Fachkräftemangel

Für die Energiewende gibt es zu wenige Handwerker

Viele wollen jetzt eine Solaranlage oder eine Wärmepumpe installieren, doch die Wartezeiten betragen bereits jetzt bis zu einem Jahr

Von 
Bettina Eschbacher
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Handwerker montieren auf dem Dach eines Wohnhauses Solarmodule. © Oliver Berg

Rhein-Neckar-Odenwald. Normalerweise ist jeder gerne vorne dabei in Ranglisten, doch diese Top Ten sind eher schmerzhaft für das Handwerk: Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) hat die Berufe aufgelistet, in denen der Fachkräftemangel am größten ist. „Mit der Bauelektrik, der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie der Kraftfahrzeugtechnik finden sich drei Handwerksberufe unter den Top Ten, in denen akuter Personalnotstand herrscht“, heißt es in der Studie.

Laut Zentralverband des Deutschen Handwerks fehlen im Gesamthandwerk schon jetzt schätzungsweise rund 250 000 Fachkräfte – Tendenz steigend. Auch in der Region ist der Mangel groß, so eine Sprecherin der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald: „Gerade in Gewerken, die Solardächer installieren oder Wärmepumpen einbauen und die die Energiewende umsetzen sollen, ist das Fehlen von Fachkräften deutlich und schmerzlich.“ Bremst der Personalmangel die Energiewende aus? Wir haben nachgefragt, wo es überall hakt.

(Über-)Ehrgeizige Ziele

„Die Ziele der Bundesregierung sind ehrgeizig, aber die Umsetzung an der Basis ist schwierig“, sagt Heiko Ehrhardt. Er ist stellvertretender Obermeister der Bau-Innung Bergstraße. Die Branche habe sich verändert: „Hier gibt es nur noch wenige Firmen, die eigene Leute haben.“ Die kleinen Betriebe, die flexibel auf neue Anforderungen reagieren könnten, fehlten. Und der Nachwuchs bleibe aus. Dabei ist Spezialwissen für die Energiewende gefragter denn je. Vor allem die Sanierung im Bestand sei schwierig. „Es ist technisch anspruchsvoll, ein Haus aus den 70er Jahren umzustellen.“

Die Energieberatung

Wer bei Olaf Ebling einen Termin für eine Energieberatung möchte, muss sich mindestens bis Mitte Dezember gedulden. Ebling ist gelernter Gas- und Wasserinstallateur mit einer Zusatzausbildung zum zertifizierten Energieberater. Er berät zum Beispiel Hausbesitzer, wie sie ihre Immobilie umrüsten können, um erneuerbare statt fossile Energien zu nutzen. Er analysiert, welche Maßnahmen sinnvoll sind, rechnet die Kosten aus, stellt die Förderanträge, etwa bei der KfW.

Dass er neue Wasserhähne setzt, kommt inzwischen selten vor. „95 Prozent meiner Zeit mache ich Energieberatung.“ Die Nachfrage ist seit rund zwei Jahren hoch, aber seit dem Ukraine-Krieg wird der Mannheimer Ein-Mann-Betrieb mit Anfragen erst recht überrollt. Er arbeitet ab, was geht, aber die Aufträge brauchen Zeit. „Für eine Wärmepumpe zum Beispiel muss die Heizlast für jedes Haus genau berechnet werden, beim Gaskessel war das einfacher.“ Wem die Wartezeit bei Ebling bis Dezember zu lang erscheint, stellt bald fest, dass die Spezialisten generell rar sind. „In ganz Mannheim gibt es vielleicht 15 Energieberater“, so Ebling – die hätten alle gut zu tun – bis hin zur Überlastung.

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Alternative Heizsysteme

Angesichts der Gaskrise will die Bundesregierung die Abkehr von fossilen Heizsystemen beschleunigen. Bis 2024 sollen jährlich mindestens 500 000 Wärmepumpen verbaut werden. Ziel sind sechs Millionen eingebaute Anlagen bis 2030. Doch in der Praxis ist es jetzt schon schwierig, einen Experten alleine für die Wartung der Heizung zu finden. Wirtschaftsminister Robert Habeck möchte alle Eigentümer von Gasheizungen zu einem Heizungscheck verpflichten. Wer das vor dem kommenden Winter angehen will, braucht Glück oder einen bestehenden Wartungsvertrag. „Man kann nicht 20 Millionen Heizungen bis Weihnachten optimieren“, so Frank Ebisch vom Zentralverband Sanitär Heizung Klima gegenüber der dpa.

Noch schwieriger wird es bei aufwendigen Arbeiten wie dem Einbau einer Wärmepumpe. Dabei kann es laut Eigentümerverband Haus & Grund zu Wartezeiten bis zu einem Jahr kommen. Zum einen gibt es massive Lieferprobleme beim Material, zum anderen sind ja gerade Heizungstechniker Mangelware. Das IW hat in seiner Studie herausgefunden, dass rein rechnerisch 80 Prozent aller offenen Stellen in diesem Bereich nicht besetzt werden können.

Nachfrage nach Solaranlagen explodiert

Der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am gesamten Stromverbrauch soll bis 2030 von derzeit knapp 50 auf mindestens 80 Prozent steigen. Gebraucht werden dafür deutlich mehr Solaranlagen. Auch hier ist die Nachfrage explodiert, weiß Markus Wenninger. Sein Elektrotechnikbetrieb in Fahrenbach am Rande des Odenwalds plant und installiert Photovoltaikanlagen. Er wird mit Anfragen überschüttet und muss für die Realisierung auf Monate vertrösten

Der Familienbetrieb hat rund 40 Beschäftigte, derzeit könnte er locker zehn mehr gebrauchen. Dazu kommt, dass wegen des weltweiten Chipmangels ständig Anlagenteile zu spät geliefert werden, das bringt mehr Organisationsaufwand und Verzögerungen bei den Projekten.

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Derzeit gibt es nach Schätzungen des Bundesverbands Solarwirtschaft 25 000 Solarhandwerker in rund 5000 Betrieben. Zur Umsetzung der Ausbauziele müsste sich die Zahl in den kommenden Jahren mindestens verdoppeln, hat der Verband ausgerechnet. Praktiker Wenninger hat seine Zweifel, dass das gelingen kann. „Politik trifft Realität“, sagt er.

Mitarbeiter binden

„Wir investieren mittlerweile sehr viel Geld und Zeit, um unsere Mitarbeiter zu binden“, sagt Mittelständler Wenninger. Er mache sich ungleich mehr Gedanken über das Thema als noch vor einigen Jahren. Das fängt beim Lohn an. Längst hält er sich an die Tarife der Metallindustrie in Baden-Württemberg, um zum Beispiel gegenüber der Autobranche attraktiv zu bleiben. Und gerade erst hat Wenninger ein betriebliches Altersvorsorgesystem entwickelt, mit zusätzlichen Monatszahlungen. Auch bei der Arbeitszeit komme er der Belegschaft entgegen. Samstagsarbeit gibt es kaum noch bei ihm, das Wochenende sei den Kollegen wichtiger. Das Handwerk müsse sich viel stärker auf die Arbeitnehmer einstellen, um Beschäftigte zu finden und zu halten, ist Wenninger überzeugt.

Die Aussichten

In Deutschland ziehen im internationalen Vergleich nur relativ wenige Menschen einen Handwerksberuf in Betracht. Die Branche wird hierzulande vor allem hinsichtlich Gehaltschancen schlechter beurteilt als in anderen Ländern, heißt es in einer Studie des US-Mischkonzerns 3M. Die Nachwuchssorgen steigen, wie die aktuellen Ausbildungszahlen der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald zeigen. 1137 Lehrverträge wurden für 2022 bisher abgeschlossen, ein Minus von 5,1 Prozent. Dabei gibt es weit mehr Lehrstellen als Bewerber.

Viele Handwerker nehmen derzeit gar keine neuen Aufträge mehr an. „Grundsätzlich werden die Kunden sich nicht mehr gezielt Anbieter für ihre Leistungen auswählen können, sondern den Dienstleister für ihr Projekt engagieren, der sie noch unterbringen kann“, heißt es beim Baugewerbe-Verband Hessen. Und bei bereits begonnenen Projekten müssten die Kunden immer mit Verzögerungen oder Stillstand rechnen.

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.