Seit Karin Rådström 2021 Lastwagen-Chefin von Mercedes-Benz geworden ist, hat sie auf diesen Tag gewartet: Autohof Nordheide an der A7 bei Hamburg, einer der wichtigsten Stopps für Lkw in Deutschland. Um 10.12 Uhr öffnet sich ein überdimensionaler Vorhang. Langsam kommt ein weißer eActros 600 angefahren. „Es ist sehr, sehr cool, ihn jetzt dem Rest der Welt zu zeigen“, sagt Rådström strahlend in die Kameras.
Der eActros 600 ist der erste batterie-elektrisch angetriebene Lastwagen von Mercedes-Benz für den Fernverkehr. Ohne Zwischenladen schafft er, so die offiziellen Angaben, 500 Kilometer. Das Ziel: Langfristig soll der eActros 600 die meisten Diesel-Lkw im wichtigen Fernverkehrssegment ablösen. Die Zahl 600 steht für die Batteriekapazität von mehr als 600 Kilowattstunden.
Technische Details eActros 600
- Der eActros 600 kommt auf ein kombiniertes Gesamtzuggewicht von bis zu 44 Tonnen.
- Mit Standardauflieger stellt er eine Nutzlast von etwa 22 Tonnen bereit.
- Als Sattelzugmaschine ist das Modell 6,23 Meter lang.
- Der eActros 600 verfügt über drei Batteriepakete mit jeweils 207 kWh. Diese bieten eine installierte Gesamtkapazität von 621 kWh.
- Jedes Paket wiegt für sich 1,5 Tonnen, was also insgesamt 4,5 Tonnen Batterie-Gewicht ergibt.
In diesem Jahr startet der Verkauf, die Serienproduktion im pfälzischen Werk Wörth ist für Ende 2024 angepeilt. Derzeit entsteht noch eine Flotte von rund 50 Prototypen. Beteiligt sind alle wichtigen Produktionsstandorte von Daimler Truck in Deutschland. So laufen auch in Mannheim Vorbereitungen für die Serienfertigung des neuen Modells. Im Lkw-Motorenwerk werden künftig die Frontboxen für den eActros 600 gebaut und dann nach Wörth geliefert. In der Frontbox sind unter anderem Steuergeräte und Hochvolt-Komponenten gebündelt. Das Modul sitzt etwa dort, wo in herkömmlichen Modellen der Dieselmotor verbaut ist. Die Batteriepakete für den neuen eActros 600 werden hingegen nicht wie bei anderen Lkw in Mannheim zusammengebaut, sondern kommen direkt vom chinesischen Partner CATL nach Wörth. Auch die Standorte Gaggenau und Kassel liefern Komponenten.
Teure Anschaffung
In Ländern wie Deutschland und Frankreich etwa soll der E-Lkw innerhalb der durchschnittlichen Haltedauer des Fahrzeugs von etwa fünf Jahren beziehungsweise nach etwa 600 000 Kilometern profitabler sein als ein Diesel-Fernverkehrs-Lkw - trotz eines laut Daimler Truck etwa zwei- bis zweieinhalb Mal höheren Anschaffungspreises. Genaue Zahlen nennt das Unternehmen nicht. Das „Handelsblatt“ geht in der Spitze von Preisen von 250 000 Euro oder noch mehr aus. Eine große Investition. Allerdings seien die Betriebskosten von Elektrolastern oft gering, erklärt Rådström. Über die Zeit würden sich die höheren Anschaffungskosten amortisieren.
E-Lastwagen auf deutschen Autobahnen Seltenheit
Daimler Truck steckt mitten in der Transformation. Die Branche durchläuft einen Wandel hin zu - im Fahrbetrieb - CO2-neutralen Lkw. Schon allein, weil die Politik strenge Klimaschutzziele für die nächsten Jahre setzt. Das Unternehmen hat sich dazu entschieden, zweigleisig zu forschen und zu entwickeln - am batterie-elektrischen Antrieb und an der Brennstoffzelle.
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Elektrische Lastwagen sind auf deutschen Autobahnen noch eine absolute Seltenheit. Zwar schreitet die Technik voran, aber die Absatzzahlen sind winzig. Bei Daimler Truck etwa waren 2022 nur 914 der insgesamt rund 520 000 verkauften Lkw und Busse emissionsfrei.
Doch der Hochlauf ist absehbar: Bis 2030 könnten 75 Prozent der abgesetzten schweren Nutzfahrzeuge keine Verbrenner mehr sein - rund 58 Prozent seien mit Batterie und 17 Prozent mit Wasserstoff betrieben. Das ergab eine Analyse im Auftrag des Verkehrsministeriums, die sich auf Umfragen bei Herstellern stützt. Auch Daimler-Truck-Konkurrent MAN will seinen Elektro-Lkw für den Fernverkehr 2024 losschicken.
Problematisch: die Infrastruktur
Rådström sagt, dass 60 Prozent der Kunden Routen von unter 500 Kilometer zurücklegten, so dass Ladeinfrastruktur auf dem Betriebshof sowie an den Be- und Entladestellen für diese Fälle ausreichend sei. Doch zur Wahrheit gehört: Das Projekt steht und fällt mit dem Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur, der mehrere Jahre dauern und viele Milliarden Euro kosten wird. Die Infrastruktur bereitzustellen ist nach Ansicht von Rådström eine größere Herausforderung, als E-Lkw zu entwickeln. Dies werde die Geschwindigkeit der Elektrifizierung im Transportsektor bestimmen.
Ziemlich leise unterwegs
Üblicherweise ertönt ein lautes Bruuum-Bruuum-Bruuuum-Bruuum, wenn ein Diesel-Lkw startet. Anders bei den eActros-Modellen: Es hört sich eher an, als würde ein Laptop hochfahren und kein 40 Tonnen schwerer Lastwagen. „Er ist sehr leise“, sagt Rådström. Die Managerin, 44, besitzt selbst einen Lkw-Führerschein. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie Testfahrten gemacht, bei minus 25 Grad in Finnland, aber auch im warmen Spanien.
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