Mannheim. Frau Schnitzer, Grünen-Politiker Anton Hofreiter fordert, dass sich Kanzler Olaf Scholz für das Chaos entschuldigen muss, das er im Haushaltsstreit angerichtet hat.
Monika Schnitzer: Ich sehe die Verantwortung nicht in einer einzigen Person, sondern in der Koalition insgesamt. Die Ampel wollte 2023 die Schuldenbremse einhalten, sie konnte sich aber nicht auf Steuererhöhungen oder Einsparungen im Haushalt einigen, um ihre politischen Projekte zu finanzieren.
Deshalb hat sie getrickst, ist damit vor dem Bundesverfassungsgericht aber gescheitert.
Schnitzer: Ja, und deshalb muss sie sich jetzt zusammenraufen.
Hand aufs Herz, glauben Sie wirklich, dass die Koalition bis Jahresende 17 Milliarden Euro zusammenkratzen kann?
Schnitzer: Ja, ich glaube, das wird die Ampel schaffen.
Woher rührt Ihr Optimismus?
Schnitzer: Was bleibt der Bundesregierung denn anderes übrig? Deshalb tagen die Koalitionäre doch praktisch rund um die Uhr. Die Regierung wird schauen, an welcher Stelle sie Haushaltskürzungen vornehmen und welche Ausgaben sie zeitlich verschieben kann.
Die FDP will ans Bürgergeld ran.
Schnitzer: Ja, es ist schon interessant, dass die Liberalen, aber auch die Unionsparteien die Sozialausgaben kürzen wollen. Ich frage mich nur, wie das denn beim Bürgergeld gehen soll?
Warum?
Schnitzer: Das Bürgergeld soll einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch erfüllen, die Sicherung des Existenzminimums. Deshalb muss das Bürgergeld wegen der hohen Inflation, die wir haben und auch noch im nächsten Jahr erwarten, angepasst werden. Hinzu kommt, und das wird von den Kritikern leider nicht gesehen, dass die Inflation für Geringverdiener besonders schlimm ist, weil die einen Warenkorb haben . . .
… in dem Christian Lindners Porsche nicht steht …
Schnitzer: … ja, da gibt es keinen Sportwagen, sondern vor allem Nahrungsmittel, und die sind besonders teuer geworden. Kürzungen beim Bürgergeld sind deshalb verfassungsrechtlich nur sehr begrenzt möglich.
Wo würden Sie denn bei den Sozialabgaben kürzen, oder sind die für Sie prinzipiell tabu?
Schnitzer: Nein, natürlich muss man die unter die Lupe nehmen. Aber ich würde erwarten, dass die Unionsparteien auch ihre eigenen früheren Wahlgeschenke auf den Prüfstand stellen, wie zum Beispiel die Mütterrente. Allerdings wäre da der politische Widerstand groß. Außerdem dürfte die Umsetzung ebenfalls schwierig sein, weil einige der Betroffenen ihre Rentenbescheide schon bekommen haben. Diese zu ändern, wäre eine heikle Sache. Für mich wäre das jedenfalls eine viel plausiblere Maßnahme als die Kürzung des Bürgergelds.
Sie sagen aber selbst, dass im Prinzip beides nicht geht. Gibt es also gar keine Einsparmöglichkeiten?
Schnitzer: Doch, zum Beispiel das Diesel-Privileg. Mag sein, dass es früher seine Berechtigung hatte.
Auch das ist strittig.
Schnitzer: Richtig, aber in der gegenwärtigen Lage ist die staatliche Subvention von Dieselfahrzeugen schwer verständlich. Denn die Bundesregierung fördert an der einen Stelle Elektroautos mit vielen Milliarden Euro, um deren Kostennachteil gegenüber den Verbrennern zu kompensieren, gleichzeitig bekommen die Dieselfahrer einen Rabatt auf ihren Kraftstoff.
Sie wollen also die Subventionen für die E-Autos behalten und die für Dieselfahrzeuge streichen?
Schnitzer: Wir bräuchten keine so hohen Subventionen für die E-Autos, wenn wir das Diesel-Privileg streichen würden. Wir würden also unterm Strich Geld sparen und könnten trotzdem den CO2-Ausstoß im Straßenverkehr senken.
Infos zu Monika Schnitzer
- Monika Schnitzer wurde am 9. September 1961 in Mannheim geboren.
- Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre und ihrer Promotion übernahm sie 1996 den Lehrstuhl für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Schwerpunkt liegt in der Wettbewerbspolitik.
- Schnitzer ist seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Oktober 2020 wurde sie zur Vorsitzenden der „Fünf Wirtschaftsweisen“ gewählt.
Und wie sieht’s mit dem Dienstwagen-Privileg aus? Wollen Sie diese Subvention komplett streichen?
Schnitzer: Ja, der Sachverständigenrat hat sich schon früher kritisch dazu geäußert. Wenn überhaupt, sollten nur noch Elektrofahrzeuge gefördert werden.
Auch beim Kerosin könnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Nichtbesteuerung benachteiligt die Bahn und den Straßenverkehr krass, außerdem gehen dem Staat mehrere Milliarden Euro pro Jahr verloren.
Schnitzer: Das stimmt natürlich alles. Aber es bleibt eine heikle Sache. Beim Kerosin gibt es ja eine europäische Regelung, man könnte diese aber zumindest für innerdeutsche Flüge ändern.
Das alles zusammen reicht aber nicht, um die Löcher im Haushalt zu stopfen, oder?
Schnitzer: Allein das Diesel-Privileg kostet den Steuerzahler rund acht Milliarden Euro im Jahr. Das ist doch eine Menge Geld.
Die FDP lehnt Steuererhöhungen ab, wie ist da Ihre Position?
Schnitzer: Der Sachverständigenrat hat ja schon 2022 kritisiert, dass die Energiepreisbremsen nicht zielgenau sind, das heißt, auch diejenigen haben profitiert, die die Subventionen gar nicht gebraucht hätten. Wir haben damals als Ausgleich eine Art Energiesoli vorgeschlagen.
Daraus ist nichts geworden.
Schnitzer: Ja, aber ich meine, dass man das noch immer machen kann, auch wenn die Energiepreisbremsen jetzt auslaufen sollen. Wir leben in einer Ausnahmesituation. Erst die Pandemie, dann die Energiekrise. Deshalb könnte man vertreten, den Menschen, deren Schultern mehr tragen können, für eine begrenzte Zeit und einen klar definierten Zweck etwas mehr abzuverlangen. Unser Bruttoinlandsprodukt wäre um knapp fünf Prozent höher, wenn es diese Krisen nicht gegeben hätte. Deshalb haben wir viel weniger Steuern eingenommen. Gleichzeitig sind die Ausgabenbedarfe gestiegen, allein schon durch die Hilfsmaßnahmen.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz behauptet das Gegenteil, er meint, dass Deutschland kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem habe.
Schnitzer: Natürlich sind die Steuereinnahmen nominal gestiegen, das liegt aber vor allem an der Inflation, weshalb zum Beispiel das Mehrwertsteueraufkommen gewachsen ist. Deshalb ist der Staat aber nicht reicher geworden. Seine Ausgaben sind ja auch gestiegen. Er muss die höheren Gehälter bezahlen und die höheren Heizkosten für die Schulen. Die Steuereinnahmen pro Bruttoinlandsprodukt sind in diesem Jahr zurückgegangen. Und ohne die Krisen wäre das Bruttoinlandsprodukt viel höher.
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Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium will zwar die Schuldenbremse reformieren, hält aber an der erlaubten Obergrenze des Defizits fest. Es beträgt 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dieser Wert wurde 2009 politisch festgelegt, ist aber ökonomisch völlig willkürlich.
Schnitzer: 0,35 Prozent sind wirklich sehr wenig, wenn man bedenkt, vor welchen Herausforderungen der Staat steht. Man könnte die Defizitgrenze durchaus anheben. Das allein würde aber unser Investitionsproblem nicht lösen, sondern den Spielraum nur ein wenig erhöhen. Deshalb sollte eine grundsätzlichere Reform, wie sie der Wissenschaftliche Beirat vorgeschlagen hat, angegangen werden.
Der Wissenschaftliche Beirat will schuldenfinanzierte Nettoinvestitionen nicht in die Berechnung des Defizits einfließen lassen, das schafft doch auch Luft, oder?
Schnitzer: Ja, ich bin Mitglied im Beirat und unterstütze diesen Vorschlag auch. Aber wir müssen bei der Schuldenbremse auch noch an einer anderen Stellschraube drehen.
Wo denn?
Schnitzer: Die gegenwärtige Regelung der akuten Notlage, die es erlaubt, die Schuldenbremse auszusetzen, ist lebensfremd, weil sie nicht berücksichtigt, dass die Auswirkungen einer Notlage länger anhalten. Man kann nicht alle Folgekosten im Kalenderjahr nach dem Beginn der Notlage gleich im normalen Haushalt unterbringen. Die Energiepreise waren ja auch 2023 noch hoch, obwohl der Ukraine-Krieg 2022 begonnen hat. Eine Krise kann eben länger als ein Jahr, womöglich sogar viele Jahre dauern. Deshalb muss es möglich sein, dass der Staat die Schuldenbremse über einen längeren Zeitraum aussetzen kann, selbst wenn die Ursache der Krise länger zurückliegt, die Folgen aber andauern.
Kann der Staat unter den gegebenen Umständen auch nächstes Jahr die Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen?
Schnitzer: Ich könnte mir das schon vorstellen. Denn die Energiepreise werden auch im nächsten Jahr noch höher sein als vor der Krise, und es muss jetzt sehr viel getan werden, um das Energieangebot auszubauen. Das ist eine Belastung für den Staat, für die Unternehmen und für die Bürgerinnen und Bürger. Ob die Regierung das tun wird, weiß ich nicht.
Und wenn sich die Bundesregierung traut, haben Sie da keine Angst, dass das Verfassungsgericht wieder einschreitet?
Schnitzer: Ich kann nicht in deren Köpfe schauen, und ich bin auch keine Juristin. Es muss auf jeden Fall sehr gut begründet werden. Wenn die Bundesregierung aber jetzt darauf hinweisen würde, dass die hohen Energiepreise längerfristig negative Folgen haben und der Staat umso schneller in die erneuerbaren Energien investieren und sich wegen der geopolitischen Risiken unabhängiger von China machen muss, könnte das klappen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Die Schuldenbremse ist in Wirklichkeit ein Bremsklotz