Interview

Mannheimer Ökonom Spengel: „Wie glaubwürdig ist Scholz?“

Der Ökonom Christoph Spengel von der Universität Mannheim attackiert die Politik, weil sie die illegalen Cum-Ex-Steuerdeals so lange hat laufen lassen. Wie er sich im Interview zu den Erinnerungslücken von Olaf Scholz äußert

Von 
Walter Serif
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Olaf Scholz vor seiner Vernehmung 2022 im Hamburger Untersuchungsausschuss. Damals berief er sich auf Erinnerungslücken. © Christian Charisius/dpa/Felix Zeiffer

Mannheim. Herr Spengel, die CDU/CSU will mit einem Untersuchungsausschuss im Bundestag herausfinden, ob Bundeskanzler Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister dafür gesorgt hat, dass die Warburg-Bank keine Steuern zurückzahlen musste. Was halten Sie davon?

Christoph Spengel: Wenn es um die mögliche politische Einflussnahme von Herrn Scholz geht, stellt sich natürlich die Frage, warum jetzt ein Bundestagsuntersuchungsausschuss gebildet werden soll. Welche neuen Erkenntnisse könnte er ans Tageslicht bringen? Denn es gibt ja bereits seit drei Jahren einen Untersuchungsausschuss in Hamburg. Und der hat bisher nicht beweisen können, dass Scholz etwas damit zu tun hat, dass die Warburg-Bank zu Unrecht erstattete Kapitalertragsteuern in Millionenhöhe aus Cum-Ex-Geschäften behalten durfte.

Es geht da ja auch um die Frage: Wie glaubwürdig ist unser Kanzler?

Ich höre heraus, dass Sie einen solchen Untersuchungsausschuss für überflüssig halten.

Spengel: Das habe ich nicht gesagt. Klar ist nur: Bisher konnte niemand dem SPD-Politiker nachweisen, dass er politischen Einfluss genommen hat. Und neue Indizien gibt es dafür wohl auch nicht. Deshalb bin ich in diesem Punkt eher skeptisch.

Aber?

Spengel: Es gibt ja auch den Vorwurf, dass Olaf Scholz im Zusammenhang mit dem Warburg-Skandal im Finanzausschuss des Bundestags anders ausgesagt hat als in Hamburg. Wenn das stimmen würde, wäre das Ansehen des Bundeskanzlers natürlich beschädigt. Und da gibt es jetzt eine neue Sachlage.

Welche denn?

Spengel: Der investigative Journalist Oliver Schröm hat in seinem Buch „Die Akte Scholz“ Fakten bereitgestellt, die bisher nicht bekannt waren. Demnach kursierten im Bundesfinanzministerium . . .

… als Olaf Scholz dort Minister war …

Spengel: … vertrauliche Akten aus den Sitzungen des Finanzausschusses im Bundestag. In denen steht, dass sich Scholz doch zumindest an ein Treffen mit den Warburg-Bankern erinnern konnte. Vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss hat er das aber bestritten. Und vor einigen Wochen wurden in Hamburg als Zeugen fast 20 Bundestagsabgeordnete gehört, die im Finanzausschuss waren. Sie bestätigten, was Schröm enthüllt hat.

Steuerexperte Prof. Dr. Christoph Spengel © Rinderspacher

Dann hätte Scholz im Ausschuss gelogen, oder?

Spengel: Das ist schwer nachzuweisen. Scholz berief sich auf Erinnerungslücken. Es stünde aber zumindest eine Falschaussage im Raum.

Die Union will das Thema aber auch politisch ausschlachten.

Spengel: Da ist auch eine politische Finte. Es geht da ja auch um die Frage: Wie glaubwürdig ist unser Kanzler? Es gibt schließlich auch noch die Tagebücher des Warburg-Bankers Christian Olearius, die der Presse zugespielt wurden. Er beschreibt darin mehrere Treffen mit Scholz.

Der Cum-Ex-Skandal ist noch immer nicht politisch und juristisch aufgearbeitet. Sie haben ja schon vor Jahren das Bundesfinanzministerium vor dem größten Steuerraub aller Zeiten gewarnt. Warum ist denn so lange nichts passiert?

Spengel: Das ist mir bis heute schleierhaft. Es hat ewig gedauert, bis das Finanzministerium zum Schluss kam, dass Cum-Ex-Geschäfte nichts anderes als Steuerbetrug sind.

Christoph Spengel

Christoph Spengel wurde 1964 in Heidelberg geboren.

Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und arbeitete danach am Mannheimer ZEW.

Seit 2006 ist Spengel Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre II in Mannheim. was

Mir ist es wirklich rätselhaft, warum ein Ministerium da lange überlegen muss. Man kann sich doch nicht vom Fiskus eine Kapitalertragsteuer erstatten lassen, die man gar nicht entrichtet hat. Das wäre ja, wie wenn ich ein Smartphone von der Steuer absetzen würde, das ich gar nicht besitze. Beides ist doch auf jeden Fall Steuerbetrug.

Spengel: Sie haben recht, man muss da kein Steuerexperte sein. Der gesunde Menschenverstand reicht aus, um zum Schluss zu kommen, dass das absurd ist. Die inzwischen erfolgten Gerichtsurteile sprechen eine deutliche Sprache. Es wundert mich deshalb schon, dass im Finanzministerium bei der Bewertung dieses Steuerbetrugs so lange herumlaviert wurde. Immerhin hat das mit den Cum-Ex-Geschäften schon in den 1990ern begonnen. Aber erst 2011/2012 hat die Politik reagiert und dem Steuerbetrug einen Riegel vorgeschoben.

Hanno Berger, die Schlüsselfigur in dem Skandal, wurde Ende 2022 vom Landgericht wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt. Da gingt es um die unfassbare Summe von 278 Millionen Euro. Die Höchststrafe liegt bei 15 Jahren.

Spengel: Das ist für einen 72-Jährigen eine sehr harte Strafe. Außerdem fällt ja jetzt bald das Urteil in einem zweiten Verfahren vor dem Wiesbadener Landgericht. Da fordert die Staatsanwaltschaft für beide Verfahren eine Gesamtstrafe von zehn Jahre und sechs Monaten.

Wie bewerten Sie die juristische Aufarbeitung?

Spengel: Sie läuft inzwischen sehr gut, aber es gibt viele Hindernisse, denn es ist sehr schwer, die Täter zu ermitteln. Das erklärt, warum das Urteil gegen Berger in Wiesbaden erst das fünfte insgesamt sein wird. Das liegt auch daran, dass der Justiz das notwendige Personal fehlt. Es kümmert sich in Deutschland ja nur die Kölner Staatsanwaltschaft um das Thema. Und es ist natürlich schwierig, wenn ein Ermittler, der sich bisher um Geldwäsche oder Drogen gekümmert hat, auf einmal für das Steuerrecht zuständig ist. Der muss erst geschult werden. Die Ermittlungen, die laufen, umfassen angeblich 1500 Beschuldigte in mehr als 100 Fällen. Und wie viele Ermittler hat die Staatsanwaltschaft? Wahrscheinlich nur einen pro Fall.

Ohne die Banken ging da gar nichts. Wir reden hier immerhin von einem Schaden in Höhe von rund 30 Milliarden Euro, um die der deutsche Staat betrogen wurde.

Dass der Bundesgerichtshof erst 2021 die Cum-Ex-Deals als Steuerhinterziehung eingestuft hat, war für die juristische Aufarbeitung auch nicht gerade förderlich.

Spengel: Natürlich nicht, deshalb ist ja ein Jahrzehnt nichts passiert. Viele Fälle sind bereits verjährt. Das ist alles seltsam, denn der „Spiegel“ und die „Zeit“ haben ja schon Ende der 1990er die ersten Berichte über Cum-Ex-Geschäfte veröffentlicht. Ich verstehe nicht, warum die Politik dem nicht nachgegangen ist. In dieser langen Zeit gab es mit Hans Eichel, Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble mehrere Finanzminister. Und keiner hat etwas gemacht, das war extrem fahrlässig. Ein Finanzminister muss die Steuern so erheben und festsetzen, wie es das Gesetz vorschreibt. Gegen diese Regel haben diese Finanzminister verstoßen.

Sie haben 2015 die Lawine mit dem damaligen Mannheimer Grünen-Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick losgetreten.

Spengel: Ja, 2016 gab es einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Der Abschlussbericht war aber mit Blick auf die Position der regierenden großen Koalition schon ein Armutszeugnis. Tenor: Wir haben keine Fehler gemacht, und im Finanzministerium war alles in Ordnung. Was mir außerdem bitter aufgestoßen ist: Wir haben im Ausschuss anhand von Daten der Deutschen Börse für die Jahre 2005 bis 2011 einen Steuerschaden von 7,2 Milliarden Euro ermittelt. Die Bundesregierung behauptete damals, das stimmt nicht, es sei höchstens eine Milliarde. 2022 hat die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage geantwortet. Demnach hat sich der Fiskus inzwischen Steuergutschriften für Cum-Ex-Geschäfte in Höhe von 7,6 Milliarden Steuer zurückgeholt. Da laufen aber noch viele Verfahren. Hinzu kommt aber eine andere Sache.

Ja?

Spengel: Es gibt noch den großen Bruder von Cum-Ex – das sind die berüchtigten Cum-Cum-Deals. Dabei geht es um Ausländer, die ihre auf Dividenden gezahlte Kapitalertragsteuer zu Unrecht erstattet bekommen, weil diese Regelung nur für Deutsche gilt. Ich habe mich damals in meinem Abschlussbericht auch zu diesen Fällen geäußert.

Und?

Spengel: Stellen Sie sich vor, da wurde ich gerügt. Begründung: Ich hätte meinen Untersuchungsauftrag eigenmächtig erweitert. Inzwischen gibt es auch erste Urteile zu diesen Cum-Cum-Geschäften. Und auch das Finanzministerium stuft sie unter bestimmten Bedingungen als rechtswidrig ein.

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Seltsamerweise sind die Banken bisher fein heraus. Die behaupten einfach, sie hätten von den Steuertricks nichts gewusst.

Spengel: Das ist gar nicht glaubwürdig. In Wiesbaden geht es um 125 Millionen Euro Kapitalertragsteuer. Die Kapitalertragsteuer beträgt 25 Prozent von der Dividende einer Aktie. Das heißt, die Dividende macht 500 Millionen Euro aus. Die Aktien, die dafür gedealt wurden, hatten in Wiesbaden einen Wert von rund 15 Milliarden Euro. Da waren Banken immer mitbeteiligt. Als Käufer, als Verkäufer und als Geldgeber, denn diese Summe musste ja über kurzfristige Bankkredite finanziert werden. Wer für solche Summen Geld gibt, weiß, was für Geschäfte damit gemacht werden. Ohne die Banken ging da gar nichts. Wir reden hier immerhin von einem Schaden in Höhe von rund 30 Milliarden Euro, um die der deutsche Staat betrogen wurde. Solche Aktiendeals hat es auch im Rest der EU gegeben, das summiert sich dann auf rund 150 Milliarden Euro.

Das ist eine umfassbare Summe.

Spengel: Nehmen wir nur mal den Schaden von 30 Milliarden Euro in Deutschland. Ich behaupte mal, dass der höher liegt als beim Abgas-Skandal. Darüber haben sich die Dieselfahrer fürchterlich aufgeregt, weil sie davon unmittelbar betroffen waren. Doch wenn der Fiskus betrogen wird, merkt der Bürger das nicht direkt, obwohl er die Folgen über Umwege zu spüren bekommt. Weil dann kein Geld da ist für die Erhöhung des Kindergelds oder andere Sozialtransfers.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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