Mannheim. Von einem „Meilenstein“ und „Leuchtturm“ ist die Rede, als am 1. Juni 2023 das Einheitliche Patentgericht für Europa eingeführt wird. In Mannheim, wo neben Düsseldorf, München und Hamburg eine der vier erstinstanzlichen Lokalkammern mit deutschem Standort ihren Sitz hat, läuft gerade das erste Verfahren. Gestritten wird um Lizenzgebühren für Patente, die in der Mobilfunkkommunikation als Standard gelten. Der japanische Elektronikkonzern Panasonic hat die chinesischen Smartphone-Hersteller Xiaomi und Oppo verklagt. Es geht um Geld, um viel Geld.
Anhörungen in großen Saal im Schloss verlegt
Dass unter einem Kronleuchter verhandelt wird, kommt nicht alle Tage vor. Hintergrund: Angesichts von mehr als 30 aus spezialisierten Anwaltskanzleien angereisten Prozessbeteiligten hat Peter Tochtermann als „Presiding Judge“ (Vorsitzender Richter) die Anhörungen in einen großen Saal im Mannheimer Schloss verlegt. Für die multinational besetzte Richterbank besteht die Herausforderung darin, komplexe Konflikte mit juristischer Kompetenz und technischem Fachwissen auszuleuchten. Deshalb wird jedem Spruchkörper ein Mann oder eine Frau mit Expertise in der Branche des jeweiligen Streitfalles zugeordnet. Dies trifft auf Klaus Loibner zu, der beim Österreichischen Patentamt seit mehr als zwei Jahrzehnten im Bereich Elektrotechnik und Informatik tätig ist. Der Diplom-Ingenieur ergänzt die Richterbank, auf der als weiterer nicht-deutscher Richter ein in Patentangelegenheiten erfahrener Jurist aus den Niederlanden sitzt.
Spezialisten mit exzellentem Ruf in Europa
- Das europäische Übereinkommen für das Einheitspatent und das damit verwobene Einheitliche Patentgericht (EPG) haben bislang 18 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert. Patentschutz soll flächendeckend, kostengünstig und effizient geregelt werden.
- Dass Mannheim als ein Standort ausgewählt wurde, hat mit dem exzellenten Ruf zu tun, den sich das Landgericht bei Patentstreitigkeiten auch international erworben hat. Seit 2005 gibt es dafür zwei Spezialkammern.
- Peter Tochtermann (Jahrgang 1975) ist nicht nur als „Presiding Judge“, Vorsitzender Richter, an die Mannheimer Lokalkammer, sondern auch in das Präsidium des neuen Gerichtes berufen worden. Der promovierte Jurist hat sich früh auf gewerblichen Rechtsschutz sowie Patent- und Kartellrecht spezialisiert.
- Außerdem gehören zur EPG-Lokalkammer (Schubertstraße 11 im VGH-Gebäude): Holger Kircher sowie Dirk Böttcher, jeweils Vorsitzende Richter am Mannheimer Landgericht für Patentsachen beziehungsweise Kartellangelegenheiten.
- Den erstinstanzlichen Spruchkörpern mit Hauptsitz in Paris ist ein in Luxemburg residierendes multinational besetztes Berufungsgericht übergeordnet.
Auch wenn es sich bei der Mannheimer Lokalkammer des Einheitlichen Patentgerichtes um den Premiere-Prozess handelt, ist der ausgetragene Konflikt keineswegs neu - geändert haben sich die Beteiligten. „Nokia gewinnt Patentklage gegen chinesischen Smartphone-Hersteller Oppo“, titelte diese Zeitung im Juni 2022. Beim hartnäckigen Kampf um Lizenzgebühren hatte der finnische Handy-Dinosaurier juristisch Oppo in die Knie gezwungen. Das damalige Verfahren rund um Technologie beim Einloggen in Mobilfunkmasten lief am Mannheimer Landgericht.
Und nun klagt der japanische Elektronikriese Panasonic vor dem neuen europäischen Spezialgericht gegen die chinesischen Smartphone-Hersteller Xiaomi und Oppo. Es geht um Patente, die für eine Technologie unverzichtbar sind und deshalb als standardessenziell bezeichnet werden. Heiß diskutiert wird die Frage, wie ein Vertrag über Lizenzgebühren aussehen könnte und sollte. Sogenannte „Frand“-Kriterien im Sinne von „fair, reasonable and non-discriminatory“ gelten zwar international als üblich - allerdings driften die Meinungen oftmals darüber auseinander, was „fair, angemessen und diskriminierungsfrei“ im konkreten Konfliktfall bedeutet. Zumal Geheimniskrämerei innerhalb der Branche Transparenz verhindert.
Dass es bei solchen Verfahren auch Nebenschauplätze gibt, davon kündet der Streit um eine Zustellungsadresse: Xiaomi vertritt vehement die Meinung, dass bei offizieller Post nach Hongkong, beispielsweise Klageschriften, „China“ an vorderer Stelle genannt werden müsse und erst dahinter (mit Komma abgetrennt) „Sonderverwaltungszone Hongkong“.
Eigentlich sind drei Verhandlungstage terminiert worden, aber einer entfällt: Das Unternehmen Xiaomi , das als weltweit drittgrößter Smartphone-Hersteller auch in einigen europäischen Ländern, darunter Deutschland, vertreten ist, möchte das Verfahren vorerst ruhen lassen, um andere Gerichtsentscheidungen abzuwarten. Wie zu hören ist, laufen ähnlich gelagerte Prozesse in Großbritannien, Italien und China.
Mannheimer Patentkammer: Sensible Daten werden ohne Öffentlichkeit diskutiert
Im Wesentlichen verfolgen Jura-Studierende der im Schloss beheimateten Universität den Prozess - geführt in Deutsch. Vor der Mannheimer Lokalkammer ist freilich auch Englisch als Verhandlungssprache möglich. Weil sensible Unternehmensdaten zur Sprache kommen, wird die Öffentlichkeit teilweise aufgefordert, den Saal zu verlassen. Und so erfolgt am zweiten Anhörungstag der Austausch von Argumenten nachmittags hinter verschlossenen Türen - was sich bis 20 Uhr hinzieht. Die Lokalkammer will in der ersten Dezemberwoche ihr Urteil verkünden. Aber nicht im Schloss, sondern in ihrem angestammten Verhandlungssaal im VGH-Gebäude.
Bleibt noch zu erwähnen, dass sich der „Presiding Judge“ Peter Tochtermann mit der Quadratestadt in besonderer Weise verbunden fühlt: Er ist nämlich Urenkel des Architekten Richard Perrey, dessen Gebäude Mannheim bis heute prägen - ob Herschelbad, Alte Feuerwache, Klinikum am Neckarufer oder die Luzenberg-Schule mit dem imposanten Turm.
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