Flüchtlinge - Mannheimer Forscherin stuft Zuwanderer als überdurchschnittlich gut gebildet ein / Nach Deutschland bestehen persönliche Verbindungen, weil hier viele Spätaussiedler leben

Mannheimer ZEW rechnet mit Migrationsschub aus Russland

Von 
Walter Serif
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Spätaussiedler vor dem Grenzdurchgangslager Friedland. In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. © dpa

Mannheim. Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) erwartet einen Migrationsschub aus Russland - und rät der Bundesregierung deshalb, eine Strategie zur Aufnahme der Zuwanderer zu entwickeln. Dass Putins Angriffskrieg zur Flucht von mehr als 4,6 Millionen Menschen aus der Ukraine geführt hat, wird in den Medien rauf und runter gemeldet. Das Forschungsinstitut richtet jetzt aber den Blick auf eine andere Migrationsgruppe.

Experten aus der IT-Branche

Als Folge des Kriegs werden nach ZEW-Einschätzung noch mehr Russen Putins Reich verlassen. „Die Gründe dafür dürften in der eingeschränkten Meinungsfreiheit, Angst vor politischer Verfolgung oder vor Einzug zum Militärdienst sowie in der schlechten ökonomischen Perspektive liegen“, so Migrationsexpertin Katrin Sommerfeld.

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Zielländer für russische Auswanderinnen und Auswanderer sind aktuell vor allem Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan und die Türkei. Diese Staaten sind für russische Flüchtlinge nicht nur der geografischen Nähe wegen zum dauerhaften Aufenthalt oder zum Transit verhältnismäßig gut zu erreichen. Dies liegt an den Visa-Bestimmungen und daran, dass die Flugverbindungen - anders als die Direktflüge in westliche Länder - weiter bestehen. Armenien hat zum Beispiel allein in den ersten drei Kriegswochen bis zu 75 000 Menschen aus Russland aufgenommen. „Das entspricht 2,5 Prozent seiner Bevölkerung“, sagt Sommerfeld.

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Mittel- bis langfristig könnte Deutschland - so die Migrationsexpertin - aber als Zielland an Bedeutung gewinnen, weil dort die Wirtschaftslage gut ist und es persönliche Verbindungen gibt. Obwohl die mangelnden deutschen Sprachkenntnisse eine Herausforderung für die Integration bedeuten könnten, sei die russische Auswanderungsgruppe im Vergleich mit der ukrainischen überdurchschnittlich gut gebildet. „Diese umfasst beispielsweise Spezialkräfte aus der IT-Branche und anderen kreativen Wirtschaftszweigen, die meist über Fremdsprachenkenntnisse wie Englisch verfügen“, sagt Sommerfeld. Sie empfiehlt der Bundesregierung, eine entsprechende Strategie für den Umgang mit den Zuwanderern zu entwickeln: „Politische Erwägungen und Fairness legen nahe, dass Menschen, die politische Verfolgung befürchten, in Deutschland aufgenommen werden sollten.“ Das ZEW rät, dass die Anerkennung beruflicher Qualifikationen schnell gewährten werden sollte.

Viele leben in Großstädten

Ende 2020 waren rund 263 000 russische Staatsbürger in Deutschland registriert. Die meisten von ihnen leben in Großstädten wie Berlin, Hamburg und München. Ihr Anteil an der Bevölkerung ist allerdings in Baden-Baden (1,7 Prozent), Bayreuth (1,1) und Schweinfurt (0,9) am höchsten. Die Zahl der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1991 schätzt das ZEW nach Auswertung der Daten auf 1,8 Millionen. Sie besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Die meisten von ihnen leben in Hamburg und Berlin. Auf Rang drei folgt der Rhein-Sieg-Kreis. Die meisten Spätaussiedler wohnen in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg. Der Anteil der Spätaussiedler an der Bevölkerung ist dagegen in einigen Regionen in Rheinland-Pfalz am größten. Im Rhein-Hunsrück-Kreis sind es 8,5 Prozent. Außerdem sind die Spätaussiedler im Vergleich zu den Russen weniger stark in den Städten konzentriert. Dies liegt daran, dass sie früher nach einem Schlüssel über das Land verteilt wurden.

Sommerfeld erwartet, dass sich die neue Zuwanderung aus Russland dort konzentrieren wird, wo es bereits eine russische Community gibt. Das sei auch schon bei anderen Migrationsbewegungen in der Vergangenheit der Fall gewesen. „Deshalb dürfte sich die regionale Verteilung innerhalb Deutschlands verfestigen“, sagt Sommerfeld.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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