Mannheim. Besonders das zu Ende gehende Jahr 2024 hat den rund 90 Mitarbeitern auf das Gemüt geschlagen und war nichts für schwache Nerven. Rückblende: Das Jahr hat kaum begonnen, da meldet der angeschlagene Warenhauskonzern am 9. Januar Insolvenz an - zum dritten Mal in vier Jahren. Dieses Mal ist die Schieflage des Eigentümers Signa der Auslöser. Schnell steht fest, dass wieder Kaufhäuser geschlossen werden. Bald kommen Gerüchte auf, dass es nun auch das Mannheimer Haus in P 1 treffen könnte. Am 27. April wird daraus Gewissheit: Das Haus soll dichtmachen. Es folgen Wochen des Bangens, bis am 7. Juni in letzter Minute doch die Rettung gelingt.
Seit feststeht, dass es am Paradeplatz weitergeht, herrscht im Kaufhaus eine gelöste Atmosphäre. „Wir gehen viel entspannter auf Weihnachten zu“, sagen Patricia Breitling und Sabine Scherdel. „Der Zusammenhalt war immer gut, aber in der schweren Zeit ist er noch besser geworden.“ Das Wechselbad zwischen Hoffen und Bangen haben sie nun schon zum dritten Mal erlebt. Beide sind langjährige Mitarbeiterinnen im Unternehmen, Breitling seit bald 38 Jahren, Scherdel seit 45 Jahren.
Wenn Patricia Breitling von der erlösenden Nachricht von Anfang Juni erzählt, bekommt sie heute noch Gänsehaut. „Unser Chef (Filialgeschäftsführer Niko Rauch) und der Betriebsrat sind mit einem ,Sekt-Taxi‘ durchs Haus gelaufen und haben mit jedem Mitarbeiter angestoßen. Wir lagen uns in den Armen und haben geweint vor Freude.“ Über die Lautsprecher schallt „Ein Hoch auf uns“ durchs Haus. Viele anwesende Kunden freuen sich an diesem Tag mit.
Nach dem Schockmoment spendet das Team in Mannheim sich gegenseitig Trost
Davor liegen sechs Wochen des Bangens. Es ist ein Schockmoment am 27. April, einem Samstag. Geschäftsleitung und Betriebsrat informieren die Belegschaft darüber, dass Ende August Schluss ist. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, es fließen viele Tränen, berichten die beiden Angestellten. „Der Chef sagte, wir bleiben jetzt zusammen und nehmen uns Zeit.“ Das Kaufhaus bleibt ganztätig geschlossen. Sie reden miteinander, um den Schock zu verarbeiten. „Man hat weniger an sich gedacht und sich mehr Gedanken über die Kollegen gemacht, die alleinerziehenden Mütter oder Familienväter, wie es für sie jetzt weitergeht“, schildert Breitling die bedrückende Situation. „Wir haben uns gegenseitig aufgerappelt und gesagt: Wir kämpfen, wir lassen uns nicht unterkriegen“, so Scherdel.
Zu diesem Zeitpunkt existieren viele Warenhäuser nach zwei Insolvenzen längst nicht mehr. Aber Mannheim? Am Paradeplatz? In dieser Lage? An die Standortvorteile haben sie sich lange geklammert. „Wir haben immer Glück gehabt“, sagt Scherdel. „Wir haben immer gedacht, der Paradeplatz ist die beste Adresse in Mannheim, die werden das Haus doch nicht zumachen.“
Doch die Miete ist erdrückend, die Immobilie sanierungsbedürftig, der Eigentümer - ebenfalls Signa - insolvent. Es sind keine guten Voraussetzungen. Trotzdem kämpfen sie für ihr Kaufhaus. Die Unterstützung in der Stadt ist enorm. Die Gewerkschafts-Kundgebung zum 1. Mai führt auch bei Galeria in P 1 vorbei. Unterschriften für den Erhalt werden gesammelt, rund 20 000 Menschen setzen ihren Namen auf die Listen.
Im Hintergrund wird hart verhandelt. Der neue Galeria-Miteigentümer Bernd Beetz - so hofft man - dürfte aufgrund seiner Verbundenheit zu Mannheim und als Präsident des SV Waldhof ein Interesse am Weiterbestehen haben. Auch Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) führt viele Gespräche. Doch das Schicksal liegt in der Entscheidung des Insolvenzverwalters. Während den rund 90 Angestellten nur das Hoffen bleibt, gelingt es schließlich doch noch, Investoren für das Warenhaus zu finden. Es ist die „Mannheim P1 GmbH & Co. KG“. Den größten Anteil daran, 50 Prozent, hält der Mannheimer Projektentwickler Egon Scheuermann.
Galeria-Angestellte: "Online-Handel hat viel zerstört"
Nach der Nachricht über die Rettung sorgt er für einen zweiten emotionalen Moment bei Patricia Breitling und dem gesamten Team. Anfang Juli, als das Unternehmen die „Waldhof-Welt“ in der Sportabteilung eröffnet, ist der Investor, wie auch Beetz, anwesend. Viele Angestellte bedanken sich persönlich bei Scheuermann. Breitling drückt ihn herzlich und dankt ihm: „Sie haben uns gerettet.“ Auch heute sagt sie: „Herr Scheuermann war unsere Rettung. Er wird immer einen Platz in meinem Herzen haben, ich werde ihn als Mensch nie vergessen.“
Die Verbundenheit von Patricia Breitling und Sabine Scherdel mit dem Unternehmen ist groß. Noch immer schwärmen beide von der 125-Jahr-Feier von Kaufhof 2004 im Kölner Fußballstadion mit Nena und Chris de Burgh. Das Fotobuch hat Breitling zum „MM“-Gespräch mitgebracht. „Damals gab es noch keinen Onlinehandel. Der hat viel zerstört. Und dann kam noch Corona.“
Trotz der Krisen der vergangenen Jahre kam für beide nie infrage, den Arbeitgeber zu wechseln. Breitling nennt die Gründe: „Man fängt wieder neu an, bekommt vielleicht nur einen Zeitvertrag, dazu die Probezeit, und man weiß nicht, ob es einem gefällt.“ Deshalb habe man lieber abgewartet, so Scherdel.
Was sich die Mitarbeiterinnen für das nächste Jahr wünschen
Begonnen haben beide in Ludwigshafen: Scherdel startet 1979 im Horten ihre Ausbildung, Breitling 1987 bei Kaufhof im Rathaus-Center. 2000 kommt der erste Rückschlag: Die Filiale wird geschlossen. Doch für Breitling geht es nahtlos weiter, sie wechselt zu Horten, aus dem nach der Fusion bald ein Kaufhof wird. Mitte 2010 gehen auch dort die Lichter aus. Weil sie inzwischen in die Verwaltung gewechselt ist, arbeitet sie an der Abwicklung der Filiale mit. „Büromöbel, Kassen, Einrichtung - jede Schere und Büroklammer musste an andere Filialen verteilt werden.“ Übrig bleibt ein leeres Warenhaus. „Dieses Gefühl, als Letzte durch ein leeres Kaufhaus zu gehen, das war sehr schlimm.“
Scherdel ist zu diesem Zeitpunkt schon in die Filiale Bismarckplatz in Heidelberg gewechselt, Breitling fängt am Paradeplatz neu an. 2023 holt Scherdel die Vergangenheit erneut ein. „Was soll ich machen?“, fragt sie sich. „Ich bin kein Büromensch. Ich will im Verkauf bleiben, das ist meine Leidenschaft.“ Noch bevor das Haus im Januar 2024 geschlossen wird, wechselt auch sie nach Mannheim - und muss dort im Frühjahr erneut um ihren Job kämpfen.
Jetzt blicken die Mitarbeiterinnen positiv in die Zukunft. „Wir hoffen, dass das Kaufhaus umgebaut wird, das ist unser größter Wunsch für 2025.“ Und auch an die Konsumenten richten sie einen Appell: „Wir hoffen, dass die Kunden vom Onlinehandel wegkommen, wieder mehr in die Stadt gehen und die Stadt beleben.“ Eine Maschine könne ein Lächeln nicht ersetzen. „Das Letzte, was ein Kunde mitnimmt, ist die Freundlichkeit und das Lächeln an der Kasse“, wirbt Patricia Breitling für den Einkauf vor Ort. Beide möchten, dass auch die Auszubildenden von heute noch eine lange Zukunft im Unternehmen haben. „Damit sie, wie hoffentlich auch wir, bei Kaufhof in Rente gehen können.“
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