Frankfurt. Sie sind reich und einflussreich, kontrollieren Unternehmensanteile, beeinflussen die Konditionen, zu denen sich Staaten finanzieren oder Menschen für ihr Alter vorsorgen: Die Rede ist von sogenannten Schattenbanken: Asset Manager, Fondsgesellschaften, Versicherer, Pensionseinrichtungen oder auch Kreditfonds und andere Finanzdienstleister ohne Banklizenz.
Der Begriff ist umgangssprachlich verzerrt. Die Branche spricht neutraler von Nichtbanken-Finanzintermediären (NBFI). Gemeint sind Finanzdienstleister, die bankähnliche Funktionen erfüllen, ohne unter die klassische Bankenaufsicht zu fallen. Anders als Banken haben sie keinen Zugang zu Notenbank-Krediten, können sich in Stressphasen also nicht über die Zentralbank refinanzieren.
Größe und Bedeutung dieser Institute nehmen kontinuierlich zu. Und damit auch die Risiken, die im Falle einer Krise von ihnen ausgehen können. Bankenaufseher schlagen Alarm.
Laut Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank für 2024 entfallen etwa 40 Prozent der Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte im Euroraum auf Akteure außerhalb des klassischen Bankensektors. Damit halten diese rund die Hälfte der finanziellen Aktiva. Auch in Deutschland liegen nach Angaben der deutschen Bankenaufsicht BaFin rund 40 Prozent der finanziellen Aktiva des Finanzsystems bei Nichtbanken. Die einst als peripher geltenden NBFI konkurrierten sowohl hinsichtlich ihrer Größe als auch ihrer systemischen Bedeutung mit dem klassischen Bankensystem, heißt es in einem aktuellen Paper der Finanzprofessorin Loriana Pelizzon und ihrer Kollegen Riccardo Mattiello und Jonas Schlegel.
Ein plötzlicher Zinsanstieg könnte Schattenbanken destabilisieren
Aus dieser Konstellation entstehen Risiken: „Viele Fonds – besonders Geldmarktfonds und offene Investmentfonds – profilierten sich im Wettbewerb mit dem Versprechen täglicher Liquidität“, sagt Pelizzon, die stellvertretende Wissenschaftliche Direktorin des Frankfurter Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE. Sie investierten aber in langfristige und gerade in Krisenzeiten oft schwer handelbare Anlagen wie Unternehmensanleihen oder Immobilien. „In normalen Zeiten ist das ein Vorteil“, sagt Pelizzon. „In Krisenzeiten wird es zur Liquiditätsfalle, wenn viele gleichzeitig verkaufen wollen“. Fonds müssen Assets liquidieren, Preise fallen, andere Fonds müssen ebenfalls verkaufen, es entwickelt sich eine Marktspirale.
Zuletzt manifestierte sich dieses Problem vor fünf Jahren in Folge der Covid-Pandemie. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnt vor Risiken durch Kaskadeneffekte und systemische Kettenreaktionen: Banken stellten Kreditlinien und Finanzmittel für Investmentfonds bereit, seien über Derivate und Wertpapierbestände gegenüber Versicherern exponiert und verließen sich zunehmend auf Geldmarktfonds für die kurzfristige Finanzierung, warnt die BIZ. Ein plötzlicher Zinsanstieg oder geopolitische Schocks könnten Schattenbanken destabilisieren – mit Rückwirkungen auf den gesamten Finanzsektor.
Auch für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist die zunehmende Vernetzung Grund zur Sorge. Eine beschleunigte Informationsverbreitung über digitale Kanäle und der Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz im Handel erhöhten das Risiko gleichgerichteter Effekte, die sich gegenseitig verstärken, warnt die Bankenaufsicht in ihrer aktuellen Risikoeinschätzung.
Eine besonders eklatante Verschiebung der Kräfteverhältnisse beobachtet Finanzprofessorin Pelizzon in Europa: Im Vergleich zu den USA wachse der Sektor in Europa gemessen am BIP deutlich schneller, vor allem im Verhältnis zum klassischen Bankensektor, warnt sie.
Gleichzeitig werde ein Großteil des Kapitals außerhalb der EU vermittelt und allokiert. Diese Entwicklung kritisiert auch der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV): Seit der Finanzkrise vor 15 Jahren werde der Bankensektor umfassender reguliert und überwacht. In der Folge seien große Teile von Finanzierungen in den weniger regulierten Bereich der NBFI abgewandert.
Auch gegen einen Zugang zur EZB-Finanzierung gibt es Argumente
Vertreter der Fondsindustrie verweisen dagegen auf bereits existierende und umfangreiche Regulierung und Überwachung für ihren Sektor. Diese seien als Folge vergangener Finanzkrisen sogar noch intensiviert worden: Institutionen wie der Finanzstabilitätsrat (FSB), die Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) und Aufsichtsbehörden aus den USA, England und der EU überwachten die Stabilität des Finanzsystems. Es sei sinnvoller, die den Aufsichtsbehörden zur Verfügung stehenden Instrumente der Risikoüberwachung voll auszuschöpfen.
Anfang Juli diskutierten europäische Notenbanker auf einem EZB-Meeting im portugiesischen Sintra über den richtigen Umgang mit der aus ihrer Sicht dramatischer werdenden Überwachungslücke. So formulierte unter anderen Bundesbankpräsident Joachim Nagel: „Wenn Nicht-Banken im Finanzsektor zunehmend wie Banken agieren, müssen sie auch reguliert werden.“
Aber auch gegen einen Zugang von Nicht-Banken zur Zentralbank-Finanzierung gibt es gewichtige Argumente: Die Institute, befürchten Gegner der Idee, könnten in der Folge unverhältnismäßige Risiken eingehen, weil sie sich auf den Schutz des Systems verließen.
„Um das Risikopotenzial besser beurteilen zu können, brauchen wir eine deutlich bessere Datenlage, vor allem für die Situation in Europa“, fordert Pelizzon. Immerhin ist der Bereich der von der klassischen Bankenregulierung nicht erfassten Finanzdienstleister sehr heterogen.
Die BIZ fordert eine strukturierte Regulierung für Schattenbanken, inklusive Stresstests, Liquiditätsreserven und Notfallmechanismen – sonst würden Schattenbanken zum potenziellen Brandbeschleuniger im Finanzsystem.
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