Nußloch. Positive Nachrichten aus der Textilbranche sind selten geworden. Die Stimmung in der Wirtschaft ist allgemein schlecht, hinzu kommt die fehlende Kauflust der Kundschaft. Einige Bekleidungsunternehmen mussten deshalb schon den Schritt in die Insolvenz gehen. Bei einem Familienunternehmen aus der Rhein-Neckar-Region läuft es dagegen gut: Die Betty Barclay Gruppe meldet Umsatzsteigerungen bei allen Marken.
Jetzt hat das Unternehmen eine große Investition am Firmensitz in Nußloch (Rhein-Neckar-Kreis) auf den Weg gebracht. Auf einer Freifläche in direkter Nachbarschaft soll in den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren ein neues Logistik-Center entstehen. 50 bis 60 Millionen Euro investiert Betty Barclay in das Lager mit einer Nutzfläche von mehr als 15 000 Quadratmetern und einer Außenlänge von 140 auf 100 Meter.
„Eine Investition von 50 bis 60 Millionen ist in diesen Zeiten schon erheblich“, sagte Jürgen H. Winter bei der Feier zum ersten Spatenstich für den Neubau. Winter, Schwiegersohn des Firmengründers Max Berk, ist mit seiner Familie Inhaber der Winter Holding, der Muttergesellschaft der Betty Barclay Group. Doch das Projekt sei gut geplant und stehe im Sinne der Tradition des Unternehmens, einen Schritt nach dem anderen zu machen. „Wir glauben an die Zukunft, ohne leichtsinnig zu sein.“
Die Logistik, die Betty Barclay bislang an einen externen Dienstleister in Osnabrück vergeben hat, will das Unternehmen künftig wieder selbst in die Hand nehmen. Deshalb entsteht nun der Neubau in Nußloch. Dass das Unternehmen diesen Schritt geht, hat mit Veränderungen im Einzelhandel zu tun, wie Winter erläutert: „Früher lag die Vor-Orderquote bei etwa 90 Prozent.“ Das heißt: Die Händler haben auf Messen bei den Herstellern die Ware eingekauft und die Lieferung etwa drei bis sechs Wochen später erhalten.
Auch ein modernes Video- und Fotostudio zieht in den Neubau von Betty Barclay in Nußloch ein
Weil aber viele Modehändler auf großen Warenbeständen sitzen, die sie dann häufig nur mit hohen Rabatten loswerden, um Platz für neue Kollektionen zu schaffen, stellen immer mehr Unternehmen ihren Einkauf um. „Inzwischen ist der Anteil der Vor-Orderquote auf rund 50 Prozent geschrumpft“, so Winter. Der Rest werde in der Saison nachgeliefert. Darauf müssen sich die Hersteller einstellen: „Wir müssen flexibel in der Produktion sein, schneller nachproduzieren und liefern.“
Es ändert sich also die Risikoverteilung. Gingen bisher zumeist die Händler ins Risiko, verlagern sie es vermehrt zu den Herstellern. „Diese Marktanforderung bedingt ein Umdenken in der ganzen Logistikkette, um die erforderliche Flexibilität zu erreichen und auf die Kundenwünsche einzugehen“, sagt der Inhaber. Mit dem Logistik-Center - „ein Meilenstein“ - werde man eine neue Etappe beschreiten, „die für das Unternehmen zukunftsweisend ist“.
Angrenzend an die Halle entsteht außerdem ein 5000 Quadratmeter großer Campus mit Büros und einem modernen Content Creation Studio. Dort werden künftig Bilder und Bewegtbilder der aktuellen Kollektionen aufgenommen. „Wir werden hier etwa 8000 Verkaufsartikel pro Jahr fotografieren“, kündigt Marketingleiter Thorsten Maier an. Im Onlinezeitalter habe sich die Zeit, um Bildmaterial zu erstellen, stark verkürzt. „Über einen Dienstleister würde das zu lange dauern.“
Erste Auslieferungen aus dem Logistikzentrum sind ab dem dritten Quartal 2026 geplant. Dann sollen jährlich rund 10 Millionen Liegewarenteile weltweit versendet werden. Mit dem Logistik-Center entstehen viele neue Jobs: 150 Mitarbeiter werden dort beschäftigt sein. Auch Bestellungen, die über einen der drei Onlineshops der Gruppe eingehen, werden künftig dort bearbeitet.
E-Commerce, also der Onlinehandel, wächst, wenn auch nicht mehr so stark wie während der Corona-Pandemie, sagt Manfred Plaar, der mit Robert Küper Geschäftsführer der Betty Barclay Gruppe ist. „Das Wachstum liegt bei etwa 20 bis 25 Prozent.“ Im stationären Handel steht Betty Barclay im Wettbewerb mit vielen anderen Herstellern. Weil für Händler Flächenauslastung und Umsatz pro Quadratmeter sehr relevant sind und sich die Verantwortung mehr auf die Hersteller verlagere, „sind wir gezwungen, die Logistik und IT-Prozesse zu optimieren, um den Durchgriff zu haben“, sagt Plaar. Je besser man dabei aufgestellt sei, desto erfolgreicher sei man.
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Die Betty Barclay Group bezeichnet sich als eines der führenden Unternehmen für Damenoberbekleidung. Bekannt ist sie vor allem mit den Marken Betty Barclay, Gil Bret, Vera Mont und Zero, zum Portfolio gehören inzwischen zwölf Marken. Im Geschäftsjahr 2022/23 - neuere Zahlen liegen nicht vor - stieg der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent auf 312 Millionen Euro. Davon werden etwa 72 Prozent im Inland erzielt. Das Betriebsergebnis lag bei knapp 19 Millionen Euro.
In der Gruppe arbeiten 1800 Menschen, davon 550 in Nußloch. Dort beginnt die Geschichte von Betty Barclay 1968, als Firmengründer Max Berk die Zentrale von Heidelberg auf die grüne Wiese verlegt, um mit dem wachsenden Unternehmen weiter expandieren zu können. Auch ein wesentlicher Teil der Produktion wird in Nußloch angesiedelt und bleibt dort bis in die 1980er Jahre, bevor sie ins Ausland verlagert wird. Je nach Anforderung an das Kleidungsstück wird heute in Italien, der Türkei oder in Asien produziert.
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