Mannheim. Herr Franz, Sie feiern am Sonntag Ihren 80. Geburtstag, haben aber noch immer ein Büro am ZEW. Warum bleiben Sie nicht lieber zu Hause und lesen Krimis ihrer Lieblingsautorin Agatha Christie?
Wolfgang Franz: Das eine schließt das andere ja nicht aus.
Sind Sie noch oft am ZEW?
Franz: Ja schon. Vor allem zum Mittagessen. Scherz beiseite, das Schönste an meinem Beruf war immer, dass ich es mit jungen Leuten zu tun hatte. Deswegen lockt mich nicht nur unser Bistro oft ans Institut. In der Kurpfalz gefällt es mir einfach, ich habe hier viele Jahre studiert und gearbeitet. Und meine jetzigen Wohnungsnachbarn sind nicht nur sympathische Leute, sondern zum Glück sehr hilfsbereit. Im Alter ist man darauf sehr angewiesen und dafür sehr dankbar.
Rentnern sagt man nach, dass sie ständig über Ihre Nachfolger nörgeln. Machen Sie das auch?
Franz: Nein. Ich habe mit Clemens Fuest und Achim Wambach nach meinem Ausscheiden 2013 eine Vereinbarung getroffen. Die lautet: Ich gebe euch gerne meinen Rat, aber dann müsst ihr zu mir kommen, ich mische mich ungefragt nicht ein. Das wäre aber auch gar nicht notwendig gewesen, es läuft auch ohne mich sehr gut mit dem ZEW. Das hat sich im vergangenen Jahr wieder gezeigt, da hat das Institut wieder hervorragend bei der Evaluation abgeschnitten.
Zu den Markenzeichen des ZEW gehören die Vorträge mit Promis aus Wirtschaft und Politik. 2008 ist Ihnen ein besonderer Coup gelungen. Sie erinnern sich?
Franz: Klar, Sie meinen den Besuch der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich hatte Frau Merkel gefragt, ob ich sie für einen Vortrag am ZEW gewinnen könnte. Sie hat spontan zugesagt, meinte aber, das könne dauern. Ihr Referent versicherte mir aber: Wenn die Bundeskanzlerin zusagt, können Sie sich darauf verlassen. Und nach knapp einem Jahr ist sie tatsächlich gekommen. Ihr Auftritt war für uns am ZEW natürlich ein Riesenereignis. Kleiner Scherz: Wir haben aber einen Fehler begangen.
Wolfgang Franz
- Wolfgang Franz wurde am 7. Januar 1944 in Nassau geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Habilitation 1981 lehrte Franz an den Universitäten Mainz, Stuttgart Konstanz und Mannheim.
- Von 1997 bis 2013 leitete der Ökonom das ZEW Mannheim. Unter seiner Ägide etablierte sich das ZEW als eines der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland.
- Von 1994 bis 1999 und von 2003 bis 2013 gehörte der Arbeitsmarktexperte den Wirtschaftsweisen an, vier Jahre als Vorsitzender.
Welchen denn?
Franz: Der Saal war knallvoll, wir hätten Eintritt verlangen sollen.
Wissen Sie, ob Achim Wambach schon am Kanzler dran ist?
Franz: Nein, das weiß ich nicht. Ich vermute, dass Olaf Scholz für Vorträge in der Wissenschaft nicht so zu haben ist. Er hat manchmal ein etwas distanziertes Verhältnis zu Volkswirten. Denken Sie nur daran, wie er 2021 das Renten-Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium abqualifiziert hat. In dem Gremium sitzen ausgewiesene Experten . . .
. . . wie der Mannheimer Universitätsprofessor Eckhard Janeba . . .
Franz: . . . oder der Rentenexperte Axel-Börsch-Supan. Weil ihm das Ergebnis nicht gefallen hat . . .
. . . Scholz behauptete, die Experten hätten falsch gerechnet und unsoziale Vorschläge gemacht . . .
Franz: . . . hat er hinterher gesagt, da müssten jetzt mal Fachleute ran. Das fand ich grenzwertig.
Sollte Scholz dennoch am ZEW auftauchen, welche Frage würde Sie ihm denn dann stellen?
Franz: Wie lange hält die Ampel denn noch, Herr Bundeskanzler?
Gute Frage. Was meinen Sie denn?
Franz: Ich glaube schon, dass die Ampel die volle Legislaturperiode durchhält, wenn auch ziemlich holprig. SPD, Grüne und FDP fürchten Neuwahlen.
Sie waren in Ihrer langen Laufbahn nicht nur ZEW-Präsident, sondern mehrere Amtszeiten auch Wirtschaftsweiser im Sachverständigenrat, am Schluss sogar Vorsitzender.
Franz: Ich ahne, worauf Sie jetzt anspielen wollen.
Von 1994 bis 1999 wurden Sie vom Bundeswirtschaftsministerium auf dem Ticket der Gewerkschaften nominiert, von 2003 bis 2013 auf dem der Arbeitgeber. Wie ist Ihnen dieses Kunststück gelungen?
Franz: Da gibt es zwei Interpretationen.
Und welche?
Franz: Die erste Interpretation ist: Der Franz ist ein hoffnungsloser Opportunist. Die zweite: Der Franz ist völlig unabhängig. Ich bevorzuge natürlich die zweite. Man sollte aber zur Klarstellung festhalten, dass das Wirtschaftsministerium in diesen Fällen die Gewerkschaften beziehungsweise die Arbeitgeber zwar fragt: Könnt ihr mit dieser Person, die wir berufen wollen, leben? Es ist aber nicht so, dass diese Verbände einfach jemanden reinschicken können. Das entscheidet dann schon die Politik.
Der Sachverständigenrat fällt in letzter Zeit mit Forderungen auf, die es bei Ihnen damals nicht gegeben hätte: Einführung eines Energie-Solis, Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Ist die neue Generation der Ökonomen progressiver als Sie oder liegt das nur daran, dass sich die Zeiten geändert haben?
Franz: Ich habe mir vorgenommen, meine Nachfolger im Sachverständigenrat nicht zu bewerten.
Das ist schade.
Franz: Das ist aber so. Zu den Personen will ich mich nicht öffentlich äußern. Aber Sie haben in einem Punkt schon recht: Wenn die Welt sich ändert, müssen sich die Ökonomen darauf einstellen. In den 1960er und 1970er Jahren schlugen die Wissenschaftler meistens vor, dass man die Nachfrage ankurbeln muss, wenn die Konjunktur einbricht. Bei der ersten Ölpreiskrise 1973 war dieses Rezept untauglich, denn das war in erster Linie ein Angebotsschock. Wissenschaftler müssen deshalb immer wieder dazulernen. Mit der Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der Klimakrise haben es die Mitglieder des Sachverständigenrats mit ganz neuen Situationen zu tun, die wir damals noch nicht kannten. Ein Energie-Soli wäre deshalb zu meiner Zeit kein Thema gewesen. Ich meine aber, dass sich die Ratsmitglieder ziemlich gut geschlagen haben.
Jetzt haben Sie sich ja doch noch zu einem Urteil hinreißen lassen.
Franz: Ja, ich bin schon zu 90 Prozent mit dem zufrieden, was in den Gutachten des Sachverständigenrats steht. Denn ich lese die natürlich noch immer. Da gibt es nur sehr wenige Vorschläge, die mir nicht behagen.
Welche denn?
Franz: Einen Kritikpunkt kann ich nennen, den habe ich bereits im Dezember beim Vortrag von Monika Schnitzer am ZEW in aller Öffentlichkeit angemerkt. Sie ist Vorsitzende des Sachverständigenrats und dieser spricht sich für eine Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung aus.
Gutverdiener sollen einen Teil ihrer Rente an Niedrigverdiener abgeben, damit die besser über die Runden kommen.
Franz: Genau. Ich lehne das Prinzip der Umverteilung nicht ab, aber das machen wir über Steuern und Transferleistungen. Im Rentensystem hat eine Umverteilungskomponente nichts zu suchen.
Das ZEW befasst sich auch mit dem Klimawandel. Bringt Sie das nicht persönlich ins Grübeln, sie lieben ja Kreuzfahrten?
Franz: Ich kann Sie beruhigen, wegen meiner Gehbehinderung mache ich keine Kreuzfahrten mehr. Mich hatte aber früher kein schlechtes Gewissen geplagt, denn die Reisen waren meistens völlig ausgebucht. Ich hatte mir bei meiner Pensionierung vorgenommen, möglichst viel von der Welt zu sehen und insbesondere auch nochmals dorthin zu fahren, wo ich seinerzeit beruflich gewesen bin – wegen meiner dienstlichen Verpflichtungen aber keine Zeit hatte, mir das Land genauer anzusehen.
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Sie haben während Ihrer langen Laufbahn mehrere Koalitionsregierungen beraten und auch kritisch begleitet: Ist die Ampel im Vergleich wirklich so schlecht oder haben wir vergessen, dass auch früher viel Mist gebaut wurde?
Franz: Die Ampel ist vielleicht besser als ihr Ruf. Ich habe die Probleme, mit denen sich nicht nur die Wissenschaftler in diesen turbulenten Zeiten herumschlagen mussten, ja schon genannt. Und das gilt natürlich auch für die Politik. Mein Urteil fällt deshalb nicht so hart aus, wie das bei in der Presse mitunter der Fall ist. Auch einzelne Minister haben auf mich einen guten Eindruck gemacht. Beispielsweise Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen.
Was schätzen Sie an dem?
Franz: Das ist ein Politiker, der in öffentlichen Interviews nachdenklich wirkt. Der spult nicht nur Standardsätze herunter. Da geht natürlich ab und zu etwas daneben, aber das finde ich nicht besonders schlimm.
Handwerkliche Fehler unterlaufen ihm aber immer wieder. Wie beim Heizungsgesetz.
Franz: Wir alle machen Fehler! Jedoch sollte man Kritik nicht übertreiben. Ein Beispiel: Habeck hat sich mal bei den Regelungen der Pendlerpauschale vertan. Aber ich erwarte von einem Wirtschaftsminister nicht, dass er sich in jedem steuerlichen Detail auskennt. Wer frei spricht und nicht nur vom Blatt abliest, verhaspelt sich mal. Ich kann ein Lied davon singen.
Hören die Politiker nach Ihrem Eindruck heute mehr oder weniger auf den Rat der Ökonomen?
Franz: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich keine Politiker mehr berate. Zu unserer Zeit waren die Gespräche, die wir mit Regierungschefs und Ministern geführt haben, streng vertraulich. Da konnte man ganz offen reden. Das war für alle Gesprächsteilnehmer informativ. Aber selbst wenn Politiker den Anregungen des Sachverständigenrates zugestimmt haben, wurde zu bedenken gegeben, dass dafür keine Mehrheit zu bekommen sei. Und ohne die läuft in der Politik halt nichts. Damit muss man als Berater leben.
Die Ökonominnen und Ökonomen sind inzwischen viel präsenter in der Öffentlichkeit als zu Ihrer Zeit – und Sie haben ja damals auch schon eine Menge Interviews gegeben. Kollidiert das nicht mit der von Ihnen so gepriesenen Vertraulichkeit?
Franz: Nein, beides schließt sich nicht aus, man muss ja nicht alles erzählen. Ich finde es sehr gut, dass Politik und Medien immer öfter den Rat der Experten nachfragen und die Öffentlichkeit sich besser informieren kann, wenn die Experten Interviews geben. Das hatte seinen Höhepunkt während Corona, gefühlt kannte ich vom Fernsehen jeden Virologen in Deutschland.
Vielleicht liegt das auch daran, dass es viel weniger Virologen als Ökonomen gibt.
Franz: Gerade deshalb ist es positiv, dass meine Zunft öfter in der Öffentlichkeit steht. Die Kolleginnen und Kollegen machen das meinem Eindruck nach sehr gut.
Wie verbringen Sie denn Ihren 80. Geburtstag am Sonntag?
Franz: Ich fahre zu meiner Verwandtschaft nach Hamburg und feiere dort im engsten Familien- und Freundeskreis. Darauf freue ich mich schon. Auch das ZEW wird eine Feier für mich ausrichten.
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