Mannheim. Frau Engelhorn, vor drei Jahren haben Sie angekündigt, dass Sie den Löwenanteil Ihres Millionen-Erbes verschenken wollen, weil der österreichische Staat die Reichen steuerlich ungeschoren davonkommen lässt. Vor zwei Wochen haben Sie auf einer Pressekonferenz in Wien die Details genannt. Fühlen Sie sich jetzt befreit?
Marlene Engelhorn: Ein bisschen. Ich wurde ja bereits, als meine Großmutter noch lebte, ständig gefragt, wie hoch denn mein Erbe sein würde.
Und als sie dann tot war, habe ich Sie genervt.
Engelhorn: Nein, das war als Journalist schon Ihr Recht. Die Öffentlichkeit sollte es ja auch erfahren. Aber das ganze Prozedere hat halt lange gedauert. Und jetzt steht fest, wie viel Geld rückverteilt wird.
Sie verschenken 25 Millionen Euro. Sind das die 90 Prozent des Erbes, von denen Sie früher immer gesprochen haben? Dann würde für Sie ja noch immer ein Haufen Geld übrig bleiben.
Engelhorn: Gut, dass Sie mir die Möglichkeit geben, das richtigzustellen. Das ist ein Missverständnis. Ich habe immer gesagt, dass ich mindestens 90 Prozent rückverteilen will, weil ich von Anfang an wusste, dass das locker drin sein würde. Ich kannte aber die konkrete Zahl nicht. Der „Gute Rat für Rückverteilung“, der über die Verwendung des Geldes entscheiden soll, bekommt von mir ja zusätzlich noch ein Budget von drei Millionen Euro. Und außerdem habe ich ja bekanntlich auch schon früher privat rückverteilt. Im Prinzip geht es also in Richtung 100 Prozent. Ich werde für mich nur einen kleinen Teil behalten, den ich für die Übergangsphase ins Erwerbsleben brauche. Als Studentin und Aktivistin verdiene ich ja kein Geld und brauche deshalb einen gewissen Puffer und möchte nicht künstlich ein Prekariat erschaffen. Das wäre Unfug. Dieses Privileg nehme ich mir heraus.
BASF-Erbin Marlene Engelhorn
- Die deutsch-österreichische Aktivistin Marlene Engelhorn wurde 1992 in Wien geboren. Sie ist Mitgründerin der Initiative Taxmenow (Besteuert mich), die ursprünglich ein Zusammenschluss von Vermögenden war. Sitz ist Berlin. Engelhorn ist dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. 2022 hat sie ein Buch („Geld“) veröffentlicht.
- Marlene Engelhorn ist die Enkelin der 2022 verstorbenen Traudl Engelhorn-Vechiatto. Deren Mann Peter Engelhorn war ein Urenkel des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn. Peter Engelhorn war Mitgesellschafter von Boehringer Mannheim (heute Roche).
- Das Unternehmen wurde 1997 an den Pharmakonzern Hoffmann-La Roche verkauft. Engelhorn-Vechiatto soll einen Milliardenbetrag bekommen haben.
Ich glaube, das wird Ihnen wirklich keiner neiden.
Engelhorn: Aber die Leute erwarten von mir jetzt Rechenschaft. Und das finde ich großartig.
Haben Sie erwartet, dass Ihre Geschichte ein so großes Medieninteresse auslösen würde?
Engelhorn: Im deutschsprachigen Raum hat mich das Interesse nicht überrascht. Immerhin ist das ja jetzt schon das dritte Interview, das Sie mit mir führen. Und ich habe die Sache natürlich auch mit meiner Öffentlichkeitsarbeit selbst gepusht. Dass es aber jetzt auch Artikel und Interviews in der „New York Times“ oder der Wochenzeitung „The Nation“ gibt, ist schon verrückt.
Eine verfassungswidrige, lebensfeindliche und menschenverachtende Verwendung des Geldes ist natürlich ausgeschlossen
Die Story ist nach Übersee und um die ganze Welt gegangen. Da zeigt es sich sehr schön, dass es einen wahnsinnigen Hunger auf demokratiepolitisch interessante Projekte wie unseren „Guten Rat für Rückverteilung“ gibt. Die Vorstellung, dass 50 per Zufallswahl und nach repräsentativem Verfahren bestimmte Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich an sechs Wochenenden treffen und am Ende eine Lösung auf den Tisch legen, finde eben nicht nur ich faszinierend.
Haben Sie keine Angst, dass bei den langen Sitzungen das große Chaos ausbricht?
Engelhorn: Keine Sorge, es gibt da eine wissenschaftliche Begleitung und eine Moderation, deshalb habe ich keine Angst, dass die Bürgerrätinnen und Bürgerräte sich dann niederbrüllen. Eine andere Frage ist natürlich, ob sie sich einigen können. Wenn nicht, würde das Geld ja wieder an mich zurückfallen. Dann müsste ich mir neue Gedanken machen. Das hoffe ich natürlich nicht.
Ein paar Leitplanken haben Sie aber schon eingebaut. Das Geld darf nicht an verfassungsfeindliche Parteien und Einzelpersonen gehen. Natürlich auch nicht an Reiche oder den Räten nahe stehende Personen. Das müsste doch selbstverständlich sein. War da Ihr Misstrauen so groß?
Engelhorn: Nein, ursprünglich wollte ich das gar nicht. Aber man hat mir dann doch geraten, das zu tun, damit es am Ende nicht heißt: Warum war die Engelhorn denn so bescheuert und hat das zugelassen. Es ist eben nichts selbstverständlich. Wir schreiben ja auch im Grundgesetz auf, was eigentlich ungesagt klar sein sollte: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und was die Leitplanken angeht: Eine verfassungswidrige, lebensfeindliche und menschenverachtende Verwendung des Geldes ist natürlich ausgeschlossen. Aber es ist darüber hinaus zum Beispiel auch generell nicht möglich, mit dem Geld Parteien zu finanzieren oder zu initiieren, oder auch ein profitorientiertes Unternehmen zu gründen.
Sie haben kein Mitspracherecht, das ist ja schon bemerkenswert.
Engelhorn: Das ist eben der Unterschied zu anderen Bürgerräten, wie es sie auch in Deutschland gibt. Deren Ergebnisse sind in der Regel nicht bindend. Das zerbröselt dann und löst bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nur Frust aus. Im Prinzip ist ein solches Verhalten respektlos gegen den Souverän. Und der ist doch das Volk. Die Regierung kann doch nicht sagen, wir sind der Repräsentant des Volkes, aber wir hören nicht auf euch.
Ein Minister ist ein Diener des Volkes und nicht umgekehrt. Das wollen wir wieder geraderücken. Unser Ansatz, dass alle Menschen in einer Demokratie eingeladen sind und teilhaben dürfen, der ist doch faszinierend, oder? Das ist Demokratie pur.
Zumindest ist dieser Ansatz auch ein Misstrauensvotum gegen das österreichische Parlament und die Regierung. Die ja im Prinzip den Wählerwillen missachten.
Engelhorn: Das gilt ja in anderen Ländern auch. Es gibt in Österreich schon seit Jahren klare Mehrheiten für die Einführung einer Vermögens- und Erbschaftsteuer. Dass sich das nicht in der Politik widerspiegelt, ist ein Armutszeugnis.
Sie haben sich ja selbst als das „Rich Kid“, das die Reichen ärgert, bezeichnet und den Weg in die Öffentlichkeit bewusst gesucht. Haben Sie Angst, dass das Interesse an Ihrer Person zurückgeht, wenn die 25 Millionen Euro weg sind?
Engelhorn: Ich würde es gut finden, wenn sich die Debatte über die Verteilung des Vermögens von mir emanzipiert. Ich habe einen Riesenwirbel veranstaltet, aber im Prinzip bin ich austauschbar. Es gibt so viele andere Menschen, die schon seit Jahrzehnten für mehr Gerechtigkeit kämpfen. Wenn die jetzt mehr Aufmerksamkeit bekommen, wäre das eine wunderbare Verschiebung des Spotlights.
Übrigens: Auch wenn ich kein Vermögen mehr besitze und irgendwann ins Erwerbsleben gewechselt habe, muss ich sagen, ich bin zwar jetzt raus aus der Reichensuppe, bleibe aber durch und durch privilegiert. Denn ich bin ja durch meine Familie mit einem sozialen Sicherheitsnetz ausgestattet, das viel enger ist als das öffentliche. Das finde ich sehr schade.
Warum?
Engelhorn: Weil ich lieber etwas hätte, das wir gemeinsam hätten, damit der ganze Haufen an Sorgen weniger wird. Nehmen wir mal an, mir passiert etwas, oder ich habe im Erwerbsleben keinen Erfolg und brauche Geld, dann gibt es immer jemanden, den ich anrufen kann. Und in der Regel ist es dann eine Person, die auch wirklich helfen kann. Das hat eine andere Dimension als bei normalen Menschen. Diese Privilegienstruktur wird bleiben, auch wenn ich nicht mehr vermögend sein werde. Das ist nun mal so, und ich muss auch in aller Ehrlichkeit zu diesem Privileg stehen.
Verstoßen worden sind Sie von Ihrer Familie also nicht, weil Sie Ihr Erbe verschenken?
Engelhorn: Nein, gar nicht, meine Familie unterstützt mich auch und billigt, dass ich das Geld weggebe. Die Familie hat auch Verständnis dafür, dass ich an die Öffentlichkeit gehe, sie selbst haben aber alle die Öffentlichkeit nicht gewählt. Und das akzeptiere ich auch. Deshalb schweige ich darüber, was sie sonst so alles sagen, denken und tun. Das ist nämlich ihre Sache.
Haben Sie den Eindruck, dass sich zumindest in Österreich etwas bei der Frage nach einer gerechten Vermögensverteilung tut?
Engelhorn: Ich bin da in einer Blase in meinem Haufen. Da bin ich umgeben von Reichen, die Steuern großartig finden und diese gerne für ihr Vermögen zahlen würden. Es geht aber nicht um Einzelpersonen. Man muss sich die Strukturen anschauen, die Dynamik, wie Verteilung und wie Erbschaften funktionieren. Diese Strukturen sind undemokratisch, die Herrschaft per Geburtsrecht erinnert an den Feudalismus. Deshalb spricht man ja auch vom Geldadel.
Widerlich ist es, dass man auf diejenigen, die nichts haben, draufhaut und die sich dafür auch noch schämen sollen
Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat vorgerechnet, dass die fünf reichsten Menschen der Welt ihr Vermögen seit dem Jahr 2020 verdoppelt haben.
Engelhorn: Schlimm ist ja nicht nur, dass es Menschen mit einem solch unfassbar hohen Vermögen gibt. Widerlich ist es, dass man auf diejenigen, die nichts haben, draufhaut und die sich dafür auch noch schämen sollen. Dass dieses Verteilungssystem so nicht funktioniert, liegt zwar auf der Hand. Aber es ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis von politischen Entscheidungen. Wenn Sie sich mal das Parlament in Österreich anschauen, da gibt es so gut wie keinen Abgeordneten, der aus der Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse kommt.
In Deutschland ist das auch nicht viel anders.
Engelhorn: Diese Politiker haben keinen Bezug mehr zur normalen Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger. Wenn dann CDU-Chef Friedrich Merz als Einkommensmillionär meint, er gehöre zur oberen Mittelschicht, dann ist das bezeichnend für den Politikbetrieb. Die Lebensrealität der Menschen findet überhaupt keinen Einzug in das wichtigste politische Organ, nämlich das Parlament. Deshalb schlägt sie sich auch nicht in der Gesetzgebung nieder.
Wie in Deutschland, wo Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang offensichtlich noch nie etwas vom Problem Altersarmut gehört hat. Sie meinte auf die Frage, wie hoch die Durchschnittsrente in Deutschland sei: 2000 Euro.
Engelhorn: Eben. Wenn die normalen, durchschnittlichen Menschen nicht für sich sprechen, dann spricht auch niemand sonst für sie. Die politischen Eliten kennen die normalen Leute nicht. Sie erleben nicht, was sie erleben, und können deshalb auch nicht für sie mitdenken. Aber wenn wir schon bei Daten und Fakten sind, dann wäre wichtig zu erwähnen, dass es auch zu den Vermögenden keine soliden Daten gibt. Es existieren keine detaillierten Statistiken über die Vermögen der Reichen, weil sie ja nicht besteuert werden.
Das reichste Prozent verursacht so viele Treibhausgase wie zwei Drittel der Weltbevölkerung.
Engelhorn: Es sind zumindest 17 Prozent der weltweiten Emissionen,die das reichste Prozent verantwortet. Und vor diesem Hintergrund ist interessant, dass die Reichen über ihre Stiftungen und Spenden nur zwei Prozent zur Bekämpfung der Klimakrise ausgeben. Da ist es auch kein Wunder, dass in der Dokumentation „Das Milliardenspiel“ ein Milliardär auf die Frage eines Journalisten, warum er mit dem Privatjet unterwegs sei, meinte: Soll ich zu Fuß gehen? Auch wenn sie ihr Image mit noch so viel PR versuchen aufzupolieren, zeigt das, dass den Reichen das Weltklima offensichtlich egal ist. Die Reichen checken gar nicht, dass sie unsere Zukunft auf dem Gewissen haben, und denken nur an ihr Vermögen, das sie gierig zusammenhalten, mit dem Argument, dass es ihren Kindern besser gehen soll. Dass es allen anderen Kindern aber schlechter geht, wenn sie so weiter machen, wollen sie nicht einsehen.
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