, die das schon so machen und auch Rohstofffonds aufgebaut haben. An denen können wir uns schon ein bisschen orientieren. Übrigens müssen diese Investitionen gar keine Verlustgeschäfte sein. Die von mir genannten Länder handeln mit diesen Rohstoffen. Klar ist aber, dass wir uns in Europa keine gegenseitige Konkurrenz machen sollten. Das würde nur die Marktpreise hochtreiben.

Sie wollen auch im heimischen Bergbau neue Akzente setzen.

Brantner: Genau, auch in Deutschland lagern ja klassische Bodenschätze wie zum Beispiel Sand. Das sollte man als Rohstoff nicht unterschätzen. Es gibt aber auch neue Rohstoffe wie Lithium, die als Nebenprodukt der Geothermie anfallen. Da gibt es ja auch in der Region vielversprechende Projekte. Im kleinen Maßstab funktioniert das schon. Jetzt müssen wir schauen, ob das auch in einem größeren Umfang marktreif werden kann.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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