Mannheim. Den doppelten Eintrag ins Geschichtsbuch hat Winfried Kretschmann bereits am 9. August geschafft. Seitdem ist der 77-Jährige nicht mehr nur der erste und der einzige Ministerpräsident der Grünen. Er hat auch noch den früheren CDU-Landesvater Erwin Teufel mit 5.204 Tagen im Amt überholt – und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Doch Kretschmann weiß auch, wann es Zeit für den Abschied ist. „Es ist gut, dass ich bald aufhöre“, hat er jüngst dem „Spiegel“ in einem Interview gesagt und gleich hinterhergeschickt: „Niemand ist unersetzlich. Dazu muss man nur auf den Friedhof gehen, um das zu sehen.“
Kretschmann schaut sich die Flusswärmepumpe an
Dennoch lässt ein so pflichtbewusster Politiker wie der Schwabe – er ist kein Fan der Vier-Tage-Woche – die letzten Monate seiner Amtszeit nicht einfach austrudeln. Der Blick auf das umfangreiche Programm seiner Sommertour beweist dies. Dass sich Kretschmann zum Auftakt am Donnerstag Mannheim ausgesucht hat, ist natürlich kein Zufall. In der Quadratestadt hat der Energiekonzern MVV ein ehrgeiziges Projekt gestartet. Das Unternehmen will bis 2030 den Menschen in Mannheim und Umgebung nur noch grüne Fernwärme anbieten. Gegenwärtig stammt noch die Hälfte – früher waren es 100 Prozent – aus Steinkohle. Und zwei Prozent aus Flusswärme. „Die Flusswärmepumpe ist ein Baustein, um die Fernwärme in Mannheim künftig klimaneutral zu erzeugen“, sagt MVV-Chef Gabriël Clemens.
Dieser Baustein muss aber noch größer werden, denn die erste Flusswärmepumpe kann gegenwärtig nur rund 3.500 Haushalte aus dem Rhein mit Wärme versorgen. Deshalb sollen noch zwei weitere – wesentlich größere – im GKM in Betrieb gehen, damit die MVV bis 2030 fast 30 Prozent der grünen Fernwärme aus dem Rhein gewinnen kann.
Der Ministerpräsident, der jetzt mit seinem ganzen Tross auf dem GKM-Gelände in der Maschinenhalle der ersten Flusswärmepumpe steht, gibt sich „sehr beeindruckt“ vom „Mut und der Pionierleistung“ der MVV. „Sie zeigt, welch großes Potenzial solche Anlagen bei der Dekarbonisierung von Wärmenetzen haben und setzt Maßstäbe“, sagt er. Für Kretschmann ist klar: „Großwärmepumpen sollten in Zukunft eine viel größere Rolle spielen. Denn Umweltwärme in Flüssen, Seen oder Abwasser ist praktisch an jedem Standort vorhanden.“
In Kretschmanns Lob steigt auch Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) ein, nicht ganz ohne Selbstlob, denn er ist schließlich Aufsichtsratsvorsitzender des Energiekonzerns: „Wir beweisen hier in Mannheim, dass wir mit deutscher Ingenieurskunst aus der Kohle aussteigen und die Energiewende schaffen können. Damit sichern wir unsere Arbeitsplätze in der Region.“
Auch die der GKM-Belegschaft? Kerstin Böcker, Vorständin des Grosskraftwerks, hebt hervor, wie wichtig das Steinkohlekraftwerk für die „Versorgungssicherheit in der Region“ ist. Aber sie weiß natürlich, dass das GKM nach dem Kohleausstieg umdenken muss, sonst sind in Mannheim-Neckarau die Jobs futsch. „Mit der Integration der Flusswärmepumpe auf unserem Gelände und der Nutzung unserer bestehenden Infrastruktur schaffen wir eine ideale Verbindung zwischen bewährter Technologie und innovativen Lösungen für die Energiewende“, betreibt sie Werbung in eigener Sache. Aber mit Flusswärmepumpen allein kann sich das GKM wohl nicht in die Zukunft retten. Deshalb Böckers Appell an die Eigentümer, zu denen auch die MVV gehört: Lasst und zusammen ein wasserstofffähiges Gas-und-Dampf-Kraftwerk bauen! Aber auf diesem Ohr stellen sich die Anteilseigner bisher taub.
Doch dieser in zwei Nebensätzen versteckte kleine Hilferuf geht in der gelösten Stimmung fast schon unter. Kretschmann, der sich bisher eher zurückhaltend gegeben hat, dreht jetzt langsam auf. „Das Attraktive an der Fernwärme ist doch, dass ich mich um nichts kümmern und nur die Rechnung zahlen muss“, sagt Kretschmann. Eine bessere – und dann auch noch kostenlose – Werbung kann es für die MVV ja nicht geben.
Kretschmann will jetzt aber von Specht schon wissen, ob das mit der Fernwärme eine freiwillige Angelegenheit sei. „Ja, wir haben bewusst keine Anschlusspflicht beschlossen, weil wir den Menschen nicht die Auswahl ihrer Heizung vorschreiben wollen“, sagt der Oberbürgermeister. Er macht aber auch klar, dass die Stadt diejenigen mitnehmen will, die sich zum Beispiel nicht so leicht eine Wärmepumpe anschaffen können. „Wir wollen diese Menschen nicht verlieren“, sagt er. Auch nicht – ohne die Partei beim Namen zu nennen – an die AfD. „Das sind ja alles auch Wähler.“
Flusswärmepumpe
- Der Mannheimer Energiekonzern MVV hat seine erste Flusswärmepumpe im Oktober 2023 in Betrieb genommen. Sie steht auf dem Gelände des Großkraftwerks Mannheim (GKM). Rein rechnerisch können rund 3.500 Haushalte mit Wärme aus dem Rhein versorgt werden.
- Inzwischen hat die MVV den Bau einer zweiten Flusswärmepumpe ausgeschrieben, die einer der größten Europas sein soll. Ihre Leistung soll rund 150 Megawatt betragen. Das ist mehr als das Siebenfache der ersten Flusswärmepumpe.
- Sie soll dann voraussichtlich ab 2028 bis zu 40.000 weitere Haushalte mit Wärme versorgen. Eine dritte Flusswärmepumpe ist bereits in Planung, ihre Leistung soll sich auf 100 Megawatt belaufen.
- Die MVV will bis 2030 die Fernwärme in Mannheim und in der Region komplett klimaneutral und nicht mehr aus Steinkohle erzeugen.
Ministerpräsident bringt Anschlusspflicht ins Spiel
So richtig gefällt diese Antwort Kretschmann nicht. „Wenn man auf Freiwilligkeit setzt, ist man in einem Dilemma. Jedem sagen, er kann machen, was er will, klingt ja toll“, sagt Kretschmann. Aber eine Anschlusspflicht hält er dann doch für sinnvoller. Aber da ist in Mannheim die Birne schon geschält. MVV-Chef Clemens will allerdings doch noch etwas loswerden: Der Staat bezuschusst den Anschluss ans Fernwärmenetz, er fördert aber auch Wärmepumpen in Fernwärme-Vorranggebieten. Das findet Clemens wiederum nicht so toll. Kretschmann will die Anregung mit nach Stuttgart nehmen. Ob er da bis zum Ende seiner nur noch kurzen Amtszeit etwas ausrichten kann?
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