Berlin. Die Folgen sind alarmierend und für alle sichtbar: Jedes Jahr sterben Tausende Fische und Vögel qualvoll am Plastikmüll der Menschen. Die Europäische Union zieht nun eine weitere Konsequenz zur Reduzierung der gigantischen Abfallmengen. Zum Schutz der Meere und Tiere dürfen vom 3. Juli an in der EU keine Einwegprodukte mehr aus Plastik produziert werden. Von dem Verbot sind unter anderem Trinkhalme, Geschirr, To-go-Becher und Besteck betroffen, aber auch Fast-Food-Verpackungen aus Styropor.
Gut die Hälfte der Tests auffällig
Viele Unternehmen stellen ihre Produktion bereits auf andere Materialien aus Pflanzen oder Holz um. Doch diese plastikfreien Alternativen sind keineswegs immer besser. Einwegprodukte aus Pappe, Palmenblättern oder Zuckerrohr enthalten häufig gesundheitsgefährdende Schadstoffe, die auf Lebensmittel übergehen können. Dies hat eine aktuelle Untersuchung im Auftrag des Europäischen Verbraucherschutzverbands (BEUC) ergeben, die unserer Redaktion vorliegt.
„Ewige Chemikalien“
- Synthetische Substanzen, die als besonders langlebig gelten und für viele Generationen in der Umwelt bleiben, werden als „ewige Chemikalien“ bezeichnet.
- Hierzu zählen auch Polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), eine Gruppe von mehr als 4000 Stoffen.
- PFAS sind in vielen Produkten enthalten, von beschichteten Pfannen bis hin zu Bekleidungen. Sie machen Materialien wasser- und fettabweisend.
Überprüft wurden mehr als 50 Produkte – darunter Strohhalme, Schalen und Teller aus Pappe und Palmenblättern – in Frankreich, Dänemark, Italien und Spanien. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der getesteten Produkte enthielt unerwünschte Chemikalien in einer Menge, die empfohlene Richtwerte überschreitet. Einige Stoffe stehen sogar im Verdacht, Krebs zu verursachen. Jeder fünfte geprüfte Artikel (21 Prozent) in der Studie beinhaltete Chemikalien knapp unter den Grenzwerten.
Zudem werden die Produkte oft als biologisch abbaubar angepriesen, obwohl sie „ewige Chemikalien“ enthalten – wie Polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS). Diese Chemikalien können auch in mehreren Hundert Jahren nicht von der Natur abgebaut werden. Sie wurden in zwei Dritteln aller Proben entdeckt.
Gefunden wurden zudem in je einem Viertel der Proben Chlorpropanol, das in der Papierproduktion verwendet wird, sowie Pestizidrückstände. Alle Stoffe stehen im Verdacht, krebserregend zu sein oder andere Gesundheitsschäden zu verursachen. Konkrete Hersteller oder Produkte werden in der Studie nicht genannt.
Grundsätzlich begrüßen die Verbraucherschützer zwar das Plastikverbot der EU, sagte Monique Goyens, BEUC-Direktorin: „Doch die Tatsache, dass viele Plastik-Alternativen ewige Chemikalien beinhalten, zeigt traurigerweise, dass ein Verschmutzer durch einen neuen ersetzt wird.“ Grüne Produkte, die als „natürlich“ oder „abbaubar“ beworben werden, dürften keine ewigen Chemikalien enthalten.
„Es ist gut, dass Einweggeschirr aus Plastik ab Juli verboten ist. Das ist gut für die Umwelt und bedeutet weniger Plastikmüll in den Meeren“, ist auch der Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, überzeugt. „Dass von den Alternativen aus Bambus, Zuckerrohr oder Pappe Gesundheitsgefahren ausgehen können, ist aber definitiv nicht im Interesse der Verbraucher. Schadstoffe haben im Einweggeschirr nichts zu suchen, egal ob in Plastik oder Pappe. Die Politik muss Verbraucher hier besser schützen.“
Das Problem: „Im Gegensatz zu Kunststoff sind diese scheinbar nachhaltigen Einwegprodukte nicht reguliert. Die Untersuchung zeigt, dass dies ein Einfallstor für erhebliche Gesundheitsgefahren ist“, meint Müller. Bei Gefahren für die Gesundheit dürften sich die EU-Kommission und die Bundesregierung allerdings „keine blinden Flecken erlauben“.
Die Verbraucherzentrale fordert deshalb eine grundlegende Überarbeitung der EU-Rahmenverordnung über Lebensmittelkontaktmaterialien. Verbote für besonders schädigende Stoffe und ein Zulassungsverfahren für alle Materialien mit Lebensmittelkontakt seien nötig, sagt Müller: „Die Lebensmittelüberwachung muss in die Lage versetzt werden, unsichere Produkte schnell vom Markt nehmen zu können.“
Denn schadstoffbelastete Produkte sind auch auf dem deutschen Markt zu finden. So werden Strohhalme aus Papier mit sogenannten Nassverfestigern (wie Epoxidharz) behandelt, damit sie steif und wasserfest werden und sich nicht in der Flüssigkeit auflösen. Dadurch können jedoch auch gesundheitsschädliche Chlorpropanole in das Papier gelangen, die bei längerer Benutzung in Lebensmittel übergehen können.
„Produktionssteuerung möglich“
Bei einer Untersuchung von Papiertrinkhalmen durch die Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg konnte 2019 nur jeder zweite untersuchte Halm die Richtwerte für Chlorpropanole einhalten. Im Jahr 2020 lagen nur noch sechs von 108 untersuchten Proben über dem Richtwert. „Das zeigt aber auch“, so der Laborbericht, „dass es technologisch möglich ist, die Herstellungsprozesse so zu steuern, dass wenig Chlorpropanole im Papierprodukt enthalten sind, die auf Lebensmittel übergehen können.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Plastik-Ersatz ist nur eine Pseudo-Lösung