Femtech

So unterstützen digitale Helfer aus Heidelberg Frauen bei ihrer Gesundheit

Die Heidelberger Projekte Ferita und eatappie sollen Nutzerinnen beim Kinderwunsch oder bei Essstörungen helfen. Was die zwei Apps leisten können.

Von 
Jörg Runde
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Das Gründerteam von Fertia mit (v.l.) Kilian Vomstein, Ruben Kuon und Anna-Lena Hudalla. © Fertia

Das Wichtigste in Kürze

Der digitale Fortschritt im Gesundheitswesen betrifft auch die Frauengesundheit. In der Metropolregion Rhein-Neckar gründeten sich in den vergangenen Jahren vielversprechende Start-ups, die mit Hilfe von digitalen Ansätzen und wissenschaftlicher Expertise neue Wege beschreiten – und so tabuisierte, häufig ignorierte Bereiche der Medizin ins Licht rücken. Zwei dieser sogenannten Femtech-Unternehmen (Fertia und eatappie) demonstrieren, wie moderne Technologie, Einfühlungsvermögen und medizinisches Wissen vereint werden, um das Leben von Frauen nachhaltig zu verbessern.

Heidelberg. Gibt es bessere Momente, um eine innovative Idee rund um die Themen Kinderwunsch und Schwangerschaft zu entwickeln, als bei einem Spaziergang mit dem Kinderwagen? Es klingt kitschig, bei Ruben Kuon und Anna-Lena Hudalla war es aber genau so. „Ich war gerade in Elternzeit, als wir in Handschuhsheim auf dem Feld unterwegs waren, als wir über das Thema gesprochen und gemerkt haben, dass wir sehr ähnliche Ideen haben“, erzählt Kuon beim Termin in den Fertia-Geschäftsräumen in der Heidelberger Altstadt. Und Hudalla ergänzt: „Wir wussten um die Probleme, die Frauen hierzulande bei den Themen haben. Deshalb haben wir Fertia gegründet.“

Interdisziplinäres Gründerteam hat Fertia auf den Weg gebracht

Es ist das Herzensprojekt des interdisziplinären Gründerteams, zu dem neben Dr. Ruben Kuon, Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität Heidelberg, und Hudalla, Mutter und Unternehmerin, auch Frauenarzt und Reproduktionsmediziner Dr. Kilian Vomstein. Fertia hat sich zum Ziel gesetzt, Frauen vom ersten Zyklustag über Schwangerschaft und Kinderwunsch bis zur Menopause digital zu begleiten und zu unterstützen.

Privatdozent Dr. Kilian Vomstein, Frauenarzt und Reproduktionsmediziner und Dr. med. Ruben Kuon, Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität Heidelberg, mit Spezialisierungen in Reproduktionsmedizin und gynäkologischer Endokrinologie sind die medizinischen Experten von Fertia. Gemeinsam mit Anna-Lena Hudalla, die für die wirtschaftlichen und strukturellen Aspekte des Unternehmens zuständig ist, haben sie Fertia gegründet. Mit zum Team gehört auch Lisa Göpfert (43), die als Hebamme, Psychologin, systemische Therapeutin und Sexualtherapeutin arbeitet. Sie bringt sowohl psychologisches Wissen als auch praktische Erfahrung aus der Geburtshilfe mit.

Fertia (hier die Gründer Ruben Kuon und Anna-Lena Hudalla) bietet Eltern mit Kinderwunsch viele wichtige Informationen. © Fertia

Der Ansatz: Frauen sollen nicht mehr monatelang auf Termine warten oder mit Unsicherheiten und Wissenslücken leben. Die App, die kostenlos ist, hat evidenzbasierte Informationen, bietet psychologische Hilfe und ermöglicht über eine digitale Sprechstunde den direkten Kontakt zu Fachärzten. „Fertia wird genau dort ansetzen, wo medizinische Notwendigkeit und persönliche Belastung sich kreuzen“, sagt Hudalla und fügt an: „Wir haben ein Team aus Wissenschaft, Medizin, Psychologie und Technologie gebildet, um dies zu erreichen.“

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Der Fertia AI-Guide ist ein von Experten trainierter KI-Chatbot. Er beantwortet individuelle Fragen rund um die Uhr. „Dabei ist er medizinisch fundiert, indem er ärztliche Leitlinien, psychologische Kurse und Hebammenwissen kombiniert. In heiklen Momenten, wie nach einem Schwangerschaftsverlust oder wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, ist der AI-Guide ein echter Gesprächspartner“, erklärt Hudalla: „Gerade abends, wenn man über vieles nachdenkt und sich allein fühlt, ist es wichtig, jemanden zur Verfügung zu haben – selbst wenn es ‚nur‘ ein digitaler Freund ist.“

Nutzerinnen von Fertia erhalten Test-Kits für die Blutproben nach Hause

Fertia setzt außerdem auf dezentrale Diagnostik: Nutzerinnen bestellen Test-Kits nach Hause, entnehmen selbst Blutproben und schicken sie direkt ans Labor. Auf diese Weise verkürze man die Wartezeiten und stärkt die Selbstbestimmung. Fertia vereint psychische Gesundheit und medizinische Versorgung: Das Team, zudem auch Hebamme und Psychologin Lisa Göpfert gehört, bietet auch persönliche Beratungen an.

Ungefähr 25.000 Downloads und eine hohe Nutzerinnen-Aktivität zeigen: Die Plattform erweitert ihr Angebot stetig, unter anderem in Bezug auf PCOS, Endometriose und Menopause. Zusammenarbeiten mit Firmen wie dm und eine Ausweitung auf internationale Märkte sind schon in der Planung. Die Basisfunktionen, auch die KI-Beratung, bleiben dauerhaft kostenlos. Für die Bluttests und Präventionskurse gibt es verschiedene Angebotspakete, teilweise übernehmen die Krankenkassen sogar die Kosten.

Das Therapieangebot von eatappie richtet sich vor allem an junge Mädchen. © eatappie

Soforthilfe für Jugendliche mit Essstörungen aus Heidelberg

Ein weiteres digitales Innovationsbeispiel aus Heidelberg ist eatappie, das 2023 von Dr. Larissa Niemeyer, Szarah Sanchez Roman und Victor Saase gegründet wurde. Vor allem Niemeyer und Sanchez Roman hatten in ihren Rollen als Kinder- und Jugendpsychiaterinnen die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz für Jugendliche mit Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie hautnah miterlebt. Oft sind es mehr als sechs Monate.

Das Team von eatappie



  • Dr. med. Szarah Sanchez Roman und Dr. med. Larissa Niemeyer sind im eatappie-Team für das psychotherapeutische und das medizinische Fachwissen zuständig.
  • Sie haben an der Universität Heidelberg Medizin studiert, promoviert und im Anschluss am Zentralinstitut für seelische Gesundheit als Assistenzärztinnen in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet.
  • Dr. med. Victor Saasem war nach dem Abschluss seines Medizinstudiums in Mainz als Arzt an der Medizinischen Fakultät Mannheim und später am DKFZ in Heidelberg angestellt. Er bringt mit seiner Erfahrung in der medizinischen Softwareentwicklung das nötige technische Know-how ein.
  • Weitere Infos: www.eatappie.de

Mit ihrer Therapie-App eatappie wollen sie diese Lücke schließen. „Unser Glaube ist, dass psychische Gesundheit so kostbar ist, dass jeder sofort eine Behandlung bekommen sollte, wenn es nötig ist“, sagt Niemeyer und ergänzt: „Unser Ziel ist es, besonders Jugendlichen zu helfen, ihren Appetit auf das Leben neu zu entdecken.“

eatappie hält Lerneinheiten und Übungen per App bereit

Dass Bedarf an Hilfe ist vor allem für Mädchen und junge Frauen groß, das beweisen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Während im Jahr 2003 noch 3.000 Mädchen und junge Frauen im Alter von 10 bis 17 Jahren in Deutschland stationär wegen einer Magersucht, Bulimie oder einer anderen Essstörung behandelt wurden, waren es zwanzig Jahre später 6.000. Der Anteil der jungen Frauen insgesamt sei zudem in dem Zeitraum von 23,4 Prozent auf 49,3 Prozent gestiegen. Mit gut drei Viertel der Behandlungsfälle machte die Magersucht den Hauptteil der Krankheitsbilder aus, danach folgte Bulimie mit 11,1 Prozent der Fälle.

Über 50 Lerneinheiten und Übungen stehen betroffenen Jugendlichen in der App direkt zur Verfügung, um ihre Krankheit zu verstehen und Alltagsstrategien zu entwickeln. Das Angebot umfasst auch psychologische Beratungen und eine digitale Nutzer-Community zum Erfahrungstausch.

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