Berlin. Der chinesische Hafen Yantian ist zwar seit vergangenem Donnerstag wieder offen, doch die Folgen einer Teilschließung fühlen Reeder rund um den Globus weiterhin. Vermutlich werden die Störungen im Lieferverkehr noch bis Jahresende andauern. Damit könnte in diesem Jahr bis Weihnachten erneut Knappheit an beliebten Waren aus Ostasien herrschen. Schon jetzt geht ein Preisanstieg beispielsweise für Fahrräder oder Notebooks zum Teil auf höhere Transportkosten und Lieferengpässe zurück.
Gut 160 000 Container stauen sich
Die Mehrheit der Güter aus Fernost kommt per Containerschiff nach Europa. Yantian ist wiederum einer der wichtigsten chinesischen Häfen. Er liegt nordöstlich von Hongkong direkt vor dem Industriezentrum Shenzhen. Auf die Stadt entfallen zehn Prozent der chinesischen Exporte. Nach einer Reihe von Corona-Fällen unter Hafenarbeitern ab dem 21. Mai hatte die Verwaltung dort Quarantäne und Betriebsschließungen verfügt. Seitdem war ein Teil der Anlegeplätze und Kräne für einen guten Monat nicht verfügbar.
In Yantian stecken derzeit rund 160 000 Container der 40-Fuß-Klasse fest. Satellitenbilder zeigen auf der Pier des südchinesischen Hafens Yantian einen lückenlosen, hochgestapelten Teppich der überwiegend rötlichen Boxen. Das Chaos hier ist daher bereits schlimmer als das Debakel um das Schiff „Ever Given“, das im März sechs Tage den Suezkanal blockierte. Die Teilschließung von Yantian betrifft bereits mehr Container als die Blockade im Kanal, berichten übereinstimmend die Reederei Maersk und Analysten.
Der Ausbruch in einem einzelnen chinesischen Hafen zeigt erneut, wie anfällig die moderne Transportweise ist, in der Computer die Warenflüsse und die Verfügbarkeit von Schiffen lange im Voraus planen. „Der Rückstau in Yantian wird erhebliche Auswirkungen auf die Container-Warenflüsse haben“, sagt Peter Tirschwell, Analyst für Seehandel bei dem Forschungshaus IHS Markit. Wenn massenhaft Schiffe ausfallen, gerät das System in eine Krise.
Die Häfen in Südchina laufen zudem auf voller Kapazität und konnten die Last von Yantian nicht einfach abfangen. Die benachbarten Standorte Shekou, Nansha und Hongkong als die logischsten Ausweichplätze zeigen nun ebenfalls Anzeichen von Überlastung, die Umschlagzeiten dort werden ebenfalls länger. Auf den Meeren und Flüssen im ganzen Großraum des Perlflussdeltas tummeln sich Schiffe in Warteposition. Jedes Schiff, das hier verspätet wieder ablegt, fehlt später in einer anderen Weltgegend in einem anderen Hafen. Dort sind wiederum andere Schiff betroffen, die auf Ladung warten. So pflanzen sich die Störungen wie Wellen rund um den Globus fort. Das Uhrwerk der weltweiten Containerlogistik gerät aus dem Takt.
Vorschläge für Ausweichrouten
Die deutsche Transportwirtschaft versucht nun, die Situation durch eine weitreichende Neuplanung der Frachtrouten in diesem Jahr wieder in den Griff zu bekommen. „Wir versuchen, was wir können, um die Verzögerungen in den Fahrplänen zu minimieren“, sagt eine Sprecherin der Reederei Hapag Lloyd in Hamburg. Das Unternehmen informiert seine Kunden laufend über die Entwicklung in den chinesischen Häfen und schlägt Ausweichrouten vor.
Der neue Stau hat vielfältige Folgen – und keine davon ist gut für die Konsumenten. Einerseits wird der Transport von Gütern teuer bleiben oder sogar noch teurer werden, sagt Tischwell. Die Reeder müssen die Frachtraten erhöhen. Wenn Schiffe und Container für den Transport von Asien in die Abnehmerländer in Europa und Amerika knapp werden, steigen entsprechend die Preise. Der Index FBX für globale Frachtraten ist von einem Niveau von 1300 Dollar vor der Pandemie bis Anfang Mai auf mehr als 6000 Dollar angestiegen. Tirschwell erwartet nun für die nahe Zukunft „historische Hochstände“ bei den Frachtkosten. Da viele Waren aus Ostasien kommen, treibt das die Preise insgesamt in die Höhe – der corona-bedingte Inflationsdruck steigt dadurch weiter.
Die Unternehmensberatung McKinsey warnt bereits davor, dass solche Ereignisse noch öfter passieren können. Schon der Unfall im Suezkanal ging möglicherweise indirekt auf Corona zurück: Der Kapitän des Schiffes stand wegen des Container-Rückstaus aus dem vergangenen Jahr unter Druck, seine Ladung schnell nach Rotterdam zu bringen. Deshalb entschied er sich, trotz Seitenwind in den engen Kanal einzufahren, wie der Nachrichtendienst Bloomberg aufgedeckt hat.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Chinesischer Hafen lahmgelegt - Firmen müssen Produktion in Asien überdenken