Baden-Baden. Herr Gniffke, haben Sie ein Netflix-Abo?
Kai Gniffke: Nein.
Schauen Sie manchmal heimlich?
Gniffke: Ja, meine Kinder haben einen Account, da schaue ich manchmal zusammen mit meiner Frau rein.
Reizen Sie die Serien?
Gniffke: Mich interessieren eher Filme. Allerdings werden wir selten auf Anhieb fündig, wir stöbern manchmal eine Stunde, können uns nicht entscheiden, und sagen uns dann: Jetzt ist es halb Zehn, und wir gehen unverrichteter Dinge schlafen.
Kai Gniffke
- Der Journalist wurde am 20. November 1960 in Frankfurt geboren. Von 2006 bis 2019 war Gniffke „Erster Chefredakteur“ von ARD-aktuell und damit der „Tagesschau“ und der „Tagesthemen“.
- Er ist seit 2019 Intendant des Südwestrundfunks (SWR). 2023 löste er Tom Buhrow als ARD-Vorsitzenden ab, der den Job von der geschassten RBB-Intendantin Patricia Schlesinger übernommen hatte.
Ich frage das, weil Sie ja die ARD bis zum Ende des Jahrzehnts zum „relevantesten Streaming-Angebot in Deutschland“ machen wollen. Leiden Sie an Größenwahn?
Gniffke: Das müssen andere beurteilen. Ich habe aber als ARD-Vorsitzender einen Auftrag: die Demokratie und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu fördern. Das steht so in unserem Staatsvertrag.
Was hat das mit dem Streaming-Angebot der ARD zu tun?
Gniffke: Wenn wir diesen Auftrag erfüllen wollen, müssen wir Menschen in großer Zahl erreichen und sie mit hervorragenden Medienangeboten versorgen. Also Information, Unterhaltung, Bildung und Beratung. Das können wir doch nicht den großen Streamingdiensten aus Übersee wie Netflix oder Amazon überlassen.
Wie wollen Sie denn eine solche Aufholjagd finanzieren, da müssen Sie doch Milliarden statt Millionen in die Hand nehmen?
Gniffke: Überhaupt nicht. Wenn Sie mal für einen Moment die Zugriffszahlen der beiden Mediatheken von ARD und ZDF addieren, dann sind wir hier in Deutschland fast schon auf Augenhöhe mit Amazon. Dann brauchen wir nur noch wenige Jahre, um den Rückstand zu Netflix aufzuholen. Die spüren schon jetzt unseren heißen Atem im Nacken.
Warum legen Sie dann nicht gleich die Mediatheken von ARD und ZDF zusammen?
Gniffke: Das ginge mir zu weit, weil wir dann ein großes Stück publizistischer Vielfalt einbüßen würden. Aber ARD und ZDF können natürlich ihre Kräfte bündeln. Deshalb haben wir vor zwei Jahren das Streaming-Netzwerk gegründet, wir gehen bei technischen Fragen gemeinsame Wege. Aber die Produktionen behalten die jeweilige Handschrift von ARD und ZDF. Was allerdings heute schon möglich ist: Wenn Sie sich in der ARD-Mediathek eine Dokumentation anschauen, wird Ihnen eine andere vom ZDF empfohlen – ohne, dass Sie die ARD-Mediathek verlassen. Und anders herum genau so. So weit sind wir schon. Wenn wir diesen Weg konsequent weitergehen, haben wir gute Chancen gegen die US-Streamingdienste.
Wenn die ARD mit denen konkurrieren will, muss sie auch bei der Jugend punkten. Wie soll das bei einem Programm funktionieren, das eher für die Omas und Opas, nicht aber für deren Enkel gemacht ist?
Gniffke: Das ist eine Falschinformation, die Fakten sehen anders aus.
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Da bin ich mal gespannt.
Gniffke: Denken Sie nur an „Funk“ . Das Publikum in dem Online-Netzwerk von ARD und ZDF ist zwischen 14 und 29 Jahre alt. Das ist kein Alten-Café. Oder das SWR-Radio „DASDING“, das ist eine junge Welle, die Leute so um 20 hören. Wir haben sehr viel Kontakt zur Jugend. Und die „Tagesschau“ ist das erfolgreichste Medienangebot bei Instagram mit 4,4 Millionen Followern. Auch bei TikTok liegt die „Tagesschau“ vorn. Diese Beispiele widersprechen Ihrer These.
Wenn alles so toll ist, warum hat dann Tom Buhrow, Ihr Vorgänger als ARD-Vorsitzender, das schlimme F-Wort verwendet?
Gniffke: Damit hier kein falscher Zungenschlag entsteht, denn ich habe die Rede fast auswendig im Kopf: Tom Buhrow hat keine Fusion von ARD und ZDF vorgeschlagen, er hat nur gesagt, man müsse die Frage stellen, ob die Gesellschaft sich noch zwei beitragsfinanzierte Rundfunkanstalten leisten will.
Und wie stehen Sie zur Fusion?
Gniffke: Ich kann das als ARD-Vorsitzender nicht entscheiden, das ist Sache der 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Und wenn die das wollen, dann können sie es tun. Aber was wäre denn mit einer Fusion von ARD und ZDF gewonnen? Wir klagen doch bereits heute darüber, dass die Mediennutzung auch in Deutschland mittlerweile in der Hand einiger weniger weltweit agierender Konzerne liegt. Einen solchen Konzentrationsprozess gibt es ja auch in der Zeitungslandschaft.
Das liegt auch daran, dass die Zeitungen – anders als die Öffentlich-Rechtlichen – keine Zwangsbeiträge bekommen, sondern private Unternehmen sind.
Gniffke: Ich kenne natürlich die hochproblematische Situation, in der sich die Printhäuser befinden. Die Papier- und Energiepreise sind enorm gestiegen. Und ich weiß, wie schwierig es für die Zeitungen ist, digitale Erlöse zu erzielen . . .
… auch weil ARD und ZDF ihre digitalen Angebote den Nutzern umsonst anbieten …
Gniffke: … das ist mir alles sehr bewusst, deshalb ist es ja auch eine Gnade, dass wir uns durch Beiträge finanzieren können.
Deshalb fragt sich die Gesellschaft, warum sie zwei Rundfunkanstalten finanzieren soll, deren Programme sich kaum unterscheiden …
Gniffke: … das stimmt doch nicht! …
… es laufen gefühlt jeden Abend Krimis, selbst der „Tatort“ ist nicht mehr das, was er mal war.
Gniffke: Einspruch! Im Ersten, also im linearen Fernsehen, strahlen wir abends um 20 Uhr nur donnerstags und sonntags Krimis aus. Und der „Tatort“ ist bei Einschaltquoten und regionaler Verankerung immer noch ein Flaggschiff. Und auch das ZDF hat seine eigenen, unverwechselbaren Flaggschiffe. Bei einer Fusion von ARD und ZDF würden wir diese Vielfalt aufgeben. Das wäre für unsere Demokratie und für die Gesellschaft der falsche Weg.
Sehen Sie wenigstens innerhalb der ARD noch mögliche Synergien?
Gniffke: Natürlich. Ich habe diese Diskussion als SWR-Intendant selbst angezettelt. Muss jedes Dritte Programm wirklich ein eigenes Gesundheitsmagazin haben, in dem dann der eine Sender über Hausmittel gegen Grippe in Bautzen und der andere über welche in Bitburg berichtet? Deshalb ist das Teil der größten Reform, die es in der ARD je gab. Nicht mehr jedes Medienhaus in der ARD macht alles, wir machen mehr gemeinsam, aber dafür besser. Wir bringen journalistische Exzellenz und wirtschaftliche Effizienz zusammen.
Haben Sie deshalb als SWR-Intendant die bei Älteren so beliebte Sendung „Ich trage einen großen Namen“ gestrichen?
Gniffke: Manches muss leider sein. Auch wir spüren die Inflation und müssen deshalb Kosten senken. Deshalb müssen wir schauen, welches Publikum gut versorgt ist und für welches wir mehr Mittel aufwenden sollten. Da sehen wir, dass wir bei der älteren Zielgruppe einen Großteil der Ressourcen einsetzen.
Vorher haben Sie noch bestritten, dass Sie vor allem ein Senioren-Programm machen. Beim Ressourceneinsatz ist das aber so.
Gniffke: Das stimmt. Wir geben 75 Prozent der Mittel für Menschen aus, die älter als 50 sind. Das ist in der Tat nicht fair, das müssen wir korrigieren. Denn auch die Jungen zahlen den Rundfunkbeitrag. Und da nicht zusätzliche Ressourcen vom Himmel fallen werden, müssen wir umschichten.
Sie wollen also sparen und keine Gebühren erhöhen?
Gniffke: Das entscheidet die Politik.
Laut „Business Insider“ kalkuliert die ARD mit einem künftigen Rundfunkbeitrag von 25,19 Euro. Gegenwärtig sind es 18,36 Euro. Das klingt nicht nach Sparkurs.
Gniffke: Nochmal: den Rundfunkbeitrag legen nicht wir fest, sondern die unabhängige Gebührenkommission KEF und am Ende die Landesregierungen und Länderparlamente. Darum macht es überhaupt keinen Sinn zu behaupten, die ARD „knalle“ den Rundfunkbeitrag auf 25 Euro, wie es eine Zeitung geschrieben hat. Das ist Quatsch. Und die Zahlen von „Business Insider“ sind uralt. Das Medium bezieht sich auf ein Papier aus der Vorsitz-Zeit Patricia Schlesingers.
Sie hat den RBB wie einen Selbstbedienungsladen missbraucht. Kann sich so etwas wiederholen?
Gniffke: Wir haben die Kontrolle gestärkt und Brandschutzmauern geschaffen, die hoffentlich dick genug sind, einen erneuten Missbrauch der Beitragsgelder zu verhindern. Also schärfere und einheitliche Compliance-Regelungen, verknüpft mit externen Anlaufstellen. Auch die Transparenz-Regeln sind jetzt viel strenger. Wir werden zum Beispiel im Laufe dieses Jahres die Gehälter aller unserer Führungskräfte offenlegen.
Stichwort Gehalt. Sie verdienen im Jahr 361 000 Euro. Das ist mehr als der Bundeskanzler. Wie wollen Sie das vor dem Gebührenzahler in diesen schwierigen Zeiten rechtfertigen?
Gniffke: Ich vergleiche mich und mein Gehalt nicht mit dem Bundeskanzler. Aber das obliegt ja auch nicht mir zu sagen, ich möchte jetzt das und das verdienen. Über die Frage, was eine angemessene Vergütung für einen CEO eines ARD-Medienhauses ist, entscheiden die Aufsichtsgremien.
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