Interview

Mannheimer Wissenschaftler: „Frauen dürfen sich viel weniger erlauben“

Frauen in Führungspositionen sind in der Wirtschaft eher die Ausnahme. Warum in der Krise ihre Chancen wachsen, erklärt ein Mannheimer Wissenschaftler.

Von 
Walter Serif
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Evelyn Palla soll die Deutsche Bahn in eine neue Ära führen. © Annette Riedl Annette Riedl/dpa

Mannheim. Herr Reinwald, sind Sie frauenfeindlich?

Max Reinwald: Nein, das bin ich nicht. Vielmehr schaue ich mir systematische Diskriminierung gegen weibliche Führungskräfte an.

Na ja, Sie vertreten die Ansicht, dass die neue Bahn-Chefin Evelyn Palla nur deshalb auf den Posten gehievt wurde, weil sie eine Frau ist. Damit erwecken Sie den Eindruck, dass sie nur ein Notnagel ist.

Reinwald: Nein, es ist wie immer in der Wissenschaft komplexer. Natürlich ist Frau Palla für diese Position sehr gut qualifiziert. Dennoch wäre die Wahrscheinlichkeit, dass sie diesen Posten bekommen hätte, deutlich geringer gewesen, wenn die Bahn keine Krise durchlaufen würde. Das ist sozusagen das Phänomen der systematischen Diskriminierung von weiblichen Führungskräften, die wir in unserer Studie nachgewiesen habe.

Es ist also kein Zufall, dass Daimler Truck, die Commerzbank und die Deutsche Bahn jetzt alle in der Krise auf Frauen setzen?

Reinwald: Genau. Das deckt sich mit dem Ergebnis unserer Studie. Wir haben rund 27.000 Wechsel auf Vorstandsebene untersucht. Und da ist der Befund eindeutig: Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in Führungspositionen berufen werden, ist in Krisensituationen um die Hälfte höher als in normalen Zeiten. Vor allem Konzerne, die in der Öffentlichkeit besonders kritisch beäugt werden, berufen dann lieber eine Frau. Also: Je größer die mediale Aufmerksamkeit, desto stärker der Effekt.

Das passt auf die Bahn wie die Faust aufs Auge. Hartmut Mehdorn, Rüdiger Grube oder Richard Lutz – Pallas männliche Vorgänger haben die Probleme des Staatskonzerns nie in den Griff bekommen.

Reinwald: Das ist richtig. Aber so schlimm wie jetzt war es eben noch nie. Und angesichts der maroden Infrastruktur ist es auch nicht absehbar, dass bei der Bahn schnell eine spürbare Besserung eintritt. Das Verkehrsministerium stand unter Druck und möchte jetzt mit der Ernennung Evelin Pallas seine Handlungsfähigkeit beweisen.

Max Reinwald von der Universität Mannheim hat in seiner Studie festgestellt, dass in der Krise die Chancen von Frauen auf Führungspositionen wachsen. © Universität Mannheim

Sie haben sich die Führungspositionen in börsennotierten US-Unternehmen angeschaut. Wie groß war denn da der Frauenanteil?

Reinwald: Weibliche Führungskräfte sind auf Vorstandsposten eher die Ausnahme als die Regel. Im von uns untersuchten Zeitraum zwischen 2000 und 2016 waren es nur fünf Prozent. Dieser Anteil hat sich in der Krise allerdings auf 7,6 Prozent erhöht.

Ist das Ergebnis bei solch niedrigen Werten überhaupt aussagefähig? Es könnte ja auch Zufall sein.

Reinwald: Aufgrund der großen Fallzahl und unseres empirischen Designs können wir dies ausschließen.

Warum haben Sie die Daten in den USA und nicht in Deutschland erhoben?

Reinwald: Der Markt in den USA ist einfach größer, deshalb haben wir viele Unternehmen im Sample und können dadurch statistische Unschärfen ausschließen. Außerdem ist die Datenlage in den USA sehr gut, die Firmen sind öffentlich gelistet, das hat uns die Arbeit natürlich leichter gemacht.

Max Reinwald

Max Reinwald wurde am 16.September 1989 in Stuttgart geboren.

Reinwald studierte Entscheidungswissenschaften, Politik und Management in Konstanz . Die Promotion erfolgte 2020.

Seit 2024 hat er eine Juniorprofessur für Management an der Universität Mannheim .

Zu seinen Forschungsschwerpunkten in Mannheim gehören Diversität in Organisationen und Veränderungsmanagement. was

Der Erhebungszeitraum endet 2016. Sind Sie sicher, dass die Zahlen nicht veraltet sind? Neun Jahre sind in dieser schnelllebigen Zeit doch eine Ewigkeit.

Reinwald: Im untersuchten Zeitraum ist der von uns beschriebene Effekt gleichmäßig aufgetreten. Deshalb glaube ich nicht, dass sich da groß etwas geändert hat. Dazu müssten ja gewisse Stereotypen abgebaut werden. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Die Berufung einer Frau auf eine Top-Position bleibt etwas Außergewöhnliches. Damit wollen die Unternehmen in der Krise der Öffentlichkeit beweisen, dass sie die ausgetretenen Pfade verlassen. Würden viele Frauen Konzerne leiten, müssten sich die Aufsichtsräte etwas anderes einfallen lassen, um ihre Handlungsfähigkeit in der Krise zu beweisen.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wieder ein Mann Frau Palla ablöst, wenn sie es nicht schafft, den Laden auf Vordermann zu bringen?

Reinwald: Das haben wir nicht untersucht. Es gibt aber andere Studien, die besagen, dass die Amtszeiten von Frauen in der Regel kürzer sind und die Wahrscheinlichkeit ihres Scheiterns besonders hoch ist, wenn sie in der Krise berufen werden. Ob eine Frau entlassen wird, hängt viel stärker von ihrer eigenen Performance ab. Sie darf sich viel weniger erlauben und muss viel schneller liefern als ein Mann. Das zeigen US-Studien.

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Wir reden schon die ganze Zeit über Phänomene, die als „Gläserne Decke“ beziehungsweise „Gläserne Klippe“ bezeichnet werden.

Reinwald: Genau. Hinter der gläsernen Decke steckt die Idee, dass Frauen in Unternehmen irgendwann nicht mehr aufsteigen können. Sie schaffen es eher, diese Barriere zu überwinden, wenn das Unternehmen in der Krise ist. Dann stehen sie auf der gläsernen Klippe. Dort ist die Absturzgefahr aber aufgrund der Krise für Frauen besonders groß.

Ich frage mich aber schon, ob man die Daten, die Sie in den USA erhoben haben, wirklich eins zu eins auf Deutschland übertragen kann. Die Unternehmenskulturen sind doch schon ziemlich unterschiedlich. Nehmen Sie nur einmal den Frauenanteil bei Dax-Vorständen, der lag 2024 bei 26 Prozent.

Reinwald: Der Frauenanteil mag in Deutschland höher liegen. Aber gerade das Medienecho bei der Berufung von Frau Palla deckt sich mit unseren Befunden. Die Unternehmen können durch die Berufung selbst in Deutschland ein gut sichtbares Signal des Wandels senden. Außerdem haben Psychologinnen und Psychologen in Dresden in einem kleineren Setting ähnliche Effekte festgestellt.

Kann es auch sein, dass Frauen berufen werden, weil die Männer das Risiko in der Krise scheuen?

Reinwald: Das glaube ich nicht, dass wir dadurch das Phänomen in der Breite erklären können. Bei der Bahn zum Beispiel wurden ja mehrere Kandidaten gehandelt, darunter auch Männer. Der Chefposten ist außerdem gut dotiert. Das wollen sich viele nicht entgehen lassen.

Es gibt auch das Argument, dass viele Frauen keine Lust auf die Spitzenjobs haben, weil ihnen das auch mit Blick auf ihre Familie zu anstrengend ist.

Reinwald: Natürlich gibt es Frauen, die sich in gewissen Situationen das nicht zutrauen oder bewusst diesen Schritt vermeiden, weil sie wissen, das ist ein Umfeld, in dem eine Frau ein schlechtes Standing hat. Dazu existieren auch Studien. Im Top-Management-Segment ist das aber etwas anders, denn diese Frauen sind ja zuvor schon in wichtigen Führungspositionen und haben sich damit bereits für eine Karriere entschieden. Entsprechend gibt es auf dieser Ebene qualifizierte Frauen, die diesen nächsten Schritt ins Top-Management gerne gehen würden. Sie werden aber sehr oft übergangen und kommen dann eben erst in der Krise zum Zug.

Das ZEW Mannheim kommt in einer Studie von 2024 zum Schluss: je höher der weibliche Anteil in Führungspositionen, desto unwahrscheinlicher die Besetzung eines weiteren Spitzenpostens mit einer Frau. Das ist dann der sogenannte Sättigungseffekt.

Reinwald: Das sehen wir auch in unseren Daten. Die gläserne Klippe gibt es nur dann, wenn der Konzern noch keine Frau im Vorstand hat. Weitere Studien zeigen, dass sich die Unternehmen ein bisschen auch daran ausrichten, was die Konkurrenz macht. Nach dem Motto: Ein Pferd springt nur so hoch, wie es muss.

Das ZEW Mannheim hat in der erwähnten Studie auch herausgefunden, dass die Chance der Beförderung einer Frau steigt, wenn vorher eine andere ausscheidet. Das wäre dann der Ersetzungseffekt.

Reinwald: Das haben wir nicht untersucht, ich kenne aber Studien, die zeigen: Wenn eine Frau entlassen wird, folgt ihr in der Regel auch wieder ein Mann nach. Wie ich schon erwähnt habe: Wenn eine Frau versagt, dann muss sie schneller gehen als ein Mann.

Aus enttäuschter Liebe?

Reinwald: Wenn es überhaupt Liebe und keine Zweckheirat war.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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