Ehrenamt

Wie Unternehmer am Landgericht Mannheim wertvolle Perspektiven in Gerichtsverfahren einbringen

Ehrenamtliche Handelsrichter am Landgericht Mannheim helfen mit ihrer kaufmännischen Expertise, Streitereien aus der Welt zu schaffen. Zwei Unternehmer aus der Region erzählen von ihren Erfahrungen und den Herausforderungen

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Auch Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, erhält Unterstützung von Ehrenamtlichen. © istock, Hima, Abt

Schöffen und Schöffinnen mit nicht-juristischen Berufen, die gleichwohl in Strafprozessen über Mord und Totschlag oder Betrug und Erpressung mitentscheiden, dürften allseits bekannt sein. Aber ehrenamtliche Handelsrichter? Von ihnen hört man eher selten. Gleichwohl sind sie an Landgerichten nicht wegzudenken, wenn es um Streitigkeiten geht, deren Lösung neben rechtlichem Wissen auch kaufmännischer Kompetenz bedarf. Solch ein Ehrenamt haben Steffen Philipp von HIMA in Brühl und Matthias Abt (kl. Bild unten) von der gleichnamigen Mediengruppe in Weinheim übernommen - sie sind geschäftsführende Gesellschafter traditionsreicher Familienunternehmen.

Wie die Industrie- und Handelskammer (IHK) Handelsrichter auswählt

Es obliegt generell Industrie- und Handelskammern, geeignete Handelsrichter auszuwählen. Als die IHK Rhein-Neckar bei Steffen Philipp anfragte, ob dieser sich vorstellen könnte, bei solch einem Ehrenamt seine Erfahrung einzubringen, „da war ich erst einmal überrascht“, blickt der Unternehmer im Gespräch zurück. Erstaunt erkundigte sich das IHK-Präsidiumsmitglied, ob es als Nicht-Jurist überhaupt die Voraussetzungen für solch eine Aufgabe erfülle. Aber dann erfuhr der Betriebswirtschaftler, dass es darum gehe, wirtschaftsbezogene Streitigkeiten aus unterschiedlichen Blickwinkeln auszuleuchten.

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Ein sachkundiger Fachrichter soll nämlich berufsspezifische Kompetenz einbringen - weshalb vor allem Unternehmer, selbstständige Kaufleute, Leiter von Firmen, aber auch Angestellte mit Prokura und eigenem Verantwortungsbereich für das Ehrenamt benannt werden. Meist wählen die Industrie- und Handelskammern Männer und Frauen aus, die sich bereits wirtschaftspolitisch engagieren.

Entsprechend solchen Kriterien präsentiert sich der Werdegang von Steffen Philipp als geradezu ideal: Der inzwischen 64-Jährige leitet seit 1999 in vierter Generation die HIMA Paul Hildebrandt GmbH als global aufgestelltes Unternehmen für sicherheitsgerichtete Automation - inzwischen vertreten an weltweit 50 Standorten. „Natürlich muss ein Berufsweg tadellos verlaufen sein“, ergänzt Philipp. Von dem Ehrenamt ausgeschlossen sind nämlich Geschäftsleute, die selbst vor Gericht standen und verurteilt wurden oder in „Vermögensverfall geraten sind“, was im Volksmund eher als Pleite bezeichnet wird.

Der Unternehmer aus dem badischen Brühl nahe der Quadratestadt ist vor vier Jahren am Mannheimer Landgericht der von Torsten Hennig als hauptamtlichem Berufsrichter geleiteten Wirtschaftszivilkammer für Handelssachen zugeordnet worden. Inzwischen hat er vier Prozesse erlebt. Eigentlich seien 16 weitere Verfahren angekündigt gewesen - „aber die fanden gar nicht statt“ , erzählt er. Weil sich beispielsweise die Parteien vorab außergerichtlich einigten oder Klagen zurückgezogen wurden. „Dies war für mich eine sehr überraschende Erfahrung.“

Zeitaufwand für ehrenamtliche Richter ist enorm

Um was ging es bei den vier tatsächlich verhandelten Konflikten? Steffen Philipp erklärt, dass es beispielsweise zu klären galt, ob Aktionäre dem Unternehmensvorstand regelmäßig einen riesigen Fragenkatalog vorlegen dürfen. In einem anderen Fall hatte das Anbringen eines (Marken-)Labels bei Handelsware für Zoff gesorgt.

Gefragt nach dem Arbeitsaufwand zur Vorbereitung von gerichtlich ausgetragenen Handelsstreitigkeiten, erklärt der ehrenamtliche Richter: „Da muss man schon ziemlich Zeit investieren.“ Insbesondere, weil es gelte, sich in spezielle Themen einzuarbeiten, die im eigenen beruflichen Umfeld manchmal gar keine oder eher eine untergeordnete Rolle spielen. „Aber genau das finde ich spannend - ich habe schon viel gelernt.“

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Anders als Steffen Philipp wusste Matthias Abt ziemlich genau, was es mit dem Ehrenamt auf sich hat, als die IHK Rhein-Neckar auf ihn zukam. „Meine Mutter war schon Handelsrichterin und hat darüber viel erzählt“, so der 44-jährige Drucker und Wirtschaftsingenieur, der in dritter Generation die in Weinheim angesiedelte ABT Mediengruppe leitet - gemeinsam mit dem Bruder. Im Februar 2022 ist er am Mannheimer Landgericht für die Kammer mit der Vorsitzenden Richterin Gredner-Steigleider vereidigt worden. Bislang hat Matthias Abt bei vier Verfahren als einer von zwei Ehrenamtlichen auf der Richterbank gegessen.

Die dabei verhandelten Streitigkeiten bezeichnet er als „querbeet“. So sei es um das Abrechnen von Provisionen für Handelsvertreter gegangen. Dass man für dieses besondere Ehrenamt reichlich Zeit aufwenden muss, hat er rasch gemerkt. „Die Vorbereitung ist schon herausfordernd.“ Der Ehrenamtliche berichtet, dass Prozessakten oft Hunderte, manche gar mehr als tausend Seiten umfassen: „Klar, man braucht nicht jedes Protokoll zu lesen - aber man muss sich einen Gesamtüberblick verschaffen.“

Im nahen Vorfeld des Prozessauftakts werden ehrenamtliche Handelsrichter mit den Unterlagen und Schriftsätzen versorgt. Sich in Themen und Fragestellungen zu vertiefen, die nicht unbedingt Teil des eigenen Berufsalltags sind, sieht Abt als Erweiterung des Horizonts. Bei einem Gerichtsverfahren einen Konflikt aus verschiedenen Warten zu analysieren, empfindet er als „tolle Erfahrung“. Abt hat aber auch „befremdliche Situationen“ erlebt - als beispielsweise ein Anwalt zum Verhandeln einer zweiten Klage eines gleichen Sachkomplexes nach der Mittagspause einfach nicht mehr aufgetaucht ist, vermutlich aus strategischen Gründen. „Das fand ich ziemlich respektlos.“

Mehr als 30 Ehrenamtliche helfen bei Urteilsfindung im Handel

Bei den insgesamt fünf Zivilkammern für Handelssachen am Mannheimer Landgericht, denen mehr als 30 Ehrenamtliche zugeordnet sind, bilden ein hauptamtlicher Richter oder eine Richterin mit jeweils juristischer Ausbildung sowie zwei Fachrichter mit wirtschaftlich-kaufmännischer Berufsbiografie den Spruchkörper. Weil alle Drei über eine (gleichwertige) Stimme verfügen, könnte der oder die hauptamtliche Kammervorsitzende bei der Urteilsfindung von den beiden Ehrenamtlichen überstimmt werden. Eine solche Situation ist bei jenen Prozessen, die Steffen Philipp und Matthias Abt erlebt haben, freilich nicht eingetreten. Beide betonen, dass bei ihren Kammerberatungen stets auf Augenhöhe argumentiert und diskutiert worden ist, um eine von allen getragene Entscheidung herbeizuführen.

„Ich bin ein großer Freund von Vergleichen, bei denen es weder Sieger noch Verlierer gibt“, erklärt Steffen Philipp. Schließlich seien solcherart Kompromisse, die ohne Gesichtsverlust von Beteiligten auskommen, auch im Berufsleben erstrebenswert.

Freie Autorin

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