Arbeitsmarkt - Nach zwei Jahren Pandemie werben Firmen und Kammern auch bei Präsenzveranstaltungen wieder um Jugendliche – aber viele digitale Formate bleiben

Mit Tiktok zum neuen Azubi: So läuft die Lehrlingssuche in der Region

Von 
Tatjana Junker
Lesedauer: 
Ein Bild von vor der Pandemie: Auf der Ausbildungsmesse Sprungbrett in Ludwigshafen drängen sich junge Menschen. © Thomas Tröster

Mannheim. „Am Anfang weißt du einfach nicht, was du willst, und du hörst auf andere Leute, die dir gut gemeinte Empfehlungen geben“, sagt Martin. Der junge Mann in dem Mini-Video auf Tiktok steht vor ein paar Holzbalken, in der Hand hält er einen Zollstock. „Aber du musst selbst rausfinden, was richtig für dich ist“, heißt es weiter.

Martin ist Ausbildungsbotschafter bei der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald - und sein Video Teil einer Kampagne, mit der die Kammer junge Menschen für eine Lehre im Handwerk begeistern will. Dafür will sie die Jugendlichen vor allem da abholen, wo sie viel Zeit verbringen: im Netz. In der Corona-Krise sei es schwierig gewesen, mit den Jugendlichen in Kontakt zu kommen, erklärt Kammerpräsident Klaus Hofmann: Berufsberater und -beraterinnen konnten nicht mehr in Schulen, Werkstatttage in der Bildungsakademie fielen aus. „Es wurde also noch schwieriger, einander zu erreichen. Deshalb brauchen wir neue Formen, die wir jetzt mit einer Digital-Offensive erschließen“, so Hofmann über die neue Initiative.

Tipps für Jugendliche

  • Wer einen Ausbildungsplatz sucht oder unschlüssig ist, wie es nach der Schule weitergehen soll, findet in der Region viele Infoangebote.
  • Die Handwerkskammer Mannheim Rhein Neckar Odenwald hat unter ihrer neuen Kampagne „Das isses“ viele Informationen zum Thema Ausbildung zusammengestellt. 
  • Die IHK Rhein-Neckar ist dieses Jahr u.a. beim „Karriere-Kick“ dabei: Am 2. Juni können sich Jugendliche und Unternehmensvertreter aus der Region bei einem Kickerturnier in lockerer Atmosphäre kennenlernen. Es gibt noch freie Plätze
  • Die IHK Darmstadt bietet im Mai u.a. drei Azubi-Speed-Datings an. Infos und Termine gibt es hier.  
  • Bei der BASF gibt es u.a. noch freie Plätze im Programm „Start in den Beruf“, das Jugendliche auf eine Ausbildung vorbereitet.  

Durch die Lockerungen der Corona-Regeln sind zwar bei der Berufsorientierung inzwischen wieder mehr Angebote in Präsenz möglich. Doch manche digitalen Formate aus der Pandemie-Zeit haben sich etabliert. So bietet die Industrie- und Handelskammer Darmstadt zusammen mit Mitgliedsunternehmen virtuelle Betriebsbesuche an, bei denen sich Schulklassen, Jugendliche und Eltern einwählen können. „Das wird sehr gut angenommen und ist für Jugendliche eine Möglichkeit, die erste Hemmschwelle zu überwinden, um mit einem Betrieb in Kontakt zu kommen“, sagt Hannelore Becker, Teamleiterin Bildung bei der IHK Darmstadt.

Mehr zum Thema

IHK Rhein-Neckar

IHK fordert Politik wegen "wirtschaftlicher Ausnahmesituation" zum Handeln auf

Veröffentlicht
Von
Lisa Knoll
Mehr erfahren
Kommunalpolitik

Gemeinderat diskutiert: Wie Schriesheimer Innenstadt attraktiver werden kann

Veröffentlicht
Von
Martin Tangl
Mehr erfahren

Auch Seminare für Eltern bietet die Kammer online an. „Wir wissen schon lange, dass Eltern bei der Berufsentscheidung ihrer Kinder eine wichtige Rolle spielen. Deshalb hatten wir auch vor Corona Infoveranstaltungen für sie, waren zum Beispiel bei Elternabenden in Schulen“, sagt Becker. Bei solchen Terminen habe man aber nur eine überschaubare Zahl erreicht. „Durch den digitalen Schub, den die Pandemie gebracht hat, haben wir jetzt ein viel besseres Format gefunden, das wir beibehalten.“

Ähnlich klingt das bei BASF: Bei dem Chemiekonzern spielen digitale Angebote seit der Pandemie noch eine größere Rolle bei der Azubi-Rekrutierung. So erzählen BASF-Lehrlinge auf Instagram zum Beispiel in Live-Streams von ihrem Arbeitsalltag. Auch der BASF-Infoabend für Eltern ist seit Corona digital. „Durch das virtuelle Format erreichen wir jetzt noch mehr Eltern“, so eine Sprecherin. Die Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar ist ebenfalls virtuell unterwegs: Auf Instagram bewirbt sie zum Beispiel das „IHK-Matching“, bei dem Jugendliche mit potenziell passenden Betrieben in Kontakt gebracht werden.

Gleichzeitig ist Harald Tölt als IHK-Geschäftsführer Berufsbildung froh, dass nach zwei Jahren Pandemie auch wieder mehr in Präsenz möglich ist. So veranstaltet die Kammer zum Beispiel im Mai zusammen mit Handwerkskammer, Agentur für Arbeit, Metropolregion und Südwestmetall die „Real-Life-Praktikumswoche“, bei der Schülerinnen und Schüler in die Unternehmen schnuppern können. „Wir haben dafür 361 Praktikumsplätze einwerben können. Das zeigt: Die Betriebe nutzen alle Möglichkeiten, um mit den Jugendlichen in Kontakt zu kommen“, sagt Tölt.

In wie vielen neuen Auszubildenden sich all diese Bemühungen am Ende niederschlagen werden, lässt sich aktuell schwer absehen. Bei der Handwerkskammer sind bisher knapp 300 Lehrlingsverträge für das neue Ausbildungsjahr eingetragen, das entspreche etwa dem Niveau der Vorjahre. „Eine Prognose für das Jahr lässt sich daraus aber nicht ableiten, da die Zahl der Verträge traditionell erst ab Mitte Mai zunimmt“, heißt es bei der Kammer. Die IHK Rhein-Neckar zählt bisher knapp 1200 neue Verträge. „Das sind 2,2 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr - damit haben wir seit vielen Monaten endlich wieder ein Plus“, sagt Geschäftsführer Töltl. Die IHK Darmstadt meldet aktuell rund 640 abgeschlossene Verträge für das neue Ausbildungsjahr, bis zum Ausbildungsstart im Herbst peile man etwa 2900 Verträge an.

Schon vor der Pandemie war es für die regionale Wirtschaft immer schwieriger geworden, genügend Jugendliche für ihre Ausbildungsplätze zu finden, jedes Jahr blieben Lehrstellen unbesetzt. Durch die Corona-Krise hat sich die Situation noch verschärft, weil Ausbildungsmessen oder Berufsberatung in den Schulen nicht möglich waren. Dabei wird sich vor allem der Bedarf an Menschen mit beruflicher Ausbildung Prognosen zufolge drastisch erhöhen. IHK-Experte Töltl verweist auf den Fachkräftemonitor: Demnach fehlen im Jahr 2025 im Kammerbezirk 9000 Fachkräfte mit Berufsausbildung. Bei akademisch qualifizierten Fachkräften wird die Lücke laut Prognose „nur“ bei 3300 liegen.

Doch nicht nur die Wirtschaft blickt beim Thema Ausbildung mit Sorgen in die Zukunft. Laut einer Umfrage sorgen sich auch viele junge Menschen um ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt und wünschen sich mehr Unterstützung von der Politik. Unter 1666 Befragten im Alter zwischen 14 und 20 Jahren sehen 54 Prozent ihre Ausbildungschancen durch die Pandemie verschlechtert. Das ergab eine von der Bertelsmann Stiftung beauftragte Erhebung, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Jugendliche mit niedriger Schulbildung seien pessimistischer. (mit dpa)

Redaktion Wirtschaftsreporterin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen