Wirtschaftspolitik

Habeck-Berater aus Mannheim rüttelt an der Schuldenbremse

Kaputte Straßen, Brücken und Schienen - die Infrastruktur ist in einem erbärmlichen Zustand. In einem Gutachten machen der Mannheimer Ökonom Eckhard Janeba und seine Kollegen Vorschläge, wie sich das ändern lässt

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Walter Serif
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Ein Auto fährt durch ein Schlagloch. Immer mehr Unternehmen klagen über die teilweise marode Infrastruktur in Deutschland. © Jens Büttner/dpa/Katrin Glückler

Der Ökonom Eckhard Janeba von der Universität Mannheim genießt in der Fachwelt einen exzellenten Ruf. Deshalb war es auch keine Sensation, dass ihn seine Kolleginnen und Kollegen im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium im Mai zu ihrem Vorsitzenden wählten. Das Gremium berät Robert Habeck (Grüne), ist in der Öffentlichkeit aber nicht so bekannt wie die „Fünf Wirtschaftsweisen“. Während der Sachverständigenrat nur einmal im Jahr einen großen Auftritt mit seinem voluminösen Gutachten hat, meldet sich der Beirat häufiger in Form von kurzen Gutachten und Stellungnahmen zu Wort. Die Öffentlichkeit nimmt davon in der Regel weniger Notiz.

Shitstorm wegen Renten-Vorstoß

Es gibt aber Ausnahmen. 2021 erntete der Beirat einen formidablen Shitstorm. Die 40 Mitglieder hatten in ihrem Gutachten die „Rente mit 68“ gefordert. Der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) war sauer, die Gewerkschaften liefen Sturm. Dabei hatte der Beirat nur das ausgesprochen, was eigentlich jedem einleuchten müsste: „Wir erwarten alle, dass wir länger leben und besser versorgt werden, sind aber nicht bereit, dafür mehr zu tun. Das kann so natürlich nicht funktionieren“, sagte Janeba damals dieser Redaktion im Interview.

Keine Stellungnahme zum Urteil

In seinem am Dienstag in Berlin veröffentlichten Gutachten beschäftigt sich der Beirat mit der Reform der Schuldenbremse und gibt „Empfehlungen für eine nachhaltige Finanzpolitik“. Solche Ratschläge kann die Ampel nach dem für sie vernichtenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 gut gebrauchen. Sie steht politisch mit dem Rücken zur Wand und sucht verzweifelt einen Ausweg aus der vertrackten Lage, in die sie sich selbst manövriert hat, weil sie die Schuldenbremse mit Haushaltstricks manipulierte. Allein für das nächste Jahr fehlen der Bundesregierung 17 Milliarden Euro. Mittelfristig sind es sogar 60 Milliarden Euro.

Guter Rat ist also teuer. Doch Janeba & Co. haben sich mit der aktuellen Krise überhaupt nicht beschäftigt, wie dem Gutachten leider zu entnehmen ist. Die letzte Sitzung des Gremiums datiert vom 13. Oktober 2023. Das Karlsruher Urteil, das einen Monat später erfolgte, findet deshalb mit keinem Wort Erwähnung. „Das liegt in der Natur des Prozesses“, sagt Janeba dazu. Das Gutachten sei nach seiner Verabschiedung an den Minister gegangen und von Habeck erst am 21. November – also nach dem Urteil – freigegeben worden. Änderungen hätten angesichts des zähen Prozederes keinen Sinn mehr gemacht.

Warnung vor zu großem Risiko

Gleichwohl gibt Janeba gerne Auskunft über die aktuelle Lage. „Ich kann da aber nur für mich sprechen“, sagt er. Die Haushaltstricks der Ampel hat er schon vor dem Urteil „für suspekt gehalten“ und deshalb auch erwartet, dass Karlsruhe den Nachtragshaushalt „monieren“ würde. „Überrascht hat mich allerdings, dass das Urteil rückwirkend die Änderung in dem Maße erzwingt“, sagt er.

Der Ökonom aus Mannheim glaubt allerdings, dass Karlsruhe – nur wo ein Kläger ist, ist ein Richter – kein Problem damit hätte, dass die Bundesregierung den Nachtragshaushalt 2023 nachträglich heilen will, indem sie erneut die Schuldenbremse mit Hinweis auf eine Notlage aussetzt. „Aber es ist am Ende eine juristische Frage“, sagt Janeba im Wissen, dass solche Vorhersagen immer mit Unwägbarkeiten behaftet sind. Dass die Richter aber ein Aussetzen der Schuldenbremse auch für den Haushalt 2024 akzeptieren würden, glaubt Janeba nicht.

Eckhard Janeba

  • Eckhard Janeba (Jahrgang 1965) wurde in Bremen geboren. Seit 2004 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Mannheim. Seine Schwerpunkte sind Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik.
  • Janeba ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Das Expertengremium hat 40 Mitglieder. 

„Es würde rechtlich vermutlich nicht durchgehen, und man sollte deshalb jetzt nicht wieder auf eine so riskante Strategie setzen. Im Übrigen bedeutet die Kreditaufnahme unter einer Notfallsituation nicht, dass das ,freies Geld’ ist, sondern auch dieses muss getilgt und mit Zinsen zurückgezahlt werden“, sagt der Habeck-Berater. Anders ausgedrückt: Schulden bleiben auch in Schattenhaushalten Schulden.

2024 keine Notlage mehr möglich?

Aber wie soll und kann die Ampel das Milliarden-Loch im nächsten Jahr stopfen? Die Bundesregierung will den Haushalt 2024 noch in diesem Jahr stemmen. Ob das klappt, steht in den Sternen. „Es wird zu Anpassungen kommen müssen, die aber ganz unterschiedliche Formen annehmen können: echte Einsparungen von Ausgaben, Verschiebung von Ausgaben in die Zukunft, Streichung von Subventionen, Steuererhöhungen“, sagt Janeba. Allerdings hält er Steuererhöhungen, die die FDP ja bekanntlich rigoros ablehnt, „eher für unwahrscheinlich, aber im politischen Prozess werden alle drei Parteien Kompromisse machen müssen“. Danach sieht es gegenwärtig aber nicht aus, wie der Streit ums Bürgergeld belegt.

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Unabhängig von der aktuellen Haushaltskrise hat der Beirat Vorschläge in das Gutachten aufgenommen, die für Diskussionsstoff sorgen können. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen eine Reform der Schuldenbremse, die die Nettokreditaufnahme auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt. Abschaffen will der Beirat die Schuldenbremse nicht, weil diese es nach seiner Ansicht der Politik erschwert, die Last, die die Gesellschaft schultern muss, auf die nachfolgende Generation abzuwälzen.

Politiker verteilen Geschenke

Gleichwohl sehen die Expertinnen und Experten eine Schwäche an der Schuldenbremse. Denn sie kann nicht verhindern, dass die Regierungen das Geld lieber für Konsumausgaben verwenden. Ein Paradebeispiel dafür ist das Neun-Euro-Ticket. Die Kosten beliefen sich auf rund 2,5 Milliarden Euro. Die Menschen konnten zwar umsonst durch die Republik reisen, das Geld hätte man aber auch in neue Schienen und Weichen investieren können. Politiker, die die nächste Wahl im Auge haben, werden Investitionen im Vergleich zu staatlichen Konsumausgaben tendenziell vernachlässigen. Dann erben die Kinder und Enkel nicht nur Schulden, sondern auch kaputten Straßen und Brücken.

Hier setzen Janeba & Co, an. Würde die Politik mehr in die Infrastruktur investieren, könnten davon alle Generationen profitieren. Habecks Berater wollen deshalb Anreize schaffen, damit die Politik ihr Ausgabeverhalten ändern. Sie schlagen vor, dass „schuldenfinanzierte Nettoinvestitionen“ nicht in die Berechnung des Defizits einfließen sollen.

Lieber keine höheren Steuern

Zwar vertritt der Beirat die Ansicht, dass „die Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur eine Daueraufgabe ist, und daher nicht über Schulden finanziert werden soll“. Aber auch in diesem Punkt treffen die Wissenschaftler eine wesentliche Unterscheidung: „Die Infrastruktur ist in vielen Bereichen in Deutschland aber über Jahre vernachlässigt worden, sodass jetzt ein Bedarf besteht, der über die regelmäßige Aufrechterhaltung hinausgeht.“ Auch der Ausbau des Schienenverkehrs, der für die Energiewende notwendig ist, lasse deshalb eine Schuldenfinanzierung zu. Janeba und sein Team rechtfertigen die Schuldenfinanzierung von zusätzlichen Investitionen, wenn diese dem Fiskus zusätzliche Steuereinnahmen in die Kasse spülen. Die Zusatzlast wäre geringer als bei Steuererhöhungen.

Allerdings will der Beirat verhindern, dass die Politik trickst und öffentliche Konsumausgaben als Investitionen deklariert. Die Wissenschaftler empfehlen deshalb analog zum Bundesrechnungshof ein unabhängiges Expertengremium, das die Politiker kontrollieren soll.

Außerdem schlägt der Beirat die Einrichtung von Investitionsfördergesellschaften vor, die „bindende vertragliche oder gesetzliche Ansprüche auf gleichbleibende Mittelzuweisungen über einen mehrjährigen Zeitraum haben“, um damit eine Verstetigung der Investitionen in öffentlichen Haushalten zu garantieren. Dies würde den Beteiligten Planungssicherheit verschaffen. Der Ball liegt jetzt im Feld – mal schauen, wie die Politik reagiert.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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