Mannheim. Die meisten Beschäftigten in Deutschland sind offensichtlich gut durch die Corona-Krise gekommen. Immerhin haben auf dem Höhepunkt der zweiten Welle nur rund neun Prozent der Erwerbsbevölkerung Sozialleistungen des Staates wie Kurzarbeitergeld oder das Bonus-Kindergeld in Anspruch genommen, wie aus einer neuen Studie hervorgeht. Umso bitterer ist es, dass jeder sechste Haushalt nach eigenen Angaben Bedarf an Unterstützung hatte, aber keine Sozialleistungen des Staates abrief.
Nicht nur Selbstständige leiden
„Insgesamt sind die deutschen Haushalte recht gut durch die Krise gekommen. 80 Prozent der Befragten, die keine staatlichen Hilfen in Anspruch genommen haben, haben auch keine Hilfe gebraucht“, sagt Tabea Bucher-Koenen vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Gemeinsam mit der Universität Mannheim und dem Mainzer Leibniz-Institut für Resilienzforschung hat das ZEW die finanziellen Folgen der Pandemie im zweiten Lockdown analysiert. Die repräsentative Befragung der erwerbstätigen Wohnbevölkerung ab 30 Jahren umfasst den Zeitraum zwischen Dezember 2020 und Januar 2021.
Repräsentative Erhebung
- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der Universität Mannheim und des Mainzer Leibniz-Instituts für Resilienzforschung haben als Basis ihrer Studie eine Befragung von 1875 Personen aus dem Bundesgebiet durchführen lassen.
- Die Untersuchung ist repräsentativ für die deutschsprachige erwerbstätige Wohnbevölkerung ab 30 Jahre.
- Im Rahmen der Befragung wurde erhoben, ob sich das monatliche Nettoeinkommen und das finanzielle Vermögen der Haushalte seit März 2020 verändert hat. Außerdem wurde gefragt, ob die Haushalte staatliche Hilfen in Anspruch nahmen – und wenn ja, welche. Diejenigen, die keine Leistungen bezogen, wurden nach den Gründen dafür befragt.
Spurlos vorbeigegangen ist die Krise an den Menschen natürlich nicht. Immerhin ein Viertel der Privathaushalte musste der Erhebung zufolge einen Einkommensrückgang hinnehmen. Bezieht man auch noch das Vermögen ein, erlitten 43 Prozent der Haushalte in Deutschland Verluste.
Dass der Lockdown vor allem den Selbstständigen zusetzte, ist keine große Überraschung. 44 Prozent von ihnen mussten mit Einkommenseinbußen leben. Dagegen hatten nur 22 Prozent der Angestellten weniger Geld. „Deshalb ist es verständlich, dass die Sorgen der Selbstständigen in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund standen. Allerdings sollte nicht unter den Tisch fallen, dass auch Alleinerziehende, geringfügig Beschäftigte und jüngere Erwerbstätige überdurchschnittlich von finanziellen Einschnitten betroffen waren“, verweist Bucher-Koenen auf die Zahlen. Bei den Mini-Jobbern waren es rund 34 Prozent. Etwa 30 Prozent der Alleinerziehenden und 26 Prozent der jüngeren Menschen zwischen 30 und 39 Jahren hatten in der Pandemie weniger Geld zur Verfügung.
Der Staat unterstützt die Bürger mit einem ganzen Bündel an Hilfen. Knapp die Hälfte der befragten Empfänger bezog Kurzarbeitergeld. Gut ein Drittel kam in den Genuss des Bonus-Kindergeldes von 300 Euro. „Diese niedrigschwelligen Angebote, die ohne eigenes Zutun flossen, waren natürlich sehr verbreitet. Es wäre aber wichtig zu erforschen, was der Staat tun kann, um die Betroffenen auch mit den anderen Hilfsmaßnahmen effektiv zu erreichen, vor allem mit Blick auf die Haushalte, bei denen das Geld besonders knapp ist“, sagt Wirtschaftspädagogin Carmela Aprea von der Universität Mannheim.
Neben Kurzarbeitergeld und Bonus-Kindergeld wurden unter anderem Kinderzuschlag, Sozialhilfe, der verlängerte Anspruch auf Arbeitslosengeld sowie Entschädigungen wegen fehlender Kinderbetreuung in Anspruch genommen. 32 Prozent der Bezieher von Sozialhilfe waren Selbstständige. Unter den Haushalten, die Sozialleistungen bezogen, finden sich überdurchschnittlich viele Menschen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen. Personen aus Ostdeutschland bezogen doppelt so häufig Sozialleistungen wie die aus Westdeutschland. Gleiches gilt für Alleinerziehende im Vergleich zu Kinderlosen, die in einer Partnerschaft leben. Selbstständige beantragten nach Angaben von ZEW-Forscher Marius Cziriak fünf Mal häufiger Leistungen als Angestellte. Auch bei den jüngeren Menschen zwischen 30 und 39 Jahren war das Abrufen der Hilfen verbreiteter als bei den Älteren.
Informationen und Wissen fehlen
Jeder sechste Haushalt, der keine Leistungen beanspruchte, gab an, dass er Unterstützung gebraucht hätte. Das war vor alllem bei Alleinerziehenden, Minijobbern und Personen, die nur gelegentlich arbeiteten, der Fall. Von den rund 20 Prozent der Haushalte, die meinten, sie bräuchten staatliche Unterstützung, gaben 17 Prozent bei einer Mehrfachauswahl an, sie seien nicht an- spruchberechtigt. Knapp vier Prozent wussten nicht, wie man an die Unterstützung gelangt. Drei Prozent vermuteten, dass die bürokratischen Hürden hoch seien. Ebenfalls drei Prozent war es unangenehm, Hilfe zu beantragen.
Und welche Schlüsse ziehen die Wissenschaftlerinnen aus der Studie? „Es gibt noch immer eine große Zahl von Haushalten, die Anspruch auf Hilfe hätten, die aber nicht über die Informationen und das Wissen verfügen, aus eigener Kraft Sozialleistungen zu beantragen“, sagt Wirtschaftspädagogin Aprea. Und ZEW-Expertin Bucher-Koenen ergänzt: „Gerade Alleinerziehende sind nicht nur häufiger von finanziellen Verlusten betroffen. Sie beantragen außerdem vier Mal seltener Hilfe als kinderlose Paare. Der Sozialstaat sollte für diese Gruppe seine Unterstützung noch niedrigschwelliger anbieten.“
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