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Mannheimer Wissenschaftler: Auch der Staat kann teilweise von Steuerhinterziehung profitieren

Von 
Walter Serif
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Nur wenige Fälle von Steuerhinterziehung landen in Deutschland vor Gericht. © dpa/Helge Kiehl

Mannheim. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn Einzelne sich mit betrügerischen Mitteln ihrer Verantwortung entziehen. Deshalb geht die Bundesregierung entschlossen gegen Steuerhinterziehung vor.“ Dieses Zitat aus dem Monatsbericht des Finanzministeriums (November 2021) klingt angesichts des Ausmaßes der Steuerhinterziehung fast wie Realsatire. Beispiel Cum-Ex-Skandal.

Wer es schon wieder vergessen hat: Cum-Ex war „der größte Steuerraub in der Geschichte Europas“, wie es der Ökonom Christoph Spengel von der Universität Mannheim beschrieben hat. Die Affäre enthält sogar eine politische Dimension, weil frühere Finanzminister dem Treiben der Steuerhinterzieher viel zu lange zugesehen haben. Gegen Olaf Scholz (SPD) liegt nach seinem Wechsel ins Kanzleramt sogar eine Strafanzeige wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor. Es geht dabei um seine Rolle als früherer Hamburger Bürgermeister. Scholz soll Einfluss auf die steuerliche Behandlung der Warburg Bank genommen haben - er selbst bestreitet dies aber.

Etwa 50 Milliarden Euro, so schätzt die Steuergewerkschaft, werden pro Jahr in der Bundesrepublik hinterzogen. Das ist fast schon eine Art Breitensport. Vor Gericht landeten 2020 gerade mal Fälle im Wert von 1,25 Milliarden Euro. Da klingt es zunächst schräg, dass ein Wissenschaftler sich mit dem Thema Steuerhinterziehung unter einem anderen Gesichtspunkt beschäftigt. „Der Staat sollte in bestimmten Fällen durchaus ein gewisses Maß an Steuerhinterziehung zulassen. Die Möglichkeit, Geld am Fiskus vorbei verdienen zu können, kann dann sogar das Gesamtsteueraufkommen erhöhen“, sagt der Ökonom Cornelius Schneider von der Universität Mannheim.

Schneider weiß natürlich, dass eine solche These fast reflexhaft auf Widerstand stößt. In Expertenkreisen gilt seine Position allerdings als weniger abwegig. Das liegt auch daran, dass die Grund-These von Schneider und seinem Mannheimer Kollegen Wladislaw Mill nicht auf deren eigenen Mist gewachsen ist. Berühmte US-Ökonomen wie Joseph E. Stiglitz haben auf sie schon in den 1980ern hingewiesen. Allerdings hielten sie die zugrundeliegenden Annahmen für ihre recht steilen Thesen als empirisch eher unwahrscheinlich.

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Dass die Erkenntnisse von Ökonomen nicht immer den Praxistest bestehen, musste schon US-Präsident Ronald Reagan erfahren. Er verließ sich ebenfalls in den 1980ern auf den US-Wissenschaftler Arthur B. Laffer. Dieser demonstrierte mit seiner berühmt-berüchtigten „Laffer-Kurve“, dass bei hohen Steuersätzen eine Senkung der Einkommensteuer dem Staat unterm Strich mehr Geld einbringen würde. Leider verlief die Kurve in der realen Welt anders, wie es sich zeigte, als Reagan Laffers Theorie umsetzte. Die Steuereinnahmen brachen drastisch ein.

Schneider und sein Kollege haben jetzt zumindest auf dem relativ neuen Feld der Experimentellen Ökonomie erstmals nachgewiesen, dass Stiglitz’ Theorie praxistauglich ist. Im Rahmen eines Experiments unter kontrollierten Bedingungen. Dazu wählten sie mehr als 1000 Teilnehmer aus, die echte Arbeit verrichten mussten. Diese wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. „Die eine Gruppe musste ihren Arbeitslohn einfach versteuern. Die andere hatte die Möglichkeit, einen Teil ihrer Steuer zu hinterziehen, nämlich in Form einer Lotterie“, so Schneider. Das Ergebnis war interessant: „In der ,Steuerhinterziehungsgruppe’ war das Steueraufkommen höher.“ Durch die Umgehung des Fiskus sank der Steuersatz für diese Gruppe effektiv. Allerdings steigerten die Teilnehmer ihr Arbeitsangebot überproportional zur persönlich eingesparten Steuer. „Es reicht also nicht, den nominalen Steuersatz wie bei der ,Laffer-Kurve’ zu senken, die Steuersenkung muss über Steuerhinterziehung erfolgen. Die Unsicherheit erwischt zu werden, scheint ein Extra-Steueraufkommen zu generieren.

Die Steuerhinterzieher steigern also ihren Arbeitseinsatz (und die Steuereinnahmen des Staates), weil sie vermutlich ihr Risiko mindern wollen. Der Grund: Wenn sie erwischt werden, müssen sie die hinterzogene Summe zurückzahlen und eine Strafe entrichten. „Ein solches Verhalten hängt natürlich auch vom Typ ab. Der eine hinterzieht gar nichts, der andere ist eiskalt und der sensiblere nutzt die Chance, seinen Steuersatz senken zu können und bringt dann maximalen Arbeitseinsatz“, sagt Schneider.

Der Wissenschaftler will mit seiner Studie, die noch nicht fertig ist, Steuerbetrug aber nicht salonfähig machen. „Wir müssen allerdings bedenken, dass der Staat schon jetzt Steuerhinterziehung teilweise billigt. Beispielsweise um internationalem Steuerwettbewerb zu begegnen oder durch viele Abschreibungsmöglichkeiten und Steuerschlupflöcher“, sagt Schneider. Außerdem ist nach seiner Ansicht der positive Effekt der Steuerhinterziehung wahrscheinlich getrieben von Leuten, die ihr Arbeitsangebot flexibel anpassen können, also vor allem Selbstständigen.

Schneiders Rat an die Politik: „Da die finanziellen Möglichkeiten des Staates begrenzt sind, Steuerhinterziehung zu verfolgen, sollte er sich auf die Bereiche konzentrieren, bei denen keine zusätzlichen Steuereinnahmen durch höheren Arbeitseinsatz entstehen können.“ Und welche Bereiche sollen das konkret sein? „Zum Beispiel Cum-Ex, da handelt es sich eben nur um reinen Steuerraub, in solchen Fällen sollte der Staat voll durchgreifen“, sagt Schneider.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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