Rhein-Neckar. Gegen Sicherheiten, die es nie gab, gewährte die Raiffeisenbank Wiesloch-Baiertal einem Geschäftsmann wie dessen Eltern Darlehen von über neun Millionen Euro. Als die Große Wirtschaftsstrafkammer des Mannheimer Landgerichtes am Montag den einstigen Vorstandsvorsitzenden befragt, meidet der wegen Kreditbetrugs angeklagte 49-Jährige den Blick zu dem Zeugen, der nicht nur seinen Chefposten verloren hat.
Jenseits des Prozesses schwelt die Frage nach Regressansprüchen wegen möglicher Verletzungen der Sorgfaltspflicht. Das kleine Geldinstitut, vormals „Raiffeisen Privatbank“, hat nämlich den genossenschaftlichen Rettungsschirm in Anspruch nehmen müssen. Der mit Zeugenbeistand erschienene 52-Jährige schildert, dass er den Geschäftsmann aus Nussloch bis zum Auffliegen der Betrügereien beziehungsweise dessen Selbstanzeige 2019 stets als „seriös und vertrauenswürdig“ empfunden habe. „Für mich gab es keine Anhaltspunkte für Misstrauen“, so der inzwischen selbstständige Finanzberater, der (wie sein Vorstandsvize) einen Aufhebungsvertrag unterschrieben hat. „Die Bank war mein Leben - und jetzt ist alles aus den Fugen.“
Vermögen im Wert von 90 Millionen
Immer wieder kommt ein vorgegaukeltes Familienvermögen zur Sprache, das Immobilien, Wertpapiere sowie Bargeld bei der Hamburger Sparkasse (Haspa) in der Größenordnung von 90 Millionen Euro umfasst haben soll. Während der fast vierstündigen Befragung blitzen schier unglaubliche Geschichten auf: Beispielsweise sind zugesagte, aber ausbleibende Geldüberweisungen von einem Haspa-Konto zum Absichern einer von den Eltern übernommenen Bürgschaft damit erklärt worden, dass sich anwaltliche Gespräche in Zusammenhang mit einer vorweggenommenen Erbschaft verzögert hätten.
Es sei äußerste Diskretion geboten, weil die Mutter des Kreditnehmers eine Stiefschwester des SAP-Gründers Hasso Plattner sei. Die erfundene Verwandtschaftsbeziehung sollte wohl das nicht existierende Familienvermögen glaubhaft erscheinen lassen.
Zu den Tricksereien gehört auch eine erstaunliche Kommunikationsvereinbarung, die der Familienverbund durchsetzte: Diese untersagte Kontakte der Banken untereinander und schrieb vor, dass Sicherheitsabtretungen per Boten zwischen Haspa und Raiffeisen ausgetauscht werden sollten - was laut Anklage das Manipulieren von Unterlagen ermöglichte.
Kredite auch bei anderen Banken erschlichen
Warum eigentlich bei der Raiffeisen Kredite nötig waren, wenn doch bei der Haspa Riesensummen in bar lagen - auf diese Frage der Kammervorsitzenden Christiane Loos kann der Ex-Bankchef keine Antwort geben. Wie überzeugend der einst vielseitig aktive Geschäftsmann aufzutreten vermochte, offenbart, dass dieser selbst nach aufgefallenen Unplausibilitäten, beispielsweise einer falschen IBAN, bei einem Krisentreffen manipulierte, angeblich tagesaktuelle Kontoauszüge vorlegte.
Wohl weniger vertrauenswürdig als sein Chef empfand ein für Kreditbearbeitung zuständiger Raiffeisen-Mitarbeiter den wortgewandten Angeklagten. Als Zeuge sagt er aus, dessen ersten Darlehensantrag abgelehnt zu haben. Danach sei er allerdings von dem Kunden mit Sonderstatus abgezogen worden.
Der in Untersuchungshaft sitzende Geschäftsmann soll nicht nur bei der Raiffeisen-, sondern auch bei zwei Volksbanken des Rhein-Neckar-Raums Kredite erschlichen haben - insgesamt 24 Millionen Euro.
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