Vortrag

Vortrag am ZEW in Mannheim: Kann es Gesundheit für alle geben?

Herausforderungen einer alternden Gesellschaft: Helmut Frister, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, spricht am ZEW in Mannheim über die Gesundheitsfinanzierung in Deutschland.

Von 
Dieter Keller
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Prof. Achim Wambach (l.), ZEW-Präsident, und Prof. Helmut Frister, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, beim Vortag in Mannheim. © Dieter Keller

Mannheim. Gesundheit ist das höchste Gut – müssen die öffentlichen Mittel so umgeschichtet werden, dass dieses Prinzip für alle gilt? Helmut Frister, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, hätte diese Frage einfach mit „Ja“ beantworten können, und sein Vortrag am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim wäre überflüssig geworden. Aber so einfach kann es sich der Strafrechtsprofessor von der Universität Düsseldorf nicht machen. Auch er weiß: Das Thema ist höchst kompliziert und hat viele Facetten.

ZEW-Präsident Achim Wambach ist seit einem Jahr eines von 26 Mitgliedern des unabhängigen Sachverständigenrats, die über schwierige Fragen und Zusammenhänge zwischen Ethik, Medizin und Gesellschaft diskutieren und Empfehlungen an Politik und Gesellschaft formulieren. Er hatte Frister anlässlich der Jahrestagung des Ethikrats in Heidelberg zur ZEW-Veranstaltungsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ eingeladen.

Herausforderungen der Gesundheitsökonomie und alternden Gesellschaft

Den Zuhörern, darunter viele Studierende, wurde schnell klar, dass das Thema „Gesundheit für alle?“ sehr gut in diesen Rahmen passt und welch schwierige Fragen dabei zu beantworten sind. Denn die Ökonomie spielt eine wichtige Rolle. Auch wenn eine Rationierung von Gesundheitsleistungen eigentlich ausgeschlossen ist, existiert sie dennoch. Schon weil seit dem Jahr 2000 die Gesundheitskosten mehr als doppelt so stark gestiegen sind wie das Bruttoinlandsprodukt, also die Wirtschaftsleistung in Deutschland, führte Frister an, eine Entwicklung, die ihm Sorgen bereitet. Darin schlägt sich der medizinische Fortschritt ebenso nieder wie der demografische Wandel, also die alternde Gesellschaft.

Vortrag beim ZEW in Mannheim: Übertherapie als kostspieliges Gesundheitsproblem erkannt

Diese Schere geht noch weiter auseinander, dessen ist sich der Jurist sicher. „Die Gesellschaft muss einen steigenden Anteil ihres Wohlstands für Gesundheit ausgeben.“ Als ein zentrales Problem nannte Frister Übertherapie, also zu viele Behandlungen. Die Industrieländer-Organisation OECD schätze, dass international 20 Prozent der Ausgaben nicht geboten sind oder günstiger möglich wären. Für Deutschland gibt es keine Zahlen. Doch sie dürfte ähnlich hoch sein, meint der Jurist. „Die Verantwortung liegt in erster Linie bei den Ärzten“, und diese dürften sich nicht von den Interessen der Patienten beeinflussen lassen.

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Allerdings wäre es blauäugig, sich allein auf die Mediziner zu verlassen. Auch der Staat sei in der Pflicht zu kontrollieren und keine übermäßigen Anreize zu setzen. Wie schwierig das ist, zeigen lebensverlängernde Therapien am Lebensende. Nicht jede den Tod hinausziehende Maßnahme sei geboten, auch wenn der Wille des Patienten von zentraler Bedeutung ist. Eigentlich müssen Ärzte bei jedem alles tun, was geeignet und erforderlich ist.

Ethik und Recht in der Priorisierung von Patienten

Dass trotzdem eine Priorisierung unumgänglich ist, zeigt die Transplantationsmedizin überdeutlich: Jedes Jahr sterben in Deutschland 700 bis 800 Patienten, weil nicht rechtzeitig ein lebensrettendes neues Organ zur Verfügung steht. Daher muss entschieden werden, wer es bekommt. Dabei dürfe nur berücksichtigt werden, bei welchem Patienten es die besten Erfolgsaussichten gibt, nicht dagegen Kriterien wie Alter oder ethnische Herkunft. Wenn in einer Klinik nur eine lebensrettende Maschine vorhanden ist, wer soll gerettet werden – ein Kind oder ein 80-Jähriger? Auf diese Frage von Wambach verwies Frister auf das Urteil der Mehrheit der Juristen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die verbleibende Lebenserwartung keine Rolle spielen dürfe.

Die Zahlen allerdings zeigten, dass für Jüngere mehr Geld ausgegeben werde als für Ältere, verwies der ZEW-Präsident auf die Statistiken. Eine Priorisierung finde also statt. „In der Praxis wird es so laufen, dass das Kind angeschlossen wird, wenn nur ein Gerät zur Verfügung steht“, ist sich auch der Vorsitzende des Ethikrats im Klaren. Gibt es wirklich keine Rationierung aufgrund von Kosten, fragte ein Zuhörer und verwies auf seltene Krankheiten, für die es keine Mittel zur Erforschung von Medikamenten gibt. De facto wird rationiert, gab ihm Frister recht. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Kassen und Ärzten entscheide, was finanziert werde. Die Kosten spielten offiziell keine Rolle.

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