Interview

Mannheimer Millionen-Erbin Marlene Engelhorn: „Wer erbt, hat nichts dafür gemacht“

Marlene Engelhorn will sich vom Großteil ihres Vermögens trennen. Sie geht dabei auch auf Distanz zu ihrer Familie - dem Mannheimer Engelhorn-Clan

Von 
Walter Serif
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Marlene Engelhorn beim Besuch im März in Mannheim. Sie stellte beim Literaturfestival Lesen.Hören ihr Buch „Geld“ vor. © Thomas Tröster

Mannheim. Frau Engelhorn, Ihr Buch trägt den Titel „Geld“. Damit verstoßen Sie gegen eine ungeschriebene Regel. Über Geld spricht man nicht, man hat es halt.

Marlene Engelhorn: Diese Regel ist genauso alt wie obsolet. Je mehr wir über Geld reden, umso besser verstehen wir es und können damit auch umgehen. Davon würden alle profitieren und nicht nur jene, die viel Geld haben.

Ist dieses Tabu auch der Grund dafür, dass die Reichen in Deutschland immer reicher und die Armen immer ärmer werden?

Engelhorn: Es ist ein Grund. Man sollte jedenfalls nicht unterschätzen, dass sich Macht stark aus der Intransparenz speist. Wenn man nicht offenlegt, welche Mechanismen einer bestimmten Machtstruktur zugrunde liegen, ist es sehr schwierig, das System zu verändern. Deshalb ist es wahnsinnig wichtig, dass wir über Vermögen sprechen.

Wer sind die denn – die Vermögenden in Deutschland?

Engelhorn: Gute Frage. Es gibt ja nicht einmal eine verlässliche Datenlage. Wir wissen dagegen fast alles über Armut und Einkommen. Das liegt natürlich vor allem daran, dass die Vermögensteuer gegenwärtig in Deutschland ausgesetzt ist. Der Witz ist sogar, dass wir selbst bei einer Vermögensteuer von null Prozent eine stabile Datenlage hätten. Dann wüssten wir auch, wem eigentlich Deutschland gehört. Diese Transparenz brauchen wir, um die Macht zu Fall zu bringen, die illegitim bei überreichen Menschen liegt. In einer Demokratie ist das nicht gerechtfertigt.

Marlene Engelhorn


  • Die deutsch-österreichische Aktivistin Marlene Engelhorn wurde 1992 in Wien geboren. Sie ist Mitgründerin der Initiative Taxmenow (Besteuert mich), die ursprünglich ein Zusammenschluss von Vermögenden war. Sitz ist Berlin. Engelhorn ist dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. 2022 hat sie ein Buch („Geld“) veröffentlicht.
  • Marlene Engelhorn ist die Enkelin der 2022 verstorbenen Traudl Engelhorn-Vechiatto. Deren Mann Peter Engelhorn war ein Urenkel des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn. Peter Engelhorn war Mitgesellschafter von Boehringer Mannheim (heute Roche).
  • Das Unternehmen wurde 1997 an den Pharmakonzern Hoffmann-La Roche verkauft. Engelhorn-Vechiatto soll einen Milliardenbetrag bekommen haben. was

Woran machen Sie denn den „Überreichtum“ fest? An der Zahl der Milliardäre?

Engelhorn: Nein, ich bin keine Statistikerin. Ich benutze den Begriff „Überreichtum“ des Ökonomen Martin Schürz. Demnach kippt ab einem gewissen Moment Wohlstand in Überreichtum, wenn er zur privaten und politischen Macht in einer Größenordnung wird, die die öffentlichen Interessen aushebeln kann. Das ist in einer Demokratie wahnsinnig gefährlich.

Wenn zum Beispiel ein Unternehmen mit Abwanderung droht.

Engelhorn: Ja, wenn das Unternehmen ernsthafte Drohmittel in der Hand hat, mit der es eine gesamte Gesellschaft in die Knie zwingen und seinen Willen aufdrücken kann. Am Ende steht ja nicht der Name des Unternehmens, sondern es sind die Eigentümerinnen und Eigentümer. Die Macht haben immer die Menschen. Dabei haben wir die Machtfrage in der Demokratie doch beantwortet: nämlich eine Stimme pro Nase und nicht eine Stimme pro Euro. In unserer Demokratie wird alles über Finanzen geregelt. Wir brauchen deshalb eine Verteilungstransparenz. Die Steuerpolitik ist eine unsexy Sache, sie ist aber das demokratische Mittel, mit dem wir die Umverteilung organisieren können.

Sie haben kritisiert, dass es keine genaue Datenlage bei Vermögen gibt. Dies ist auch bei Erbschaften der Fall.

Engelhorn: Das ist in der Tat ein Riesenthema. Wer erbt, hat ja nichts dafür gemacht, außer, dass er in eine reiche Familie hineingeboren wurde. Und diese Arbeit hat ja die Mutter vollbracht, die die Kinder auf die Welt bringt. Seriöse Quellen beziffern die Erbschaften in Deutschland auf 400 Milliarden Euro pro Jahr. Davon landen acht Milliarden Euro beim Fiskus, das ist eine effektive Besteuerung von zwei Prozent. Die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer sind so absurd und skurril …

… wer 300 Wohnungen erbt, zahlt keine Erbschaftsteuer …

Engelhorn: . . . ja, und wer drei Wohnungen erbt, bezahlt die volle Erbschaftsteuer. Oder nehmen Sie das Betriebsvermögen. Wenn Sie das in eine Stiftung anlegen, können Sie Bedürftigkeit anmelden. Denn eine Stiftung ist automatisch bedürftig, und dann bekommen Sie einen Steuererlass. Diese Ausnahmen kosten den deutschen Staat nicht nur fünf Milliarden Euro im Jahr, sondern sind auch verfassungswidrig. Die Bundesregierung muss das endlich abstellen, denn sie verstößt permanent gegen den Gleichheitsgrundsatz. Ich sehe nicht ein, warum eine Familie, in der irgendwer im 19. Jahrhundert irgendetwas gegründet hat, besser gestellt werden soll als alle anderen.

Sie selber sind ja jetzt auch reich geworden, weil Ihre Großmutter – mein Beileid! – gestorben ist. Ich will nicht pietätlos sein, aber Sie haben immer gesagt, Sie würden 90 bis 95 Prozent Ihres Millionen-Erbes verschenken. Von was für einem Betrag reden wir denn da?

Engelhorn: Verschenken? Ich würde unbedingt den Begriff „Rückverteilung“ bemühen. Der ist zwar etwas sperrig, impliziert aber, dass es anerkannt wird, dass dieses Geld nicht aus dem Nichts kommt, sondern aus einer Gesellschaft und aus der Arbeit ganz vieler, die bei der Verteilung des Vermögens strukturell nicht beachtet wurden.

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Und Ihr Erbe?

Engelhorn: Ich habe keinen Masterplan, nur, weil meine Großmutter gestorben ist. Da wird jetzt kein Schalter umgelegt. Ich bin da nach wie vor im Austausch. Sie haben mich um die konkreten Angaben zu meinem Erbe gebeten. Sobald ich aber über meine Summen spreche, spreche ich auch über die meiner Familie. Diese hat sich aber nicht dafür ausgesprochen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich muss respektieren, dass ich die Vermögenswerte anderer nicht offenlegen darf. Außerdem ist die Erbschaft noch gar nicht angekommen. Das heißt, ich kann Ihnen da keine befriedigende Antwort geben. Aber ich finde es gut, dass Sie diese Frage stellen, denn es ist wichtig, dass reiche Menschen angeben sollen, über welche Summen sie verfügen und was sie damit vorhaben.

Sie sind Mitgründerin der Initiative Taxmenow, die fordert, dass der Staat ihre Mitglieder höher besteuern soll. Wie zufrieden sind Sie mit dem Echo in der Öffentlichkeit?

Engelhorn: Ich bin sehr zufrieden. Es gibt uns ja noch nicht einmal zwei Jahre. Wir hoffen, dass die nächste Bundesregierung 2025 sich um das Thema Steuergerechtigkeit bemüht. Die jetzige traut sich ja nicht, diese heiße Kartoffel anzupacken. Aber da muss ich natürlich auch vor der eigenen Tür kehren. In Österreich schauen wir fast schon mit glänzenden Augen nach Deutschland. Wir haben weder eine Vermögen- noch eine Erbschaftsteuer.

In Deutschland haben wir – Sie müssen jetzt nicht über Ihre Familie reden – auch honorige Spender wie den SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp, die doch auch die Gesellschaft beglücken.

Engelhorn: Wir können auch ruhig über meine Familie reden. Nehmen wir zum Beispiel Curt Engelhorn. Der Cousin meines Großvaters und Hauptanteilseigner von Boehringer Mannheim hat in seinem Leben rund 50 Millionen Euro gespendet. Er hat aber am Verkauf der Firma knapp zehn Milliarden Euro verdient. Den Deal hat er 1997 unversteuert …

… krasserweise völlig legal …

Engelhorn: … über die Cayman Islands abgewickelt. Der Anteil seiner Spende an dieser Summe beträgt gerade mal 0,5 Prozent. 0,5 Prozent! Hätte er den Verkauf aber versteuern müssen, wären viel höhere Summen in den Haushalt geflossen. Und dann hätte der Staat anders als bei Curt Engelhorns Spende selbst entscheiden können, wofür er das Steuergeld verwendet.

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Steuern kommt ja von steuern.

Engelhorn: Eben. Das Haushaltsrecht liegt beim Parlament. Und dort gibt es eine Rechenschaftspflicht, die ein Curt Engelhorn nicht hat. Und auch eine Marlene Engelhorn nicht. Und das ist so wichtig. Wir sind demokratisch organisiert und wir hängen uns trotzdem ans Gängelband der Überreichen, in der Hoffnung, dass sie es bitte so spenden, dass es für uns gut ist.

Das bezweifeln Sie?

Engelhorn: Natürlich: Nur zwei Prozent des Spendenaufkommens gehen in die Bekämpfung der Klimakrise. Von wegen, dass die Reichen auch etwas Gutes tun. Das von Ihnen genannte Stiftungswesen zementiert die Machtverhältnisse. Es schwächt unsere öffentliche Infrastruktur. Und ihr Zustand ist der Maßstab der Zeit dafür, ob eine Gesellschaft wohlhabend ist oder nicht. Wenn die Infrastruktur ärmlich ist, weil der Haushalt kaputtgespart wird, dann läuft die Entwicklung in die falsche Richtung. Das hat dann nichts mit einem schlanken Staat zu tun, wenn der ausgemergelt aus der Hose fällt.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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