Ludwigshafen. Herr Horvat, Vorstandsvorsitzender Markus Kamieth hat das Ludwigshafener Stammwerk mit einem Baum verglichen: Der Stamm sei gesund, nur bei den Ästen gebe es einige Problemfälle. Aus Ihrer Sicht eine passende Beschreibung?
Sinischa Horvat: Im Grundsatz kenne ich die Verästelungen nicht, die Markus Kamieth damit meint. Das sind einzelne Punkte, die mit dem Betriebsrat besprochen werden müssen. Was für mich viel, viel wichtiger ist: Wir fordern seit Jahren, dass ein Zielbild für Ludwigshafen aufgesetzt wird - und genau das ist jetzt passiert. Der Standort soll fit für die Zukunft gemacht werden. Das ist schon mal eine gute Botschaft. Die nächste gute Botschaft ist, dass der Standort im Kern gut aufgestellt und wettbewerbsfähig ist.
Trotzdem haben Sie gemeinsam mit der Chemiegewerkschaft IGBCE bereits heftige Kritik an der neuen Strategie geübt.
Horvat: Genau. Die BASF hat ein riesiges Sparprogramm aufgesetzt. Aus meiner Sicht ist das eine zu defensiver Vorgehensweise - vor allem mit Blick auf die grüne Transformation, also die Abkehr von fossilen Energien. Wir müssen Alleinstellungsmerkmale für unsere Produkte generieren. Über Innovation, über Künstliche Intelligenz, über was auch immer. Aber wir müssen das schaffen. Schließlich wird der Markt von Produkten aus China und den USA geflutet. Was haben wir dem entgegenzusetzen? Das Ziel, immer günstiger zu sein als die Konkurrenz, wird am Ende nicht reichen.
Halten Sie es denn grundsätzlich für richtig, dass sich die BASF bei all den Problemen schlanker aufstellen will?
Horvat: Dort, wo die BASF wirklich kompliziert ist und wo sie wirklich besser werden kann, bin ich sofort dabei. Aber wenn es nur darum geht, sich zu entledigen und sich per Definition schlanker zu machen, ist das zu einfach. Der Blick muss immer nach vorne gerichtet sein. Das Management hat verlautet, dass rund 20 Prozent der Anlagen in Ludwigshafen nicht mehr wettbewerbsfähig und daher gefährdet sind. Diese Aussage nehme ich so nicht an.
Weshalb?
Horvat: Es muss klar definiert werden, wie diese Anlagen in die Lage versetzt werden können, genauso wettbewerbsfähig zu sein wie die anderen 80 Prozent. Die erste Option darf nicht sofort die Schließung sein. Das ist für mich die absolute Forderung. Denn wenn die BASF Anlagen dichtmacht, wird dadurch ja auch kein Wachstum generiert. Das kann nicht die Strategie sein.
Wie ist die Stimmung in der Belegschaft?
Horvat: Tatsächlich ist seit Wochen und Monaten eine gewisse Ohnmacht bei den Kolleginnen und Kollegen zu spüren. Jedes Mal, wenn eine Anlage geschlossen wird oder es zu Auslastungsschwierigkeiten kommt, verunsichert das aufs Neue. Das bekommen natürlich nicht nur die Beschäftigten in den Anlagen mit, sondern auch die Menschen drumherum. Sie fragen sich: Hat es Folgen für mich? Wie geht es weiter? Nächste Woche findet eine große Informationsveranstaltung für die Belegschaft in Ludwigshafen statt. Es wird sicher viele Wortmeldungen geben.
Sinischa Horva - Der Köln-Fan
- Sinischa Horvat (geb. 1976) ist seit 2016 Vorsitzender des Betriebsrats des Werks Ludwigshafen der BASF SE, des BASF Europa Betriebsrats sowie des Konzernbetriebsrats.
- Im BASF-Betriebsrat engagiert er sich seit 2002.
- Er ist stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der BASF SE.
- Horvat begann dort 1993 als Auszubildender für Prozessleitelektronik. Zudem studierte er Betriebswirtschaft.
- Er ist verheiratet, hat zwei Kinder.
- Obwohl in der Südwestpfalz aufgewachsen, ist Horvat kein Fan des 1. FC Kaiserslautern, sondern des 1. FC Köln.
Der Vorstand ist recht zugeknöpft bei der Frage, ob es einen weiteren Stellenabbau geben wird.
Horvat: Ich warne davor, mit irgendwelchen Zahlen zu hantieren. Die Beweise, dass durch eine schlankere Organisation oder durch mehr Künstliche Intelligenz weniger Arbeitskräfte gebraucht werden, müssen erst einmal erbracht werden. Und wie gesagt: Die BASF braucht Alleinstellungsmerkmale. Allein darum sollte es jetzt gehen. In seiner langen Geschichte hat das Unternehmen immer wieder Anlagen geschlossen - aber auch immer wieder angeschaltet. Das gehört zur Pionierrolle der BASF: Sich neu zu erfinden und etwas anderes auf den Weg zu bringen.
Ein wichtiger Punkt ist die neue Standortvereinbarung für Ludwigshafen. Wann starten die Verhandlungen?
Horvat: Voraussichtlich Anfang November.
Welche Punkte sind am wichtigsten für Sie?
Horvat: Auf alle Fälle der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. Getragen und umrahmt wird dies durch Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sowie den Erhalt, die Modernisierung und den Neubau von Anlagen.
Kann eine neue Vereinbarung denn so „komfortabel“ sein wie zu früheren Zeiten?
Horvat: Jede Vereinbarung hat einen anderen Geist gehabt. Heute ist es zentral, die grüne Transformation zu beschreiben. Wie soll der Standort in fünf Jahren aussehen? Diesen Punkt hat auch Kamieth in die Diskussion eingebracht. Nur bin ich wie gesagt der Ansicht: Das muss offensiver passieren. Heute werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Die Investitionen und der Wissensverbund, den wir heute haben, müssen genutzt werden, um die Zukunft zu sichern.
Für Kamieth ist die Bedingung, dass die Standortvereinbarung mit dem Zielbild zusammenpasst.
Horvat: Absolut, das wird die große Aufgabe bei den Verhandlungen sein. Da werden mit Sicherheit auch unterschiedliche Meinungen und Ideen aufeinandertreffen.
Kamieth ist seit Ende April im Amt. Wie beurteilen Sie seine ersten Monate an der Spitze des Vorstands der BASF?
Horvat: Ich arbeite gerne mit ihm zusammen. Er ist sehr analytisch und ein guter Zuhörer. Man merkt zudem: Der komplette Vorstand wird miteinbezogen - bei Bekanntmachungen oder bei Veranstaltungen. Das nehmen auch die Kolleginnen und Kollegen wahr. Ohnehin hat das Thema Unternehmenskultur einen hohen Anteil in der Strategie. Das ist wichtig. Denn der Schlüssel zum Erfolg einer Strategie sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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Wagen wir noch einen Blick auf das große Ganze: Die Wirtschaft steckt in einer Wachstumskrise fest. Es gibt viele strukturelle Probleme. Was würde aus Ihrer Sicht helfen?
Horvat: Erstens: Die Energiepreise sind zu hoch, sie müssen dringend sinken. Zweitens: Mit dem Green Deal haben sich die EU-Mitgliedsstaaten das Ziel gesetzt, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Wer denkt, dass Importe aus Amerika oder Asien in absehbarer Zeit „grün“ befleckt sind, ist naiv. Klimaziele anderer Länder liegen, wenn sie überhaupt festgeschrieben sind, viel weiter in der Zukunft. Die grüne Transformation ist eine große Chance, Alleinstellungsmerkmale zu generieren. Diese müssen aber trotzdem konkurrenzfähig sein. Wertschöpfungsketten müssen in Europa gehalten werden. Wenn sie einmal weg sind, sind sie weg, die kommen nicht wieder. Kurzum: Die sozial-ökologische Transformation steht gerade auf dem Spiel.
Sie sind seit Monaten im Krisenmodus. Woraus schöpfen Sie Ihre Kraft für die täglichen Auseinandersetzungen?
Horvat: Die Kraft schöpfe ich aus meiner Familie. Ich treibe gerne Sport, ich fahre Fahrrad. Und natürlich habe ich Spaß am Gestalten. Klar, es frustriert auch oftmals, aber am Ende des Tages hat man immer wieder die Möglichkeit mitzumachen. Dazu fordere ich auch jeden auf. Unzufrieden zu sein und sich zu beschweren, ist ein Stück weit legitim. Aber es kommt darauf an, anzupacken und mitzugestalten.
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