Energie

Pipeline, Preis und Politik

Was tun, wenn die Kosten wegen des russischen Lieferstopps durch die Nord Stream 1 weiter wachsen?

Von 
Hannes Koch
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Die Kosten für Erdgas steigen und steigen. Vielerorts haben sie sich bereits verdoppelt. Wie es weitergeht, hängt auch davon ab, ob bald wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland kommt. © Patrick Pleul/dpa

Berlin. Der Brief der Hausverwaltung kam überraschend. Angekündigt wurde eine ungefähre Verdoppelung der Kosten für Heizung und Warmwasser. Während der Adressat 2021 rund 800 Euro zahlte, werden dieses Jahr ungefähr 1600 Euro fällig. Die Monatsrate stieg von etwa 65 auf 135 Euro. Das war vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Und auch vor dem Versiegen des Gasflusses durch die Pipeline Nord Stream 1 an diesem Montag.

So wie den zwölf Eigentümern in ihrem Haus in Berlin-Kreuzberg geht es jetzt vielen Immobilienbesitzern und Mietern. Die Verdoppelung des Gaspreises liegt im Trend. Darüber sind sich der Verband der Elektrizitätsversorger (BDEW) und das Preisvergleichsportal Check24 einig. Während der Bruttopreis pro Kilowattstunde Gas für Privathaushalte 2021 um die sieben Cent betrug, geht er jetzt in Richtung 14 Cent.

Konkrete Prognosen fehlen

Laut Vergleichsportal Verivox betreffen solche Erhöhungen bisher allerdings nur etwa ein Drittel der Haushalte, sei es in Gestalt beträchtlicher Nachzahlungen für das vergangene oder höherer Abschläge für dieses Jahr. Wobei zusätzlich die Entlastungen zu berücksichtigen sind, die die Bundesregierung bereits beschlossen hat. Diesen decken bei Familien mit zwei erwerbstätigen Erwachsenen, zwei Kindern und einem monatlichen Nettoeinkommen von 2000 bis 2600 Euro gut die Hälfte der Zusatzkosten ab, errechnete die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung kürzlich.

Die weitere Entwicklung ist jedoch nicht abzusehen. Sollte Nord Stream 1 nach der turnusgemäßen Wartung in zehn Tagen nicht wieder angeschaltet werden und das russische Gas komplett ausfallen, könnten Herbst und Winter dramatisch werden. Wobei es an konkreten Prognosen für den befürchteten Preisanstieg mangelt. BDEW und Verivox halten sich zurück. Kein Wunder – es könnte sich nur um Vermutungen handeln. Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, sagte vor einiger Zeit nur: „Wenn die Schraube weiter angezogen wird, seien es auch nur kleine Schritte, wird Gas noch teurer.“

Ein Rechenbeispiel: Kletterten die Gaspreise vom heutigen Niveau aus um weitere 50 Prozent, müssten die Familien in ihrem Berliner Wohnhaus bald 2400 Euro pro Wohnung und Jahr entrichten – dreimal so viel wie 2021. Das bedeutete rund 200 Euro im Monat statt früher 65 Euro. Und dies ist vielleicht noch nicht der höchste Punkt.

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Viele stecken Preissprünge weg

Für viele Bürger und Bürgerinnen stellt ein solches Niveau der Heizkosten ein bedrohliches Problem dar. Das betrifft vor allem das knappe Fünftel der Bevölkerung, das an der Armutsgrenze oder darunter lebt. Nicht ganz so hart, aber trotzdem gravierend ist die Lage für Durchschnittshaushalte, die um die 2200 Euro monatlich zur Verfügung haben. Für sie kosten Duschen und Heizen dann plötzlich ein Zehntel ihres Einkommens.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Millionen Bürger müssen sich über die steigenden Energiekosten keine wirklichen Sorgen machen. Haushalte mit 3000, 4000 oder mehr Euro verfügbaren Einkommens stecken die Preissprünge weg. Wahrscheinlich 40 Prozent der Bundesbevölkerung brauchen ihren Lebensstandard nicht einzuschränken.

Die Politik versucht nun, die schwierige Lage zu manövrieren. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat gerade einen neuen Mechanismus ins Energiesicherungsgesetz schreiben lassen. Im Notfall könnten große Preissprünge auf alle Gasverbraucher umgelegt werden. Einzelne, besonders betroffene Haushalte würden dann etwas geschont, alle bekämen eine durchschnittliche Kostenerhöhung. Teurer würde es in jedem Fall – aber gleichmäßig verteilt.

Suche nach Lösungen

Eine zweite Variante bestünde darin, eine Obergrenze für den Gaspreis politisch festzulegen – einen Deckel. Das forderten unter anderem Yasmin Fahimi, die Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes DGB, und die Linke. Allerdings müsste der Staat den Unternehmen dann wohl die Differenz zwischen dem niedrigen Deckel und dem hohem Einkaufspreis dazuschießen, ein potenziell teures Unterfangen. Außerdem würden alle Haushalte unterstützt, auch die wohlhabenden, die keine Subvention brauchen. Umwelt- und Verbraucherministerin Steffi Lemke (Grüne) schlug drittens ein „Moratorium für Strom- und Gassperren“ vor. Das heißt, arme Haushalte würden weiter Brennstoff geliefert bekommen, auch wenn sie nicht mehr zahlen können. Details unklar. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte grundsätzlich in Aussicht, dass zusätzliche Entlastungen kommen.

Am wirkungsvollsten und kostenschonendsten für den Staat wäre es, die Zahlungen auf die Bevölkerungsgruppen zu konzentrieren, die in materiellen Schwierigkeiten stecken. Derweil überlegt die Stadtverwaltung von Tuttlingen in Baden-Württemberg schon, warme Räume in öffentlichen Gebäuden für diejenigen Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen, die sich die Beheizung ihrer Wohnung nicht mehr leisten können.

Korrespondent

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